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Life is not measured by the numbers of breaths we take, but by the moments that take our breath away.
- Maya Angelou

Pünktlich in der Schule aufzukreuzen war anscheinend doch einfacher als erwartet, zumindest wenn der Wecker seine Pflicht erfüllte. Ich hatte genug Zeit gehabt, um mich in Ruhe fertig zu machen. Als ich mit dem Auto über den vollen Parkplatz gerollt war und nach einem geeigneten Platz für meinen Volvo Ausschau gehalten hatte, hatte ich immer noch über zehn Minuten Zeit gehabt.

Jetzt saß ich gelangweilt wie eh und je im Physikunterricht. Ich verfluchte Isaac Newton für seine Intelligenz. Vielleicht bist du ja auch einfach nur neidisch. Darf ich vorstellen? Meine alles besser wissende innere Stimme, für die ich trauriger Weise noch keinen Ausschalter gefunden hatte. Leider hatte sie meistens (nicht immer, wohlgemerkt) Recht. Das kam wohl daher, dass man sein eigenes Unterbewusstsein nicht trügen konnte.

In der Mittagspause setzte ich mich mitsamt Essenstablett an einen leeren Tisch in der Cafeteria und biss genussvoll in meine Pizza. Mir entging nicht, dass mich alle komisch anstarrten, aber ich ignorierte es, mir war es egal. Das einzige, was mich nervte, waren diese Menschen, die sich für besonders sozial hielten und mich aufmunternd lächelnd, als wäre ich ein schüchternes kleines Kind, zu sich winkten. Wie sehr ich doch nicht dieses Kind war, wurde ihnen wohl erst bewusst, als ich ihnen meinen Mittelfinger präsentierte. Ich wusste, dass das nicht sonderlich nett war, da sie ja nur versuchten, mich ein wenig zu integrieren, aber auf diese mitleidigen Blicke, die so viel wie 'oh, die Arme, sie kennt noch niemanden und sitzt ganz alleine in den Pausen' bedeuteten, konnte ich auch gut verzichten. Nein danke, kein Bedarf.

Ich hatte eigentlich gedacht, dass meine Blicke so tötend wären, dass sich niemand in meine Nähe wagen würde, aber da lag ich wohl falsch. Denn in gerade diesem Moment rutschte sich jemand einen Stuhl an meinen Tisch und ließ sich plump darauf fallen. Verwundert musterte ich den Jungen, der es gewagt hatte, sich zusammen mit seinem überdimensional großen Sandwich zu mir zu setzen. "Guck mich nicht so an, du sitzt auf meinem Platz." Darauf wusste ich nichts zu antworten, komischer Weise. Vielleicht lag es aber auch daran, dass mir der Kerl irgendwie auf eine witzige Art sympathisch war und ich ihn deswegen nicht zur Schnecke machte. Für ihn schien es selbstverständlich, dass ich hier auch saß. Und das obwohl er mich überhaupt nicht kannte. Vor solchen Menschen, die so offen für alles waren und sich anderen gegenüber so mir nichts dir nichts öffneten, hatte ich einen heiden Respekt. Für jemanden wie mich waren diese Leute einfach nur bewundernswert.
Ich musste völlig bescheuert aussehen, wie ich so mit meinem Stück Pizza in der Hand und mit offnenem Mund dasaß und den Typen neben mir anstarrte. Er hatte einen verstrubbelten Lockenkopf und nicht süß oder romantisch verwuschelt, nein, einfach nur wirr durcheinander. Außerdem fielen mir noch seine tiefbraunen Augen auf, die mich stark an Schokolade erinnerten, auf, obwohl sie hinter seinen braunen Locken versteckt waren. Er wirkte nicht wie der typische Blaustrumpf, aber das war er wohl auch nicht. Alle, die vorbei liefen grüßten ihn oder schlugen ihm jovial auf die Schulter. Was war das denn für ein Typ? Irgendwie der Außenseiter, aber trotzdem noch integriert. Von ihm würde ich bestimmt viel lernen können, was das Überleben in dieser Hölle von Schule anging.

Ich fasste mir ein Herz.

"Hey, ich bin Florence, tut mir leid, dass ich dich so komisch angesehen hab, du hast mich überrascht." "Das bekomme ich öfter zu hören. Freut mich Florence, ich bin Luke, aber du kannst mich ruhig Luke nennen." Dieser Spruch war so alt und bescheuert, dass es schon wieder amüsant war. "Was für ein origineller Spitzname." Grinsend wandte er sich mir jetzt mit dem Gesicht zu. "Hast du etwa einen, der besser passt?" "Keinen, der sich nicht weniger bescheuert anhört als dein jetziger.", gab ich zwinkernd zurück. "Jaja, du mich auch. Wie haben dich deine Freunde immer genannt? Florence ist schon ziemlich lange, da brauche ich noch eine Abkürzung." "Keine Ahnung, ich hatte noch nie einen Spitznamen." Geschweige denn Freunde. "Kein Spitzname? Im Ernst jetzt? Was stimmt denn mit dir nicht, das müssen wir sofort ändern." Kurze Zeit sah er nachdenklich ins Nichts bis er plötzlich, ohne jegliche Vorwarnung, seinen Finger in die Höhe streckte und "Ich hab's!" rief. Dass ich meine Pizza vor Schreck hatte fallen lassen, überging er ohne ein jegliches Kommentar und lehnte sich vertrauensvoll zu mir rüber. "Bist du bereit? Bereit deinen ultimativen Spitznamen zu erfahren?" "Jetzt schuldest du mir ein Stück Pizza, verdammt. Ich hatte wirklich Hunger!" Ohne die kleinste Regung in seinem Gesicht schob er mir sein zweites Sandwich, das in Alufolie gewickelt noch auf seinem Tablett lag und darauf gewartet hatte, verschlungen zu werden, zu. Zufrieden wickelte ich es aus und biss genüsslich ab. Das beste Sandwich, das ich jemals gegessen hatte. "Mhhm, verdammt. Morgen hole ich mir auch eins von denen." "Das würde ich besser sein lassen. Die Sandwiches hier schmecken wie schon einmal gegessen. Die hier habe ich zu Hause selbst gemacht." "Junge, du hast das echt drauf." "Danke, Flo."

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