Kapitel 8 ☾

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"Wo bist du? Ich komme."

Ich stockte. Was sollte ich darauf antworten? Ich sehnte mich gerade nach Gesellschaft, aber war es die von Karim, die ich wollte?

"Nee, lass gut sein. Wir treffen uns ein andermal."
"Wie?"
"Muss los, tschau Karim."

Ich beendete das Gespräch, stand auf und holte das Essen, das Jamal und ich bestellt hatten. Mert, der meinen gehetzten Blick bemerkte, verpackte es schweigend. Sein Blick spiegelte Mitgefühl wider.

"Jamal ist ein guter Typ", sagte er, während er die Tüte über den Tresen schob. "Keine Ahnung, was heute mit ihm los war. Du musst ihm echt wichtig sein."

"Danke, Mert." Ich rang mir ein schwaches Lächeln ab.

Mit der Tüte in der Hand machte ich mich auf den Weg zurück zum Block. Entschlossen nahm ich mir vor, die Sache mit Jamal zu klären. Doch bevor ich die Treppen hinaufging, schaltete ich mein Handy auf Flugmodus. Ich atmete tief durch, dann klopfte ich an seine Tür. Es war still in der Wohnung, bis ich gedämpfte Schritte vernahm, die langsam zur Tür kamen. Schließlich öffnete Jamal.

"Was willst du?", fragte er kühl.
"Es klären."
"Warum? Ist Karim nicht gekommen?"
"Ich habe ihm nie zugesagt, Jamal."
"Komm rein." Sagte Jamal schliesslich und trat zur Seite.

Ich stellte die Tüte auf den Wohnzimmertisch und setzte mich. Jamal ließ sich neben mir nieder, aber seine Augen funkelten misstrauisch.

"Warum hast du ihm abgesagt?" fragte er scharf.
"Weil ich deine Nähe wollte, nicht seine." Die Worte verließen meine Lippen zögerlich.
"Du hattest meine Nähe, aber hast trotzdem vor mir mit Karim geschrieben. Ich verstehe dich nicht, Jamila."
"Jamal, ich wusste nicht, dass er mich so bedrängen würde, nur weil ich einmal antworte."
"Ich weiß nicht ..." Er seufzte schwer und lehnte sich zurück, die Arme verschränkt, als wollte er noch mehr Abstand schaffen.

"Jamal, bitte ..." ,sagte ich,"Ich verstehe dich, aber das war nie meine Absicht—"
"Hast du das gehört?" Jamal richtete sich plötzlich auf.
"Was?"
"Ob du das gehört hast?" wiederholte er, seine Stimme angespannt.
"Was denn—"

"JAMILA!" Ein lauter Ruf von draußen. Gedämpft, aber klar.

"Mach das Fenster auf!", sagte ich aufgeregt und stiess Jamal. Kaum war das Fenster geöffnet, wurden die Rufe deutlicher.

"JAMILA, KOMM RUNTER!"

"Wer ist das?", fragte ich, mein Herz raste. Jamal beugte sich hinaus.
"Ein Junge. Braune, lockige Haare."
"Karim."

Kaum hatte ich den Namen ausgesprochen, stürmte Jamal an mir vorbei und rannte die Treppe hinunter.

"Jamal! Warte!", schrie ich ihm hinterher, aber er war bereits außer Sicht. Hastig rannte ich hinterher, nahm die Stufen gleich zwei auf einmal, um mit ihm mitzuhalten.

"Was machst du hier?", rief Jamal, als er unten ankam.
"Wer bist du, Digga? Ich bin wegen Jamila hier."
"Was willst du von ihr? Du stresst sie den ganzen Tag."

Endlich unten angekommen rannte ich direkt auf sie beiden zu.

"Jamal, beruhig dich", sagte ich, während ich zwischen den beiden stand.
"Kannst du nicht für dich selbst sprechen, Jamila? Brauchst du 'nen Aufpasser?" Karim grinste spöttisch.
"Karim, was machst du hier?" fragte ich.
"Junge, du legst einfach auf und stellst dein Handy auf Flugmodus. Ich wusste nicht, was los war, und wollte nach dir schauen. Aber dann steht hier irgendeiner und meint, auf krass machen zu müssen."
"Rede anständig", warf Jamal ein.

Ich drehte mich zu Karim und versuchte die richtigen Worte zu finden in dieser abgefuckten Situation.

"Es tut mir leid, Karim. Ich wollte einfach Zeit für mich und habe mein Handy ausgestellt."
"Zeit für dich? Deshalb rennt ihr aus derselben Wohnung?" fragte er misstrauisch.
"Ja, also—"
"Warte. Ist das dein Freund?"
"Nein!" rief ich sofort. "Er ist ein Freund."
"Ach ja? Und warum benimmt er sich dann wie dein Freund?" fragte er sarkastisch.
"Weil du sie den ganzen Tag nervst!", unterbrach Jamal wütend.
"Was für nerven, Digga."
"Mach dich jetzt ab. Yallah." Jamal funkelte ihn an.
"Ich bin wegen Jamila hier, nicht wegen dir."

Ich wusste, ich muss Karim wegschicken denn sonst wird diese Situation komplett ausarten.

"Karim, ich denke, es ist besser, wenn du gehst."
"Ernsthaft?" fragte er mich mit aufgerissenen Augen.
"Karim—"
"Nee, alles gut. Ich check das. Schreib mir, wenn du wieder klar kommst."

Mit einem letzten Blick drehte er sich um und ging. Wütend starrte ich Jamal an, dann drehte ich mich um und rannte die Treppe hinauf. Ich wollte nur noch meine Sachen holen und weg.

"Jamila!", rief Jamal.
"Jamila, bleib stehen!"

Ich stieß die Tür auf, schnappte meine Tasche und zog hektisch meine Schuhe an. Da kam Jamal die Treppe hoch.

"Jamila, bleib hier."
"Geh weg", sagte ich kalt.
"Bleib hier. Wir müssen reden."
"Jamal, lass mich."
"Hör auf damit!" Jetzt schrie er.
"Verpiss dich, hab ich gesagt!"

Plötzlich verfinsterte sich sein Blick. Er griff nach meinem Handgelenk. Ich zuckte zusammen, als seine Finger sich um meinen Arm schlossen, und bevor ich es realisierte, stieß er mich so fest weg, dass ich hart auf dem Boden aufschlug.

Sein Ausdruck wechselte sofort. Die Härte in seinen Augen verschwand, und Panik trat an ihre Stelle.

"Jamila, ich ..." sagte Jamal, kaum lauter als ein flüstern. Seine Handfläche schwebte immernoch in der Luft.

Er machte einen Schritt auf mich zu, aber ich drückte ihn an seiner Brust weg.

"Ich habe dir von meiner Vergangenheit erzählt. Und du ..." sagte ich schockiert.
"Nein, ich— Fuck." sagte Jamal und griff sich an den Kopf.

Ich stand auf, ging an ihm vorbei und ließ ihn in seiner Wohnung zurück. Er blieb einfach stehen, den Blick leer. Ohne zurückzusehen, rannte ich nach Hause.

Verliebt, trotz allem. - jamal blaqWo Geschichten leben. Entdecke jetzt