Charlotte

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Wie sich in den folgenden Wochen herausstellt, hat es Harrys besten Freund richtig erwischt. 
Er ist verknallt und das vollkaracho.
Beinahe täglich trifft er sich mit dem jungen Mann, welchen er auf der Erstsemesterparty kennengelernt hat und wenn sie sich dann mal an einem Tag doch nicht sehen, schreiben sie ununterbrochen miteinander.
Harry freut sich für seinen besten Freund. Zayn hat es verdient glücklich zu sein, auch wenn das heißt, dass er und Harry weniger zusammen machen. 

Montags ist die Bibliothek meistens leer.
Die Studenten haben noch mit dem Wochenende zu kämpfen und wollen alle nur zurück ins Bett, sobald die Vorlesungen vorbei sind. Harry geht genau deswegen am liebsten montags hierher. Und auch, wenn es in der Bibliothek immer ruhig ist, mag er es so am liebsten. Ruhig und menschenleer.
Suchend sieht er sich in dem Regal um, in welchem eigentlich sein gesuchtes Buch stehen soll. Zumindest hat ihm das der Computer gesagt. Gleich am Eingang stehen mehrere davon bereit, damit man schnell zu seinem gesuchten Ergebnis kommen kann. Allerdings steht Harrys gesuchtes Buch nicht im angegebenen Regal. 
Verflucht. 
"Kann ich helfen?", möchte eine ruhige Stimme wissen und lässt den armen Lockenkopf erschrocken zusammenfahren. Neben ihm steht eine blonde Frau, ein sanftes Lächeln auf den Lippen und mit genau dem Buch unter dem Arm, welches er so dringend benötigt.
"Oh, ähm... eigentlich suche ich genau das", sagt er leise und deutet auf das Buch in ihren Händen. Die Blondine sieht an sich herunter, mustert das Buch und schenkt dem Lockenkopf dann ein liebevolles Lächeln. 
"Na, was für ein Glück, dass ich es gerade zurücklegen wollte."
Harry atmet erleichtert auf und nimmt das Buch entgegen.
"Danke, das Buch ist meine Rettung."
"Erstes Semester Psychologie?"
Harry nickt und die Blondine streckt ihm die Hand entgegen, welche er etwas schüchtern schüttelt.
"Ich bin Charlotte und im dritten Semester."
"Harry", antwortet er und lächelt.
"Bereitest du dich auf die erste Hausarbeit vor?"
Der Lockenkopf nickt und Charlotte geht einige Schritte weiter, greift nach einem anderen Buch und hält es Harry entgegen.
"Dann solltest du lieber das hier nehmen. Der Professor empfiehlt zwar immer das andere, aber die wirklich relevanten Dinge stehen eigentlich nur in diesem hier."
Dankend legt Harry das Buch auf das andere. Er wird einfach beide nehmen. Doppelt hält ja bekanntlich besser.
"Also, war schön dich kennenzulernen, Harry."
Die Blondine lächelt erneut, dann verschwindet sie in den nächsten Gang und Harry setzt sich an seinen vorher auserkorenen Platz, damit er mit den Notizen beginnen kann.

Als es spät wird, stellt er die Bücher zurück und verlässt mit seinem Rucksack das Gebäude. Sein Magen knurrt, was aber auch kein Wunder ist. Er hat heute nicht sonderlich viel gegessen.
"Na nu? Du bist ja auch noch hier."
Charlotte stellt sich neben ihn und lächelt schon wieder. Vermutlich eine Frohnatur.
"Ich wollte gerade gehen", erklärt Harry unnötigerweise, wobei sein Magen erneut knurrt. Und das dieses Mal um einiges lauter. Charlotte grinst, als sie das Magengrummeln hört.
"Wie wäre es, wenn wir im Bistro eine Kleinigkeit zusammen essen?"
Harry überlegt, zuckt dann aber mit den Schultern und nickt. Zayn wird vermutlich eh nicht zu Hause sein. Und Niall ist montags generell tot. Und wirklich mehr Freunde hat er hier an der Uni noch nicht gefunden. Zwar kennt er viele aus seinen Kursen und unterhält sich mit ihnen, aber als Freunde würde er sie jetzt nicht bezeichnen.

Charlotte und Harry finden einen freien Tisch und während die junge Frau sich einen Burger mit Süßkartoffelpommes bestellt, entscheidet Harry sich für Waffeln mit Speck.
"Und? Wie gefällt dir das Studium bisher?"
Harry schluckt seinen Bissen herunter und lächelt. "Es ist toll. Genau so, wie ich es mir vorgestellt habe." Zwar wäre er gerne schon viel weiter, ja er ist ein sehr ungeduldiger Mensch, aber gegen den Lehrplan kann er nichts ausrichten.
"War Psychologie deine erste Wahl?"
"Ich wusste schon früh, dass ich Psychologe werden möchte", gesteht Harry und sieht Charlotte in die Augen. "Und du?"
Die blonde Frau grinst und tunkt eine Süßkartoffelpommes in ihren Dip.
"Ich bin in einer Großfamilie aufgewachsen. Es ist wundervoll, wenn man so viele Menschen um sich hat, aber zeitgleich auch die reinste Hölle. Als Älteste machst du viel mehr Pubertäten durch, als du eigentlich willst und so habe ich beschlossen, dass ich entweder Erzieherin werde, oder Kinderpsychologin. Habe mich dann für letzteres entschieden, wobei ich ja erst das Grundstudium absolvieren muss, ehe ich mich auf einen Fachbereich festlege."
Harry seufzt leise. Er wollte auch immer viele Geschwister haben. 
"Hast du Geschwister?", fragt Charlotte, als sie das leise Seufzen hört und sieht den Lockenkopf neugierig an. Verneinend schüttelt dieser seinen Kopf.
"Leider nicht, aber ich habe mir immer Geschwister gewünscht."
Die Blondine lacht.
"Das sagt man nur, wenn man keine hat. Ich kann dir gerne meinen Bruder ausleihen. Der hat hier auch gerade angefangen zu studieren und ist die reinste Nervensäge."
Bei den Worten muss der Lockenkopf schmunzeln und schüttelt den Kopf.
"Danke für das Angebot, aber mein bester Freund ist ein ziemlich guter Ersatz. Und irgendwie fühlt es sich an, als wenn mein Nachbar der kleine Bruder wäre, den nie jemand haben wollte. Immer muss man auf ihn aufpassen und wenn man ihn mal für zwei Sekunden aus den Augen verliert, ist er spurlos verschwunden."
Niall ist diesbezüglich wirklich wie ein kleines Kind. 
"So wie mein Bruder", gesteht Charlotte lachend und verdreht ihre Augen. 

Die beiden verstehen sich so gut, dass sie nach dem gemeinsamen Dinner ihre Nummern austauschen. Charlotte hat viele hilfreiche Tipps für Harry und sie verabreden sich für den kommenden Tag erneut in der Bibliothek, damit die Blondine ihm einige ihrer alten Notizen geben kann. 
Harry lächelt, als er am Abend das Zimmer betritt.
Vielleicht hat er heute einen weiteren Freund gefunden. 


Salt&CaramelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt