Kapitel 4 ☾

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Es war ein später Freitagabend. Hemshof war im Schatten der Dunkelheit eingehült und alles was ich sah, waren die Strassenlaternen.
Es ist einer dieser Nöchte wo meine Vergangenheit wie ein Felsen auf mir liegt. Die Jahre mit meinem Vater war die Hölle auf Erden. Ich musste abschalten.
Ich stand von meiner Matratze auf, da wir noch keine Betten hatten und zog mir einen Pulli und eine Jogginghose an. Ich huschte kurz ins Zimmer meiner Mutter und Amira um tu sehen ob sie schlafen und nahm meine Kopfhörer und bewegte mich in schnellen schritten das Treppenhaus runter.
Unten angekommen steckte ich meine Kopfhörer rein und schaltete meine Playlist an. Ich lief einfach. Ich hatte kein Ziel. Ich brauchte einfach andere Gedanken.
Die Strassen von Ludwigshafen waren zu meiner Verwunderung sehr leer. Das tat mir aber gut. Ich mochte es nie unter Menschen zu sein.

In der Dämmerung der Nacht nahm ich eine Gestalt wahr unter den flackernden Strassenlaternen. Rauch stiess immerwieder aus dieser Richtung und ich entschied mich die Richtung zu wechseln.

"Jamila." hörte ich durch meine Kopfhörer. Das bilde ich mir doch ein oder?-
"Jamila. bitte" hörte ich erneut.
Ich drehte mich langsam um und zog meine Kopfhörer raus und näherte mich der Gestalt. Es war Jamal. Er war in einem komplett besoffenen Zustand.
Soviel dazu, ein Spaziergang zu machen um
alles zu vergessen.
"Jamal, was machst du hier." fragte ich besorgt.
"Hilf mir bitte" war alles, was er aus sich rausbekam.
Ich nahm seine breiten Arme um meinen Nacken und stütze ihn beim gehen.
Die Straßen von Hemshof lagen still und verlassen da, die Luft war feucht und kühl, und die einzige Geräuschkulisse war das gelegentliche Summen der Straßenlaternen. Der Alkoholgeruch, der von Jamal ausging, mischte sich mit dem scharfen, süßlichen Aroma von Gras. Seine Augen waren halb geschlossen, und sein Körper hing schwer an meiner Schulter. Ich spürte jeden seiner unkontrollierten Schritte und versuchte, ihn in eine einigermaßen gerade Richtung zu lenken.

„Jamal, du machst es mir nicht gerade leicht", murmelte ich und biss mir auf die Lippe. Aber er antwortete nicht. Sein Blick war verschwommen, und er schien kaum noch bei Bewusstsein. Ich hatte ihn noch nie so gesehen – so hilflos, so verloren. Normalerweise war Jamal derjenige, der die Kontrolle hatte, der immer wusste, was er wollte und wohin er ging. Aber jetzt wirkte er gebrochen, wie ein Schatten seiner selbst.

„Wohin soll ich dich bringen?" Meine Stimme klang seltsam laut in der stillen Nacht. Er murmelte etwas Unverständliches, und ich seufzte. „Jamal, konzentrier dich. Wohin gehen wir? Zu dir nach Hause?"

Er nickte schwach, seine Stirn ruhte schwer gegen meine Schulter. Ich hielt einen Moment inne und sah mich um. Wir waren nicht weit von meinem Block entfernt, und ich wusste, dass Jamal im Block nebenan wohnt. Also kämpfte ich mich mit ihm die wenigen Straßen zurück, stützte ihn so gut ich konnte und versuchte, mein eigenes Herzklopfen zu ignorieren.

Der Aufstieg die Treppen hinauf war die reinste Tortur. Jamal schwankte bei jedem Schritt, und ich musste all meine Kraft aufbieten, um ihn auf den Beinen zu halten. Ich wusste nicht, ob ich wütend auf ihn sein oder Mitleid haben sollte. Immer wieder flackerte das Bild meines Vaters in meinem Kopf auf – die Nächte, in denen ich versucht hatte, ihn ins Bett zu bringen, weil Mama sich nicht mehr traute, sich ihm zu nähern, wenn er betrunken war. Die Schreie, das Fluchen, die gebrochenen Versprechen am nächsten Morgen.

„Hör zu, Jamal, du musst mir jetzt helfen, okay?" Ich drückte ihn mit dem Rücken gegen die Wand neben seiner Wohnungstür und kramte in seinen Taschen. Irgendwo musste er doch den Schlüssel haben. Er murmelte wieder etwas Unverständliches, seine Stirn glänzte vor Schweiß, und ich spürte, wie meine Hände zitterten. „Jamal! Konzentrier dich! Wo ist dein verdammter Schlüssel?" sagte ich panisch, da ich es hasste Menschen in so einem Zustand zu sehen. Meine Kehle schnürte sich von Sekunde zu Sekunde noch mehr zu.

„Hosentasche", murmelte er schließlich. Ich griff in seine Tasche und zog einen kleinen, silbernen Schlüsselbund hervor. Meine Finger waren kalt und klamm, als ich versuchte, die Tür zu öffnen, und es dauerte eine Ewigkeit, bis das Schloss endlich nachgab.

Ich zog Jamal in die Wohnung und stützte ihn zum Sofa, Seine Wohnung war überraschenderweise ordentlich. Schlicht gehalten mit wenigen Bildern und Pflanzen.
„Setz dich hin", sagte ich sanft und drückte ihn auf das Sofa. Er ließ sich schwer fallen und legte den Kopf in die Hände. Für einen Moment tat er mir wirklich leid.
Er wirkte zerbrechlich, wie ein Kind, das sich verirrt hatte.

Er sah mich lange an, und ich spürte, wie die Luft zwischen uns dicker wurde. Etwas veränderte sich in seinem Blick, und es machte mir Angst. „Jamila..." flüsterte er und beugte sich vor.

„Jamal, bitte, du bist besoffen," wies ich ihn sanft zurück.

„Entschuldigung," flüsterte er rau und wandte den Blick ab. „Ich... ich wollte nicht..."

„Es ist okay," sagte ich hastig. „Du musst dich ausruhen."

Er nickte langsam, und ich half ihm, sich auf das Sofa zu legen. Eine alte Decke lag auf dem Boden, die nahm ich und deckte ihn zu. Er griff nach meiner Hand, und ich ließ es geschehen.

„Danke," murmelte er, und seine Augen schlossen sich langsam. „Danke, Jamila."

Ich setzte mich auf den Boden neben ihm und lehnte meinen Kopf gegen das Sofa. Der Raum war still, abgesehen von seinem gleichmäßigen Atem. Flashback um Flashback jagte durch meinen Kopf. Ich wollte nur raus, um zu verdrängen, und nun saß ich in der Wohnung eines Mannes, den ich gerade erst kennengelernt hatte, und der mir wie eine junge Kopie meines Vaters erschien.

Nach einer Weile befreite ich mich aus Jamals Griff und ging in die Küche. Dort suchte ich nach einer Kopfschmerztablette und Wasser. Beides stellte ich ihm auf den Tisch und verließ langsam seine Wohnung, während die Dunkelheit mich wieder umhüllte.

Verliebt, trotz allem. - jamal blaqWo Geschichten leben. Entdecke jetzt