Hilfsbereitschaft

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Ich war fix und fertig, als ich nach einer Stunde den Rasenmäher zurück ins Gerätehaus schob. Das Gras war viel zu lang und dazu auch noch sehr feucht gewesen. Kein normaler Mensch hätte diese Aktion gestartet.
Zumindest keine Frau...
Aber ich war jetzt auf mich gestellt.
Ich hasste nichts mehr, als andere Menschen um einen Gefallen zu bitten!

Schon gar nicht den neuen Nachbarn!
Erst recht nicht ihn!

Ich möchte wetten, dass er mich aus seinem Terrassenfenster beobachtet hatte, wie ich mich mit dem Rasen plagte.
Komplett verschwitzt, zog ich meine Sachen aus, stellte mich unter die warme Dusche und schäumte mich ausgiebig ein. Es tat so gut und meine Muskulatur entspannte sich sofort. Während mir der Schaum langsam den Oberkörper hinunter lief , dachte ich kurz, dass es auch Vorteile hatte, plötzlich keinen Partner mehr zu haben.
Niemanden interessierte es , ob die Beine oder der Intimbereich rasiert waren!
Ich nahm die Duschbrause, spülte das Duschgel von meinen mittlerweile ausgeprägten, dunkelblonden Löckchen zwischen meinen Schenkeln und stellte das Wasser wieder ab.

Alex....

Ich konnte ihn jetzt schon nicht leiden!
Männer die Frauen auslachten, mochte ich nicht.
Mit dem Typ Mann war ich fertig!
Nike wäre bestimmt eine passende Reaktion eingefallen;sie war selbstbewusst....und schön!
Aber mir...?
Wegen mir wurden die Männer schwul!

Frisch geduscht und mit bequemen Sachen, ging ich nach unten, kochte mir einen heißen Kaffee, nahm mir ein paar Lebkuchen und kuschelte mich in den Sessel vor dem großen Terrassenfenster. Ich deckte mich mit einer Wolldecke zu und wählte Tims Nummer.
Während es noch klingelte, beobachte ich mit Stolz den gemähten Rasen.
Selbst ist die Frau!

Morgen würde ich mich um die Fenster kümmern.
„IT 3 Tim, hallo?"
Ich musste lächeln. Ein warmes Gefühl durchströmte mich, als ich seine Stimme hörte.
Wir arbeiteten schon so lange zusammen und irgendwann war man mehr als nur Kollegen!
Wir teilten das Schicksal der Patienten aber auch die Sorgen untereinander.
„ Hi, hier ist Katharina."
Ich versuchte meine Stimme optimistisch klingen zu lassen, aber Tim konnte ich oft nichts vormachen.

„ Heey, na du, schön dass du dich meldest! Wir haben vor ner Stunde noch von dir gesprochen. Nike war kurz auf Station und ich hatte sie gefragt, wie es dir geht!"
Ich sah aus dem Fenster und konnte beobachten, wie mein Nachbar einen neuen Versuch mit der Heckenschere startete.
„ Deshalb rufe ich an. Tim, mein Mann und ich haben uns vor zwei Wochen getrennt. Ich will gar nicht so sehr ins Detail gehen, aber mir geht es aktuell noch nicht gut genug, um wieder meine Arbeit aufzunehmen. Hast du vielleicht die Möglichkeit, mich noch für eine Woche auszuplanen?"

Der Nachbar, Alex, war schnell!
Das machte er nicht zum ersten Mal! Mit geübten Handgriffen kürzte er die Hecke und glich sie hier und da etwas an. Musste toll sein, so einen Mann zu haben, der sich ohne große Dikussion um die Dinge kümmerte...
Stefan war immer genervt, wenn ich ihn gebeten hatte, mich etwas zu unterstützen.
„ Katharina, das ist doch gar kein Problem! Pass auf, was hältst du davon, wenn du nächste Woche Montag mit Zwischendienst startest. Du fängst um 8.00 Uhr an und hörst 15.30 Uhr auf. Dann müsste es mit deinen Kindern passen, oder?"

Ich schloss die Augen und hielt mir die Hand davor. Jetzt bloss nicht weinen....
„ Danke, Tim!", mehr konnte ich gerade nicht sagen.
„Ist doch gut, Katharina. Ich trage das direkt ein und dann freuen wir uns, dass du nächste Woche wieder da bist!"
Ich legte das Telefon zur Seite und jetzt rollten mir doch Tränen über das Gesicht.
Es tat unglaublich gut, wenn es Menschen gab, die einen unterstützten! Ich machte mir bloß Sorgen, ob ich den Alltag ab nächste Woche auch schaffen würde!?

>>Habe gerade mit Tim telefoniert. Ab nächste Woche Montag bin ich wieder da. Ich kann sogar erst einmal im Zwischendienst arbeiten.<<

Ich wollte Nike einfach selber Bescheid geben, damit sie es nicht von meinen Kollegen erfuhr. Geredet wurde bestimmt schon so genug über mich...

>>Oh, das klingt super. Tim ist wirklich ein Schatz. Ich mache auch gleich Feierabend. Darf ich heute Abend noch kurz bei dir vorbeikommen?<<

Ich zog die Decke etwas höher und drehte nachdenklich mein Handy in der Hand. Der Kontakt zu Nike tat gut, da sie die einzige war, die die ehrliche Geschichte kannte!
Wir konnten gute fachliche Gespräche führen und ihre liebevolle Art war momentan für mich Balsam für die Seele.

In Gedanken strich ich mit meinen Fingern über meine Unterlippe und biss ganz leicht mit den Zähnen auf sie drauf.
Wann war ich das letzte Mal geküsst worden?
Ich musste angestrengt überlegen...
Nicht nur so flüchtig, ich meinte mit richtiger Lust und Leidenschaft!
Ich konnte mich nicht mehr daran erinnern!
Mein Blick fiel auf den Roman, den ich seit  knapp drei Wochen nicht mehr weitergelesen hatte.
Dunkle Begierde...
Dann fand meine Art von Erotik eben ab sofort nur noch in Büchern statt... Was soll's!

Während ich diese bittere Tatsache runterschluckte, sah ich, dass Alex mich von der Hecke aus beobachtete. Er winkte mir kurz zu und forderte mich mit einer Geste auf, die Terrassentür zu öffnen.
Da ich nicht unhöflich sein wollte, stand ich auf, hielt meine dicke Decke um mich herumgewickelt und öffnete die Tür.

Sofort strömte mir die kalte Novemberluft entgegen. Er stand dort wirklich in einem kurzärmeligen Shirt ...
„Na, wollen Sie mir jetzt erzählen, dass der Rasen schief und krumm gemäht wurde oder haben Sie einfach nur wieder Lust, mich auszulachen?"
Ich erkannte mich gerade selber nicht wieder!
In seiner Anwesenheit ging ich sofort auf Angriff.
Trotzdem lief ich in seine Richtung und wollte mir zumindest anhören, was er noch von mir wollte.

Alex blieb trotz meiner Provokation ganz ruhig!
Kein blöder Spruch, kein Gegenkomentar.
Er lächelte.
„ Nein, ehrlich gesagt wollte ich DICH Katharina nur fragen, ob ich die Hecke auf deiner Seite direkt mit schneiden soll? Ich bin jetzt gerade dabei und es macht mir wirklich nichts aus!"

Damit hatte ich jetzt nicht gerechnet!

Er musste mir meine Gedanken ansehen, denn er sprach direkt weiter.
„Meine Tochter Mia und deine Tochter, gehen zusammen in eine Klasse. Mia hat mir erzählt, dass dein Mann vor kurzem ausgezogen ist....besser gesagt, deine Tochter hat es meiner erzählt. Ich wollte dir nur etwas Hilfe anbieten!"

War doch klar, dass die halbe Nachbarschaft Bescheid wusste. Ich würde später mit meiner Tochter in Ruhe sprechen müssen...
Wer weiß, was sie noch alles erzählt hatte.
„Danke, das ist nicht nötig. Ich komme ganz wunderbar alleine zurecht! Mir wäre es außerdem lieber, wenn wir beim SIE bleiben.... Alex,okay?"

Damit drehte ich mich um und spürte seinen Blick im Nacken.Alex sah gut aus, selbst verschwitzt, mit Blättern und Dreck auf seinem Shirt, sah er gut aus.
Ich wollte ihm einfach nicht die Genugtuung geben, mich als schwach anzusehen und beim SIE zu bleiben, war für mich eine Grenze, die ICH zog.

Eine Schutzmauer...
Momentan brauchte ich, bis auf meine Eltern und Nike, niemanden in meinem Leben, der mich unterstützte!
Ich ging wieder ins Haus und zog die Tür mit einem Ruck hinter mir zu.

>>Komm gerne vorbei. 20.00 Uhr wäre prima. Ich freu mich!<<

Das stimmte wirklich. Ich freute mich, wenn Nike später noch vorbei kam. Sehr sogar!

Keine Angst, Liebes ! ( Dritter Teil )Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt