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Who bravely dares must sometimes risk a fall.
- Tobias Smollett

Der frische Duft von Zitronenmelisse schärfte meine Sinne und ich konzentrierte mich stark auf meine Füße, immer darauf bedacht, nicht zu stolpern und den Boden mit der Nase zu küssen. Ich hatte keine Ahnung, wie lange ich schon durch die düsteren Gänge des unterirdischen Labyrinths unterhalb unseres Hauses irrte, hier unten schien die Zeit stehen zu bleiben. Oder zumindest hatte ich das Gefühl, sie würde langsamer vergehen, das konnte allerdings auch nur Einbildung sein.
Ich ließ mich von dem angenehm erfrischendem Geruch durchfluten und atmete ihn tief ein, bis jedes Quäntchen meiner Lungen mit der zitronigen Luft erfüllt war. In den Händen hielt ich eine Taschenlampe und eine Karte, auf der ich grob kennzeichnete, wo ich schon entlang gegangen war. Irgendwann wollte ich schließlich keine Angst mehr haben müssen, mich zu verlaufen.

Ein neues Geräusch ließ mich hellhörig werden. Es klang nach leisem Geflüster, nein, mehr nach dem Wispern von Baumblättern im Wind. Angestrengt lauschend versuchte ich dem Flüstern entgegen zu laufen, aber ich hatte das Gefühl, dass es andauernd seinen Standort änderte. Ein mulmiges Gefühl machte sich in meinem Magen breit. Das hörte sich nicht gut an, überhaupt nicht gut. Als ich dann auch noch einen dunklen Schatten aus dem Augenwinkel wahrnahm, reichte es mir. Schneller als der Roadrunner flitzte ich durch die schmalen Gänge, ich wollte einfach nur weg von hier, von diesem Ort und dem Schatten. Nachdem ich einen Blick nach hinten gewagt hatte, trieb ich meine Beine an, noch schneller zu rennen, denn ich hatte das starke Gefühl verfolgt zu werden. Ich sah nichts außer Dunkelheit, aber gerade das bereitete mir eine unangenehme Gänsehaut am ganzen Körper und ließ mir einen eisigen Schauer über meinen Rücken fahren. Doch mir blieb nicht lange kalt, das Feuer war entfacht. Mein Blut begann zu kochen und stieg mir mit unheimlicher Geschwindigkeit zu Kopf. Ich spürte die Hitze als würden tausende von klitzekleinen Flammen auf meiner Haut züngeln. Auf einmal war die Luft nicht mehr so kühl wie zuvor und hatte tropische Temperaturen angenommen. Dadurch wurde mein Atmung immer hektischer und es fühlte sich an, als würden meine Lungen durch die heiße Luft versengt werden. Meine Muskeln brannten wie das heißeste Höllenfeuer und brachten mich nahe an die Toleranzgrenze von ertragbaren Schmerzen. Ich konnte nicht mehr, ich musste anhalten. Egal, wer oder was da hinter mir war, wenn ich jetzt nicht augenblicklich stehen blieb, würde ich zusammenklappen, unter Garantie.

Schlitternd kam ich zum Stehen und stütze mich vornüber auf meine Knie. Erst jetzt fiel mir auf, dass meine Haut einen rötlich goldenen Lichtschimmer ausstrahlte. Auch mein Haar, das mir in Strähnen in mein Gesicht hing, sah anders aus. Es...es war dunkelrot. Ein entsetztes Keuchen entfuhr meinen trockenen Lippen. Was passierte da mit mir?

Ein allesbetäubender Schmerz zwang mich auf die Knie, wo ich mich nach Luft ringend an der Backsteinmauer des Labyrinths festklammerte. Eine neue Welle des Schmerzes ließ mich die Augen zusammenpressen und entlockte mir einen markerschütternden Schrei, den man meiner Meinung nach im Himalaya noch hätte hören müssen. Vor Schmerz zitterte ich am ganzen Leib und mir wurde schlecht vor Schwindel. Keuchend öffnete ich die Augen und als sich die verschwommenen Umrisse wieder schärften und ich wieder den durch das Licht meiner tapferen Taschenlampe erhellten Gang sehen konnte, blieb mir die Luft zum Atmen weg. Das Licht meines tapferen Begleiters war gar nicht mehr nötig, da Feuer die Wände säumte, immer da, wo sich ein wenig Moos oder andere Pflanzen angesammelt hatten. Mit vor Schreck geweiteten Augen zwang ich meinen erschöpften Körper sich wieder aufzurappeln und diesen schrecklichen Ort zu verlassen. Die lichterloh brennenden Pflanzen erleuchteten meinen Weg und erleichterten mir die Sicht auf das angekokelte Stück Papier in meinen Händen, auch wenn meine Sicht auf die Karte immer wieder verschwamm und ich mich an der Mauer links oder rechts von mir festhalten musste, um nicht umzukippen. Die Erleichterung, die mich durchflutete, als ich raus aus dem Höllenkeller war, war wohl kaum zu beschreiben. Nachdem ich die Falltür wieder verschlossen uns hinter den Ranken versteckt hatte, schleppte ich mich zurück zum Haus, dankbar, dass ich alleine war und niemandem meinen Zustand erklären musste. Unter höchster Anstrengung gelang es mir, einen Fuß vor den anderen zu setzen und die Tür aufzuschließen, aber dann wurde es auch schon holprig. Alles drehte sich und auch ich fing an zu wanken und durch die Gegend zu torkeln. Schwarze Punkte tanzten vor meinen Augen, aber dennoch drängte ich mich dazu, die Treppe ins Visier zu nehmen. Die Angst, mein Vater könnte nach Hause kommen und mich hier unten so vorfinden, war größer als die, davor in Ohnmacht zu fallen. So zog ich mich am Treppengeländer Zentimeter für Zentimeter immer weiter nach oben, aber je mehr Weg ich zurücklegte, desto dichter wurden die dunklen Punkte, die vor meinem inneren Auge tanzten. Als ich es beinahe geschafft hatte und ich fast das Ende der Trepper erreicht hatte, wurde mir klar, dass ich es nicht schaffen würde. Ich fühlte die vollkommene Schwerelosigkeit, als ich rückwärts die Treppe hinunterfiel. Den Schmerz von dem Aufprall meines Rückens oder meines Kopfes auf den Treppenstufen spürte ich nicht mehr, alles um mich herum war bereits schwarz.

DestructionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt