Kapitel 25

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Ich wartete auf den Schmerz, doch es passierte nichts. Mehrere Sekunden lang schien ich in einer Zeitschleife zu hängen. Ballett galoppierte, ich klammerte mich mit den Beinen und einer Hand an ihr fest, mit der Anderen hielt ich den Koffer und wartete auf ein Stechen in der Brust, ein beißenden Schmerz im Bein oder sonst etwas. Doch da war nichts. Ich blinzelte einige Male verwirrt, bis ich den Wald vor mich wieder klar sehen konnte. Ballett rannte zurück auf den Weg der direkt nach Hause führte. Er hat nicht getroffen dachte ich ein wenig triumphierend. Die restlich Zeit auf Balletts Rücken verbrachte ich wie in Trance. Ich hielt mich einfach nur fest. Ballett machte alles allein, ohne Hilfen. Nach wenigen Minuten kamen wir auf dem Hof an. Ich ließ mich erschöpft von dem Rücken der Stute gleiten und lief mit ihr in den Stall. Den Koffer stellte ich neben dem Tor ab. Auf einmal ließ sie den Kopf hängen und begann ungewöhnlich zu humpeln. Ich führte sie in ihre Box und betrachtete ihre Beine. Als ich das vordere linke abtastete, fühlte ich eine warme Flüssigkeit und zuckte zurück. Meine Finger waren rot. Blut. Ballett hatte eine Wunde am Bauch. Juck hatte also doch getroffen. Es war eine relativ lange Schramme. Vermutlich ein Streifschuss. Balletts Beine knickten ein und sie sank ins Stroh.

„Oh mein Gott." Hauchte ich. Wie viel Blut musste sie bei dem Galopp schon verloren haben. Ich sprang auf und rannte ins Haus. Im Telefonbuch unseres Festnetztelefons befand sich noch die Nummer unserer alten Tierärztin. Wir hatten früher mal einen Kater, Billy. Eigentlich war Frau Roth spezialisiert auf Großtiere, Pferde, Esel, Kühe und so was, doch sie hatte die Tiere des Vorbesitzers schon versorgt und für Billy hatte sie immer mal eine Ausnahme gemacht. Ich suchte die Nummer und drückte auf grün. Es klingelte. Einmal. Zweimal. Dreimal. Es kam mir vor wie ein Ewigkeit.

„Tierärztin Dr. Roth. Wie kann ich ihnen helfen?"

„Dr. Roth? Ich bins Isabella, Isabella Price."

„Isabella. Was kann ich für dich tun."

„Sie müssen unbedingt kommen. Ich habe ein Pferd, Ballett, und sie hat eine große Verletzung am Bauch. Ich glaube sie hat eine Menge Blut verloren." In der Zwischenzeit liefen mir erste Tränen über die Wange und ich schluchzte immer wieder leise.

„Ganz ruhig, Isabella. Geh raus zu Ballett und nimm das Telefon mit." Ich rannte zurück in den Stall.

„Wie stark blutet es?"

„Dolle."

„Kommt das Blut pulsierend?"

„Ja, so in Schüben." Ich nickte.

„Geh mal zu Kopf und heb die Oberlippe an. Ist die Schleimhaut rosig?"

„Ja." Ich nickte.

„Du drückst jetzt drei Sekunden auf die Schleimhaut. Wenn du den Finger weg nimmst ist da ein weißer Fleck. Du sagst mir genau wann dieser Fleck wieder rosa wird, ok?" Ich nickte wie in Trance. Dan drückte ich auf die Schleimhaut.

„Ich lasse ... jetzt los." Erklärte ich leise. Der Fleck blieb weiß. Eine Sekunde. Zwei Sekunden. Drei. Dann wurde er wieder wie der Rest der Oberlippe.

„Jetzt." Erklärte ich.

„Ok. Isabella du gehst jetzt zum Auto und holst den Erste-Hilfe-Kasten. Du legst eine Kompresse auf die Wunde und wickelst dann einen Druckverband darum. Weißt du wie das geht?"

„Ja."

„Gut. Wenn es durch blutet, dann machst du noch einen darüber. Bis es hilft, ok? Ich bin in ungefähr einer viertel Stunde bei euch." Damit legte Frau Ruth auf und ich rannte zurück in die Küche. Mit dem Autoschlüssel lief ich wieder nach draußen und öffnete die Beifahrertür. Ich wusste das Dad den Kasten immer unter dem Sitz aufbewahrte. Ohne das Auto wieder zu schließen, rannte ich zurück in den Stall und tat genau das was Frau Dr. Ruth mir gesagt hatte. Ich legte einen Druckverband an. Es war nicht einfach, da ich Balletts Bauch ja nicht umwickeln konnte, musste ich die ganze Zeit die Hand darauf drücken. Nach wenigen Minuten kam Dad in den Stall.

Blue's SommerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt