Lies einfach dein Malbuch weiter.

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Die erste Viertelstunde schweigen sich die beiden an. Harry guckt sich verzweifelt nach einem anderen Sitz um, doch der Zug ist maßlos überfüllt und da Stehen noch immer keine Option ist, bleibt ihm einfach nichts anderes übrig. Vielleicht hat er nach dem nächsten halt mehr Glück. Vielleicht steigt dort jemand aus. Hoffentlich. 
"Lottie muss nicht wissen, dass ich über das Wochenende zu Hause war", unterbricht Louis dann mit einem Mal die unangenehme Stille zwischen ihnen und lässt Harry somit den Kopf neigen.
"Sie bekommt dann nur wieder ein schlechtes Gewissen", murmelt Louis leise und wendet sein Blick ab. Er sieht lieber aus dem Fenster.
Harry weiß nicht, was er sagen soll. Eigentlich ist es ihm ja auch egal. Und dennoch fragt er im nächsten Moment: "Warum soll sie es nicht wissen?"
"Sie hat sich früher schon genug um meine Geschwister gekümmert, wenn meine Mom arbeiten war. Sie soll ihr Unileben genießen. Das hat sie verdient."
Er sieht Harry dabei nicht an. Man merkt, wie unangenehm es ihm ist, Harry um diesen simplen Gefallen zu bitten. 
"Und was ist, wenn deine Geschwister oder deine Mutter es ihr sagen?"
"Mom weiß ebenfalls nicht, dass ich da war. Phoebe und Daisy halten dicht. Die waren einfach nur dankbar, dass ich gekommen bin. Sie hätten das hinbekommen, da bin ich mir sicher und das haben sie Mom auch gesagt, aber es ist schon eine große Verantwortung auf Zwillinge aufzupassen, wenn man selbst noch Teenager ist. Und die kleinen können noch nicht sprechen. Wenn du Lottie nichts sagst, wird sie es niemals erfahren."
 Der Lockenkopf nickt. 
"Ich sage ihr nichts."
Er möchte nicht, dass Lottie sich Vorwürfe macht. So wie er sie einschätzt, wird sie sich die ganze Zeit den Kopf zerbrechen. 
Wieder schweigen sie einen Moment, bis Louis erneut das Wort ergreift.
"Und? Hat sich deine Freundin gefreut, dass du wieder da bist?"
Ein gewisser Unterton schwingt in diesem Satz mit, doch Harry ist viel zu verdutzt, als dass er das bemerken kann. 
"Was?"
"Deine Freundin. So überschwänglich wie die sich in deine Arme geworfen hat, hat sie dich sicherlich sehr vermisst."
Harry muss nicht lange überlegen, um zu wissen, was Louis meint. Und genau deswegen muss er herzlich anfangen zu lachen, was Louis nur noch wütender macht.
"Louis", keucht Harry, wobei er versucht richtig zu atmen, so sehr muss er lachen. 
"Das war Gemma."
Bockig verschränkt Louis seine Arme. Ihm doch egal, wie die heißt.
"Meine Schwester, du Trottel."
"Ach und woher soll ich das wissen?", giftet er und verdreht seine Augen. Nur weil sie damals in der gleichen Kleinstadt gelebt haben, heißt das nicht, dass da jeder jeden kennt. Harry kannte Lottie ja schließlich vorher auch nicht. 
"Und außerdem habe ich dir doch schon gesagt, dass ich nicht auf Frauen stehe."
"Kann ja gelogen sein", murmelt der Ältere der beiden und zwingt sich dann wieder dazu, aus dem Fenster zu schauen. 
"Und warum genau sollte ich diesbezüglich lügen?"
Harry versteht den Sinn dahinter nicht. Was würde ihm diese Lüge bringen?
"Lies einfach weiter dein Malbuch."

Drei Stationen später ist noch immer kein freier Platz in Sicht und Harry gibt sich damit ab, dass er bis zum Ende neben Louis sitzen bleiben muss. Gesprochen haben sie seitdem nicht mehr, aber das ist dem Lockenkopf auch nur recht. Er wird aus Louis einfach nicht schlau. Bei diesen Stimmungsschwankungen kommt er einfach nicht mit. 
Er beginnt gerade das neue Kapitel seines Buches, als Louis' Kopf auf seiner Schulter landet. Erschrocken zuckt er zusammen und möchte den Quälgeist zurechtweisen, als er bemerkt, dass Louis schläft. 
Verdammt. 
Eigentlich kann er ihn wecken und einen dummen Spruch machen, aber unter den Bedingungen, dass Louis sich das ganze Wochenende um seine Geschwister gekümmert hat und vermutlich wenig Schlaf hatte, bringt er es einfach nichts übers Herz. 
Immerhin ist er kein Unmensch. 
Verkrampft sitzt er also da und starrt auf sein Buch. Louis' ruhiges und regelmäßiges Atmen macht ihn nervös und er weiß nicht mehr, wie man normal sitzt. Sitzt er immer so gerade?
Vermutlich. 
Er bleibt dann jetzt wohl einfach so sitzen und wartet, bis er wieder wach wird. Was soll er auch anderes machen? 
Er rutscht ein bisschen auf seinem Sitz herum, damit er es gemütlicher hat. Louis' Kopf bleibt dabei seelenruhig <auf seiner Schulter. 
Okay. 
So kann das klappen.
Wieder sieht er auf sein Buch und beginnt den Satz erneut zu lesen. 
Den Gedanken daran, dass das eigentlich ganz schön ist, verdrängt er lieber wieder ganz schnell. 



Salt&CaramelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt