Kapitel 16 ☾

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Mittlerweile waren zwei Monate vergangen seit dem Vorfall mit Jamal. Er hatte mehrmals versucht, mich zu erreichen, aber irgendwann aufgegeben, weil ich seine Nachrichten nicht einmal mehr öffnete. Die Jungs aus dem Park grüßten mich noch gelegentlich, wenn ich an ihnen vorbeiging, aber ich fühlte mich zu betrogen, um mit ihnen zu reden. Es war, als wäre eine unsichtbare Mauer zwischen uns entstanden.

Heute hatten Yara und ich ausgemacht, dass sie zu mir kommen würde. Ich brauchte Gesellschaft – dringend. Mein Kopf war voll mit Gedanken an Jamal, und langsam hatte ich das Gefühl, ich müsste mich irgendwie davon befreien. Ablenkung war jetzt mehr als nötig.

"Jamila, Yara ist hier!" rief meine Mutter aus dem Flur, als es an der Tür klingelte.

"Komme!" rief ich zurück und raffte mich widerwillig auf. Kaum hatte ich die Tür zu meinem Zimmer geöffnet, stand Yara schon vor mir.

„Wesh Wesh," begrüßte sie mich mit ihrer typischen Art.
„Bruuder, kommst du zu mir oder in den Club?" fragte ich sarkastisch und deutete auf ihr viel zu schickes Outfit.
„Ne, andersrum. Du kommst mit mit in den Club!" grinste sie breit und zog mich mit einem Ruck ins Zimmer.
„Was babbelst du da?" antwortete ich.

Ich konnte nicht fassen, dass sie ernsthaft dachte, ich würde mit ihr in diesem Zustand in den Club gehen.

„Jamila, du hängst seit zwei Monaten in deinem Zimmer, als wärst du in Untersuchungshaft. Du hast komplett vergessen, wie man lebt!"
„Keine Chance," sagte ich entschieden und setzte mich wieder auf mein Bett.
Doch Yara ließ nicht locker. „Bitte, Jamila. Du wirst sonst nie von dem Thema wegkommen."

Vielleicht hatte sie recht. Vielleicht brauchte ich wirklich einen kleinen Schubs, um aus dieser Endlosschleife von Grübelei und Schmerz herauszukommen. Ich verdrehte die Augen, um ihr zu signalisieren, dass ich nachgeben würde. Yara freute sich sichtlich und zog mich sofort an meinen Schminktisch.

Ich schminkte mich etwas mehr als sonst, glättete meine langen, dunklen Haare und wühlte in meinem Schrank nach etwas, das halbwegs passend für einen Clubabend war. Yara schien auf etwas ganz Bestimmtes zu warten – sie hielt plötzlich ein enges, schwarzes Kleid in die Luft und schrie fast vor Begeisterung.

„Das hier!" Sie grinste triumphierend.
„Nein," sagte ich entschieden. „Es reicht schon, dass ich überhaupt mitkomme."
„Jamila, bitte. Ich will nicht die Einzige im Kleid sein."
„Jede im Club hat ein Kleid an?" konterte ich trocken.
„Merkste selber, oder?" sagte sie mit einem sarkastischen Unterton.

Ich atmete tief aus. Widerwillig zog ich meine Jogger aus und schlüpfte in das enge, schwarze Kleid. Um es abzurunden, warf ich mir eine kurze, schwarze Jeansjacke über die Schultern und zog meine schwarzen Heels an.

„Und? Zufrieden?" fragte ich, als ich mich kurz drehte.
Yara nickte beeindruckt. „Wow."

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Die Musik wummerte laut durch den Raum, und die Menge tanzte um uns herum. Yara hatte schon ihren zweiten Drink in der Hand, während ich gerade erst an meinem ersten nippte. Ich trinke eigentlich garnicht. Ich hatte gehofft, dass mich die laute Musik, die Stimmung und die Menschen ablenken würden, aber es half nichts. Meine Gedanken kehrten immer wieder zu Jamal zurück.

Der Kontakt war völlig abgebrochen, und ich hatte mich mit aller Kraft bemüht, ihn aus meinem Leben zu verbannen. Doch in dieser Umgebung, zwischen den Lichtern und der lauten Musik, fühlte ich, wie seine Abwesenheit mich umso mehr belastete.

Plötzlich hörte ich eine laute, vertraute Stimme.
„Es reicht, Khoya!" Doch ich schüttelte den Kopf und versuchte, es zu ignorieren.

Ich nahm einen weiteren Schluck von meinem Drink, als ich aus dem Augenwinkel etwas sah. Eine Gruppe von Jungs lärmte laut, und in ihrer Mitte erkannte ich jemanden. Mein Herz setzte kurz aus. Jamal. Er sah verwirrt aus, schwankte leicht, und seine Freunde stützten ihn, als wäre er viel zu betrunken.

„Ist das sein Ernst?" murmelte ich fassungslos vor mich hin und starrte ihn ungläubig an. Gerade als ich realisierte, dass es wirklich Jamal war, löste er sich von seinen Jungs und torkelte Richtung Toiletten. Sein Gesicht war blass, und es war offensichtlich, dass er es nicht mehr lange schaffen würde.

Bevor ich überhaupt nachdenken konnte, hatte sich mein Körper schon von selbst in Bewegung gesetzt. Ich musste wissen, was los war.

„Jamila, wo gehst du hin?" rief Yara hinter mir, doch ich hörte nicht hin und folgte Jamal. Gerade noch rechtzeitig erreichte er die Toilettentür, bevor er sich über das Waschbecken beugte und würgte.

Mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen, als ich sah, wie er sich an das Waschbecken klammerte, als würde er jeden Moment zusammenbrechen. Ohne zu zögern, trat ich näher.

„Jamal?" fragte ich leise und legte ihm eine Hand auf den Rücken.

Er drehte sich langsam um, seine Augen waren glasig, und er brauchte einen Moment, um mich zu erkennen. „Jamila...?" murmelte er verwirrt.

„Wie viel hast du getrunken? Bist du krank?" fragte ich, genervt von seiner Verfassung, aber gleichzeitig besorgt. Ich wollte ihn nicht sehen, nicht jetzt, nicht so, aber ich konnte mich nicht davon abhalten, mich um ihn zu sorgen.

Jamal versuchte, sich aufzurichten, doch sein Körper gehorchte ihm nicht, also lehnte er sich gegen die Wand.

„Ich... ich wollte einfach vergessen... dich vergessen," sagte er schließlich, seine Stimme voller Schmerz.

Ich schluckte. Die ganze Situation war surreal.
Zwei Menschen, die beide versuchten, sich voneinander abzulenken, endeten im selben Club, zur gleichen Zeit.

„Vergessen?" wiederholte ich leise. „Denkst du, das hilft? Sich volllaufen zu lassen, bis du dich übergeben musst?"

Er lachte bitter, der Klang hallte in der kleinen Toilette wider. „Und du? Warum bist du hier? Du machst doch genau den gleichen Scheiss, oder?"

Ich wollte widersprechen, doch er hatte recht. Es war die Wahrheit. Ich war hier aus genau demselben Grund wie er. Um zu vergessen.

„Das spielt jetzt keine Rolle," sagte ich schließlich und drehte den Wasserhahn auf. Ich ließ das kalte Wasser in meine Hände laufen und trat zu ihm. „Komm her."

Er beugte sich leicht vor, und ich spritzte ihm vorsichtig das Wasser ins Gesicht. Er schloss die Augen und atmete schwer, als das Wasser seine Haut kühlte.

„Ich hab nie aufgehört, an dich zu denken," flüsterte er, während ich weiterhin versuchte, ihn aufzufrischen. „Egal, wie sehr ich es versucht habe... ich kann dich nicht vergessen."

Meine Augen brannten, und ich musste blinzeln, um die aufkommenden Tränen zurückzuhalten.

„Du hast dich nie erklärt," brachte ich schließlich heraus, meine Stimme leise und zitternd.

Jamal schüttelte den Kopf. „Ich hab's versucht, Jamila. Aber... irgendwann dachte ich, dass du besser dran bist ohne mich."

Ich konnte nicht anders, als ihn anzusehen. In seinen Augen sah ich die Wahrheit, eine Wahrheit, die mich traf wie ein Schlag in die Magengrube.

„Warum bist du so? Warum hast du uns zerstört?" flüsterte ich, meine Stimme kaum hörbar, als sie vor Emotionen brach.

„Jamila, bitte," flehte er leise, ohne den Blick von mir abzuwenden.

„Du hast mir so viel Leid zugefügt," flüsterte ich, während mir die Tränen über die Wangen liefen.

In einem Anflug von Frustration begann ich, auf seine Brust einzuschlagen, doch er packte sanft meine Handgelenke und hielt sie fest. Dann zog er mich an sich, hielt mich fest, als ob er mich nie wieder loslassen wollte.

„Es tut mir so leid, Mila," sagte er leise, seine Stimme voller Reue. „So, so leid."

Verliebt, trotz allem. - jamal blaqWo Geschichten leben. Entdecke jetzt