Coolness

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Endlich...

Mich empfing der vertraute sterile Geruch von Desinfektionsmittel, als ich aus der Umkleidekabine kam.
Dieser Geruch, der so vielen Menschen Angst machte oder schlechte Erinnerungen in ihnen weckte, war für mich etwas beruhigendes...

Ich war endlich wieder dort, wo ich gebraucht wurde!
Hier konnte ich zeigen, dass in mir mehr steckte, als eine schüchterne, unbeholfene Mutti.

Nike...

Sie hatte mich absichtlich provoziert!
Ich war so wütend und hatte erst viel zu spät gemerkt, dass sie mich einfach ein wenig aus der Reserve locken wollte. Ich hätte mir doch eigentlich zu einhundert Prozent sicher sein können, dass Nike niemals etwas tun würde, was mir schadete.

Langsam ging ich an den Patientenzimmern vorbei und warf neugierig vom Flur aus einen Blick hinein. Es schien wirklich relativ entspannt zu sein, was mir nur recht war.
Je näher ich unserem Stationszimmer kam, roch es nach frischem Kaffee. Ich hörte das vertraute Piepen, leises Gemurmel und dann stand ich plötzlich vor Tim.

Er sah mich mit prüfendem Blick an.
Tim...
Wir hatten unglaubliches Glück mit ihm als Stationsleitung. Er kümmerte sich um seine Patienten ebenso empathisch, wie um seine Mitarbeiter.
Mit seinen 45 Jahren hatte er schon so viel Erfahrung als Fachkrankenpfleger, dass er von uns allen geschätzt wurde!
Nicht nur als Leitung, auch als Freund!

Aus dem prüfenden Blick wurde ein Lächeln und mir standen Tränen in den Augen.
„ Willkommen zurück, Katharina", sagte er so herzlich und kam auf mich zu, um mich kurz zu umarmen.
„ Danke", war das einzige, was ich gerade antworten konnte.
„ Gut, dass du wieder bei uns bist! Komm, ich habe schon frischen Kaffee gekocht und erzähle dir eben alles wichtige.

Während ich von Tim eine Übergabe bekam und er mir kurz erklärte, wie und was er sich für die nächsten Wochen für mich vorstellte, kamen immer wieder kurz Kollegen/-innen zu uns, um mich zu begrüßen und mir zu sagen, wie schön es sei, dass ich wieder da war.
Ich notierte mir alles was wichtig war und dann machte ich dort weiter, wo ich vor drei Wochen aufgehört hatte.

„ Ich wünsche dir einen guten Start Katharina, du kannst dich immer melden, wenn etwas ist!", sagte Tim nochmals mit Nachdruck und dann hatte ich keine Zeit mehr, über irgendetwas anderes nachzudenken, als meine Arbeit.
Er hatte mich nicht auf die Trennung von Stefan angesprochen und dafür war ich ihm dankbar.

Der Aufwachraum war für die nächsten Wochen mein Bereich. Das hieß also, ich holte die Patienten von der Op-Schleuse ab und betreute sie solange, bis sie richtig wach und bestmöglich schmerzfrei waren, um sie dann wieder auf die normale Station verlegen zu können.
Von meinen neuen Arbeitszeiten passte das perfekt und ich war motiviert, wie schon lange nicht mehr.

Ich hatte die ganze Schicht über so viel zu tun, dass ich maximal Zeit hatte, um kurz zur Toilette zu gehen oder etwas zu trinken. Aber es tat einfach gut!
Kurz vor Feierabend klingelte mein Telefon zum gefühlt hundertsten Mal für heute und zeigte mir die Nummer der Op Schleuse an.
„ IT 3, Katharina", meldete ich mich trotzdem fröhlich, obwohl ich für heute ziemlich geschafft war.

„ Oh, schön deine Stimme zu hören! Ich habe schon mitbekommen, dass du jetzt im Aufwachraum bist", meldete sich Nike am anderen Ende.
Vorbei war es mit meiner Ablenkung...
Ich hörte ihre Stimme und spürte plötzlich ihre kühlen Lippen, wie einen Hauch an meiner Schläfe.

Instinktiv berührte ich diese Stelle und bekam wieder eine Gänsehaut...
Vielleicht lag es auch an der Klimaanlage...
„ Katharina, Niklas und ich haben hier noch Frau Bröcking für dich. Hüft- TEP rechts. Das war ne Nachmeldung. Bist du so lieb und holst sie ab?"
Okay...
„ Klar, bin schon unterwegs", und legte auf.

Der Weg zur Schleuse war nur kurz über den Flur und ich schob die Tür mit Schwung auf.
Nike und Niklas warteten auf mich, mit dem Bett.
„ Hey, Katharina", grüßte mich Niklas.
Ich murmelte irgendwas leises zurück und fixierte Nike.
Sie sah so gut aus...
In ihrer grünen Op-Kleidung mit Haube und Maske vor dem Gesicht.
„ Problemlose ITN, Katharina. Hat gerade schon ein bisschen Dipi bekommen, steht aber alles im Protokoll. Ich komm gleich eben rum und helfe dir!"

Während ich mit der Patientin wieder in den Aufwachraum zurückschob und sie an den Monitor anschloss, hörte ich Nike hinter mir hereinkommen.
Ihre blonden Haare waren an der Stirn etwas verschwitzt, das Stethoskop hing locker um ihren Hals, kein Wunder...
8 Stunden unter Haube und Maske...
Trotzdem sah sie so attraktiv aus wie immer.
Ungefragt half sie mir die Patientin richtig zu lagern und anzuschließen.

Während Nike noch die Sauerstoffsättigung im Blick hatte, haftete mein Blick auf ihr.
Sie war jetzt schon eine unglaublich gute Ärztin.
Mich zog nicht unbedingt das Äußerliche an ihr so an. Vielmehr war es ihre Art!
Diese Mischung aus Intelligenz, kritischem Denken, Schlagfertigkeit, Coolness und unglaublicher Empathie, fesselten mich immer wieder.

Ich deckte die Patientin noch etwas zu und ging zurück zum Schreibtisch, um die Vitalzeichen einzutragen. Die Narkosegase den ganzen Tag über setzten mir allmählich zu und ich rieb mir die Augen.
Gleich war Feierabend.
Während ich in der Orthopädie anrief und Bescheid gab, dass sie in einer viertel Stunde kommen könnten, um ihre Patientin abzuholen, kam Nike zu mir und stellte sich hinter meinen Schreibtischstuhl.

Ganz leicht legte sie ihre kühlen Hände auf meine Schultern.
„ Es tut mir leid, dass ich dich heute Morgen so provoziert habe!"
Ich schloss die Augen und ließ ihre Berührung zu.
Nikes Hände begannen sanft meine Schultern zu massieren und mein Kopf sackte automatisch nach vorne. Da es die letzte Patientin für heute war, befand sich außer uns niemand mehr hier hinten .
„ Ist schon gut, Nike. Ich bin einfach nicht so cool wie du!"

Sie drückte jetzt auf einen Punkt unter meinem Schulterblatt und ich stöhnte leise.
„ Das hat nichts mit cool zu tun!"
Ihre Hände lösten sich wieder von mir und sie beugte sich über meine Schulter, um in die Kurve der Patientin noch etwas einzutragen.
Dabei spürte ich ihre Brüste an meiner rechten Schulter. Sie fühlten sich klein und fest an, aber genau dieser Gedanke daran reichte, dass ich mein Becken automatisch auf meinen Stuhl drückte und fühlte, wie es zwischen meinen Schenkeln pochte.

„ Ich wollte dir übrigens noch von meiner Idee erzählen, Katharina", und sie stellte sich wieder gerade hin, drehte den Stuhl herum, so dass ich sie ansehen musste.
Was würde jetzt kommen?
„ Ich hätte einen Job für dich, den du perfekt mit den Kindern vereinbaren könntest! Einen Samstag im Monat. Sehr gute Bezahlung!!Allerdings müsstest du Nachts arbeiten...".

Ich sah Nike fragend an und speicherte die Informationen ab, die sie mir gerade gegeben hatte.
„ Das hört sich gut an. Meine Eltern könnten sich bestimmt das eine Wochenende kümmern."
Als ob sie ahnte, dass mir das, was sie mir gleich sagen würde, nicht ganz so gefallen könnte, ging sie langsam in Richtung Schiebetür und sah kurz auf ihr Diensthandy.
„ Du könntest als Tresenkraft im ECLIPSE anfangen!"

Ich stand ruckartig auf.
Der Blick mit dem sie mich jetzt aus sicherer Entfernung ansah, war definitiv provokativ!
Sie hatte gewusst, dass ich so reagieren würde.
Mit einem kurzen Blick auf meine Patientin, die aber noch schlief, ging ich mit schnellen Schritten zu Nike und funkelte sie aus bösen Augen an.
„ Bist du wahnsinnig? ICH?? In so einem Laden??", fluchte ich unterdrückt.
„ Du wirst woanders kaum in so kurzer Zeit mehr Geld verdienen, als in einer Nacht dort! Außerdem..., hilft es dir ja vielleicht auch persönlich etwas weiter dabei, herauszufinden was du möchtest....!"

Wie angewurzelt stand ich dort und hörte die Kolleginnen, die meine Patientin abholen wollten.
„ Schönen Feierabend, Katharina", lächelte sie mich an, drehte sich um und verließ den Aufwachraum.

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Keine Angst, Liebes ! ( Dritter Teil )Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt