Geduld

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5.15 Uhr

Montagmorgen.

Start in eine neue Woche.

Ich drehte mich auf den Rücken und starrte an die dunkle Zimmerdecke.
Heute war mein erster Arbeitstag nach meiner      "Zwangspause".
Ich wollte Tim um meine Kollegen definitiv nicht enttäuschen!
Aber das vergangene Wochenende ging mir noch so sehr durch den Kopf ....

Ich schämte mich in Grund und Boden vor Nike, aber auch vor Alexander!
Kompletter Kontrollverlust. 
Mein Gott, wie sollte ich den beiden je wieder unter die Augen treten?
Ich schlug die Hände vor's Gesicht und stöhnte.
Fuck...
Finde Antworten auf deine Fragen, hatte er zu mir gesagt!
Ich hätte gedacht, dass er mich auslachen, oder zumindest irgendeinen blöden Spruch bringen würde...

Nichts von dem hatte er getan!
Als ich am Samstagmorgen in meinem Sessel aufgewacht war, lag ein kleiner Zettel auf meinem Erotikroman.
In einer klaren Männerhandschrift stand dort geschrieben:

Es ist nie zu spät, neu anzufangen

Mit diesem Gedanken stand ich auf und machte mich im Bad fertig. Ich weckte die Kinder für die Schule und ging in die Küche, um das Frühstück vorzubereiten.
Wir waren jetzt zu dritt und würden es gemeinsam schaffen!
Schaffen müssen!
Jonas und Jule umarmten mich, bevor sie das Haus verließen und ich sah, dass Mia schon auf Jule wartete. Die Kinder machten mir Mut!

Ich sah auf die Uhr. Mir blieben noch fünfzehn Minuten und dann musste ich ebenfalls los. Da ich kein Auto mehr hatte, musste es weiterhin mit dem Fahrrad funktionieren. Draußen waren es knapp drei Grad. Deswegen zog ich mir eine dicke Jacke an, nahm meinen Rucksack und verließ im Dunklen das Haus. Obwohl der Weg zur Klinik nicht lange dauerte, würde ich gleich doch durch einige weniger belebte Seitenstraßen fahren müssen, um dem totalen Berufsverkehr zu entkommen.

Erst um 8.00 Uhr anfangen zu dürfen,  war sicherlich toll wegen der Kinder, aber ein totales Chaos für mich.
Das verdammte Rahmenschloss klemmte auch noch bei der Kälte und ich fluchte unterdrückt.
Natürlich hatte ich nicht daran gedacht die Außenbeleuchtung anzuschalten, aber da der Bewegungsmelder, Stefan sei Dank, sowieso schon lange nicht mehr funktionierte, war das eh keine Option.
Mit kalten Fingern zog ich mein Handy aus dem Rucksack ,schalteten die Taschenlampe an und ging in die Hocke.

Damit ich beide Hände frei hatte, klemmte ich mir das Handy unter mein Kinn und versuchte so geduldig ich konnte, das Schloss zu lösen.
Aber wie so oft, wenn etwas schnell gehen oder unbedingt funktionieren musste, tat es das natürlich nicht!
Hinter mir hörte ich eine Tür zufallen und schickte ein Stoßgebet zum Himmel, dass Alex mich hier auf dem Boden nicht sehen konnte.

Vergebens.
„ Guten Morgen, na musst du heute auch wieder los?"
Er ging zu seinem Auto und öffnete die Tür.
Bitte, bitte, bitte.... Lass dieses verdammte Ding jetzt auf gehen!
„ Ja, sieht so aus. Guten Morgen", und drehte mich gar nicht erst zu ihm um.
In der Hoffnung, dass er einfach in sein Auto steigen würde und zur Arbeit fuhr, hantierte ich mit meinem letzten Stück Geduld nochmals am Schloss herum.

Es ging nicht auf. Ich fluchte jetzt nicht mehr so leise, aber mir blieben noch 45 Minuten bis Schichtbeginn und ich war keinen Schritt weiter.
Alexander schien das Ganze beobachtet zu haben und kam zu mir herüber.
„ Diese Dinger klemmen häufiger mal, wenn es kälter wird. Soll ich es versuchen?"
Er ging neben mir in die Hocke und mich traf der Geruch von Duschgel und Aftershave.
Männlich....frisch....

„ Leuchte bitte mal kurz hier hin", und seine Schulter berührte meine.
Er wusste wie ich nackt aussah...
Das war das einzige, woran ich denken konnte!!
Während er mit einer Ruhe etwas den Schlüssel hin und her drehte und zusätzlich den Kolben zog, warf ich einen Blick auf seine Hände. Er hatte schöne lange Finger und gepflegte Nägel.
Das war so ein blöder Tick von mir...
Männer mit langen Fingernägeln waren ein absolutes No-Go!!

In Gedanken noch bei seinen Händen, hörte ich es plötzlich klacken und sein warmer Atem traf mich unvorbereitet am Ohr.
„ Geduld, Katharina! Dann geht es meistens. Ich kann es dir heute Nachmittag aber etwas ölen, wenn du möchtest!"
Wir standen gleichzeitig auf und ich wusste nicht, was ich sagen sollte.
Man überlegte zweimal was man sagte, wenn man sich so vor jemandem blamiert hatte, wie ich mich vor ihm.

„ Danke", war das einzige was ich mich traute zu sagen. Zum Glück konnte er nicht sehen, wie ich vor Scham rot im Gesicht wurde.
„ Hör mal, ich fahre jeden Tag um 7.30 Uhr zur Wache. Ich kann dich gerne mitnehmen! Zumindest in den Wintermonaten...Dann musst du nicht...".
„ Ich komme klar, danke", unterbrach ich ihn schnell. Mir saß die Zeit im Nacken und ich drückte mich etwas an ihm vorbei, um endlich loszufahren. Er trat zur Seite und ich schob mein Fahrrad langsam zur Straße.

Mist, ich hatte noch etwas vergessen, fiel mir ein.
„ Das mit dem Stellplatz für euer Pferd klappt übrigens, meinte Nike. Ihr könnt es zum Wochenende bringen", sagte ich zu ihm ohne mich umzudrehen.
„ Katharina, warte mal kurz... Bitte. !"
Nein.....Nein,nein, nein!
Ich hörte ihn auf mich zukommen und hoffte, die kalte Novemberluft würde seinen Duft endlich aus meiner Nase löschen.
Sie tat es nicht schnell genug...

„ Ich werde es niemandem erzählen, Katharina! Das was du mir anvertraut hast, bleibt bei mir. Ich möchte dir einfach nur sagen, dass ich jederzeit für Jule und dich da bin!"
Ohne auf das einzugehen, was er zu mir gesagt hatte, setzte ich mich auf mein Rad und fuhr davon.
Endlich...
Durchatmen...
Ich versuchte meine Gedanken zu beruhigen, während ich so schnell ich konnte zur Klinik fuhr.

7.45 Uhr
Um nicht den gleichen Fehler wieder zu begehen, nahm ich das Kettenschloss aus meinem Rucksack, befestigte es um den Rahmen und schloss mein Rad am Unterstand ab.
Ich hetzte Richtung Haupteingang, der Pförtner grüsste mich lächelnd im Vorbeigehen und dann wartete ich vor dem Fahrstuhl.
Das Schlimmste stand mir noch bevor!
Wie sollte ich reagieren, wenn ich Nike sah?
Sollte ich einfach alles auf den Alkohol schieben?
Oder einfach so tun, als ob nichts gewesen wäre?

Während ich gedanklich noch sämtliche Möglichkeiten durchspielte, den vergangenen Freitag vor Nike ungeschehen zu machen, öffneten sich die Fahrstuhltüren und ich stand ihr direkt gegenüber.

Unvorbereitet...

Ich hasste das!

Ich brauchte doch noch einen Augenblick, um mich für einen Plan zu entscheiden!

Zu spät.

Keine Angst, Liebes ! ( Dritter Teil )Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt