Kapitel 3 ☾

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Die nächsten Tage vergingen ruhig. Mama war mit dem Auspacken und Einrichten der Wohnung beschäftigt, während Amira und ich versuchten, uns an die neue Umgebung zu gewöhnen. Die Gegend war ein merkwürdiges Gemisch aus Leben und Gefahr – auf den ersten Blick war alles chaotisch und unordentlich, aber es gab auch eine gewisse Lebendigkeit, die ich aus unserer alten Heimatstadt nicht kannte.

Jamal hatte ich seit dem Vorfall auf dem Spielplatz nicht mehr gesehen, aber sein Gesicht schlich sich immer wieder in meine Gedanken. Es war schwer, nicht an ihn zu denken – besonders, weil ich ständig das Gefühl hatte, dass er aus irgendeiner Ecke auftauchen könnte.

„Komm schon, Jamila, lass uns rausgehen!", quengelte Amira eines Nachmittags. „Du hast versprochen, dass wir den kleinen Laden an der Ecke erkunden!"

„Okay, okay, wir gehen ja schon", seufzte ich und zog meine Jacke an. Ich wollte eigentlich drinnen bleiben, aber Amira war so aufgeregt, dass ich ihr den Wunsch nicht abschlagen konnte.

Als wir das Gebäude verließen, fiel mir sofort die veränderte Atmosphäre auf. Der kleine Platz vor dem Block, wo die Jungs letztens noch gesessen hatten, war heute viel lebhafter. Musik dröhnte aus einem tragbaren Lautsprecher, und eine kleine Gruppe junger Männer hatte sich versammelt. Einige von ihnen erkannte ich sofort – es waren dieselben Jungs, die damals mit Jamal zusammen gewesen waren.

„Guck mal, Jamila! Da ist der Junge von letztens!", rief Amira laut und deutete direkt auf Jamal. Ich hätte sie am liebsten sofort zum Schweigen gebracht, aber es war zu spät. Jamal drehte sich um und sah uns.

Er stand neben einem schwarzen BMW, der glänzend in der Nachmittagssonne funkelte. Ein paar Leute um ihn herum rauchten, andere diskutierten lautstark. Alle waren in Bewegung, als ob hier gerade etwas Großes passierte. Jamal hob eine Augenbraue, als er uns entdeckte, und winkte uns unerwartet zu.

„Hey, Jamila, Amira! Kommt mal her", rief er und trat von der Gruppe weg.

Ich zögerte. Mir war das unangenehm, mitten in einer Gruppe fremder Jungs aufzutauchen, aber Amira zog mich schon mit sich. Widerwillig folgte ich ihr, und bevor ich mich versah, standen wir direkt vor Jamal.

„Na, ihr zwei?", sagte er und lächelte Amira auf eine Weise an, die ihn sofort weicher wirken ließ. „Alles klar?"

„Ja!", piepste Amira begeistert. „Was macht ihr hier? Ist das dein Auto?"

Jamal lachte. „Leider nicht, Kleine. Noch nicht." Dann wandte er sich zu mir und sah mich mit einem undefinierbaren Blick an. „Was treibt euch raus?"

„Wir wollten zum Laden an der Ecke", murmelte ich und spürte, wie die anderen Jungs uns anstarrten. „Nur mal schauen."

„Aha." Jamal nickte und deutete mit dem Kinn auf die Gruppe hinter sich. „Dann kommt doch kurz mit, ich will euch jemandem vorstellen."

„Ähm, ich weiß nicht...", begann ich, aber Amira war schon losgerannt, ihre Neugier unstillbar. Seufzend folgte ich ihr und versuchte, mein Unbehagen zu unterdrücken.

„Das hier sind die Jungs", sagte Jamal, als wir näherkamen. „Hoodblaq. Meine Crew."

Sechs Köpfe drehten sich gleichzeitig zu uns um. Die meisten von ihnen hatten ernste Mienen, aber es lag auch etwas Spielerisches in ihrem Blick, als sie mich und Amira musterten. Ich versuchte, ihre Gesichter zuzuordnen: Da war ein Typ mit breiten Schultern und einem markanten Kiefer, wahrscheinlich Safraoui. Neben ihm stand ein etwas kleinerer Junge mit einem verschmitzten Lächeln, der mir als Mali vorgestellt wurde. Alim war der größte von ihnen, eine riesige, aber schlaksige Gestalt mit einer tiefen Stimme . Moussa und Veysel, die letzten beiden, waren etwas zurückhaltender, beobachteten aber aufmerksam.

„Moussa, Mali, Safraoui, Veysel und Alim", stellte Jamal sie kurz nacheinander vor. „Und das hier sind Jamila und ihre kleine Schwester Amira."

„Hi!", sagte Amira fröhlich und winkte.

„Hey,", sagte Safraoui und beugte sich zu Amira herunter. „Du kommst von hier?"

„Nein, wir sind gerade eingezogen!", verkündete Amira stolz, und ich hätte sie am liebsten gestoppt. Doch die Jungs schienen eher amüsiert als genervt. Moussa grinste breit.

„Dann willkommen im Viertel", sagte er. „Passt gut auf euch auf. Hier gibt's viele komische Typen."

„Meinst du, so wie du?", feuerte Amira frech zurück, und für einen Moment herrschte Stille, dann brachen alle in lautes Gelächter aus. Selbst ich musste schmunzeln.

„Du hast 'ne schlaue kleine Schwester", meinte Jamal und klopfte mir leicht auf die Schulter. „Ich hab' dir ja gesagt, dass wir Nachbarn sein müssen, damit wir ein Auge auf sie haben."

„Ach, komm schon, Jamal", unterbrach Moussa plötzlich. „Erzähl ihr doch, was wirklich abgeht." Seine Stimme war tiefer als die der anderen und trug eine gewisse Schwere.

„Was meinst du?" Ich sah Jamal fragend an.

„Wir machen Musik", sagte er schlicht. „Ich und die Jungs. Rap."

„Echt?" Das überraschte mich. Ich hatte ihn mir nicht als Rapper vorgestellt, aber als ich genauer hinsah, machte es plötzlich Sinn. Sein Auftreten, seine lässige Art, selbst die Weise, wie die anderen auf ihn reagierten – Sie hatten wirklich das Prototyp Rapper-Image.

„Ja", bestätigte Mali stolz. "Warte ab, du wirst es sehen."

„Jetzt übertreib nicht", murmelte Jamal und rollte mit den Augen, aber er konnte ein leichtes Grinsen nicht unterdrücken. „Wir arbeiten noch dran."

„Wir filmen gerade unser neues Musikvideo", gab Veysel von sich. „Ketama" Er unterbrach sich und sah mich an, als wolle er sicherstellen, dass ich verstand, was das bedeutete. „Bald wird unser Name in ganz Deutschland bekannt."

Das machte mich nervös. Ich wusste nicht, wie ich darauf reagieren sollte, also nickte ich nur unsicher. „Wow... das klingt... aufregend."

„Das ist es auch", sagte Jamal ruhig. „Aber es ist viel mehr als das."

„Ach ja?", fragte ich.

„Je bekannter wir werden, desto mehr Leute wollen sehen, wie wir fallen", erklärte Jamal. Seine Stimme war leise, aber ernst. „Das ist nicht nur Musik. Es geht um Respekt. Um Macht."

Ich nickte langsam. Es war klar, dass Jamal und seine Crew mehr als nur ein paar Jungs aus dem Viertel waren, die zufällig Musik machten.

„Passt auf euch auf", sagte Safraoui und grinste mich an.

Ich wusste nicht, was ich darauf sagen sollte, also nickte ich einfach.

„Wir sehen uns, Jamila", sagte Jamal schließlich und wandte sich ab, die anderen folgten ihm. Amira und ich blieben stehen und sahen ihnen nach, wie sie in den Hinterhof zurückgingen.

„Was denkst du, Jamila?", fragte Amira leise. „Werden die Jungs wirklich berühmt?"

„Vielleicht", murmelte ich abwesend.

Verliebt, trotz allem. - jamal blaqWo Geschichten leben. Entdecke jetzt