Even Amor can fall

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Mein Blick glitt durch den Raum. Am lehnte an den weißen Kacheln der Wand und schaute genervt auf ihr Handy, Jerik hatte die Hände in den Hosentaschen vergraben und kräuselte leicht die Stirn - ein Zeichen dafür, dass er sich unwohl fühlte, Shawn starrte gelangweilt auf den Boden und Chase stützte sich an der Tür der Kabine ab, in der sich Bethany gerade die Augen ausheulte. Er sah erschöpft aus.
Die Bedeutung des Satzes 'Chase geht' wollte mir einfach nicht in den Sinn kommen. Könnte es nicht sein, dass sie traurig war, dass er mit einem anderen Mädchen zum Ball ging? Vielleicht sogar mit Am? Aber Amanda hätte das mir gegenüber sicher erwähnt und Beth würde aus sowas doch nicht so eine riesige Sache machen.
Dieser Satz hatte die unendliche Vielfalt eines Fächers. Man könnte den Satz von Hunderten Sichten betrachten.
Chase geht von der Schule.
Chase geht in ein anderes Land.
Chase geht nachts heimlich aus dem Haus und spielt Massenmörder.
Ich ließ mich auf den Boden sinken, wobei es mir ganz egal war, dass ich mich auf einer öffentlichen Toilette befand. Dieses Schweigen machte mich verrückt. Nicht mal mehr das Schluchzen der Brünetten war noch zu hören.
Meine Gedanken entwickelten sich in eine ganz falsche Richtung. Ich wollte keine Vermutungen aufstellen, ich wollte einfach klare Antworten. Und die bekam ich nur durch Fragen.
Um mich abzulenken, zog ich mein Handy aus der Tasche und schrieb meiner besten Freundin eine Nachricht: >Wäre es auffällig, einem Hustenanfall vorzutäuschen, um diese verdammte Stille zu brechen?<
An dem Vibrieren, das Amandas Handy jetzt von sich gab, erkannte ich, dass die Nachricht angekommen sein musste. Bevor sie allerdings zurück schreiben konnte, vernahm ich Bethanys kratzige Stimme, die so klang, als hätte sie sich stundenlang die Seele aus dem Hals geschrien. Dabei hatte sie das Gegenteil getan - stundenlang geschwiegen.
"Holt ihr jetzt schon die Kettensäge raus, um die Tür aufzubekommen?"
Und in diesem Moment fragte ich mich zwei Dinge: 1. Woher sollten wir eine Kettensäge nehmen? Und 2. Wer dachte bei einem vibrierenden Geräusch an eine Kettensäge?
Die Anderen schienen nach ihrem Satz aber nicht verwirrt, sondern völlig aus dem Häuschen zu sein. Wieso wurde Bethany gerade wie ein Kindergartenkind behandelt?
Im nächsten Moment leuchtete mein Bildschirm auf und mir wurde eine neue Nachricht angekündigt. Von Am, natürlich.
>Jill, wir versuchen die ganze Mittagspause lang, Beth zum Reden zu bringen und du schreibst mir eine Nachricht und schaffst das<, stand dort und ich musste grinsen.
>Ah ja, ich merk schon, wie sehr ihr euch bemüht habt, mit ihr zu reden, ihr habt generell so viele Worte gewechselt<
Als ich die Nachricht abschickte, vibrierte Ams Handy ein weiteres Mal und diesmal redete Beth nicht von Kettensägen, sonder schloss hastig ihre Kabine auf, sodass Chase, der dagegen gestemmt war, ins Straucheln geriet. Ha.
"Diese Vibration macht mich extrem nervös", erklärte sie, ohne auf unseren Harry Potter zu achten, der sich nicht vernünftig auf den Füßen halten konnte. Stattdessen lehnte sie völlig gelassen an der vollgeschriebenen Tür und würde man nicht ihre geröteten Augen und Wangen sehen, würde niemand auch nur annähernd erahnen, dass sie bis eben geweint hatte.
Und ich denke, dies ist der geeignete Zeitpunkt, um nochmal anzumerken, wie seltsam Bethany doch war. Amüsiert stellte ich mir vor, wie es wäre, wenn Jerik und sie allein auf einem Date wären und sein Handy vibrieren würde. Wahrscheinlich würde sie sich unter einem Tisch verstecken - was nicht gerade ein gutes Versteck war - und erwarten, dass jeden Moment ein Massenmörder mit Kettensäge auftaucht.
Vielleicht würde ich Jerik aus Spaß extra viele Nachrichten schicken. Und anschließend würde ich mit Skimaske und Kettensäge in den Raum stürzen und die beiden zu Tode erschrecken. Na, wenn das nicht mal das perfekte Halloween Kostüm wäre!

"Na ja, die Pause ist gleich vorbei und ich muss nochmal zum Schließfach, also...", ließ Shawn den Satz unbeendet in der Luft hängen und jeder von uns wusste, dass er jetzt wirklich verschwinden wollte. Würde ich auch wollen, wenn ich fast eine Stunde hier verbracht hätte.
Ich bemerkte aus dem Augenwinkel, wie Bethany die Augen weit aufriss."Gleich klingelts schon? Oh Mann, was hab ich die letzte Stunde nur gemacht?" Eilig trat sie aus dem Toilettentürrahmen und huschte zum Spiegel, um sich einmal kritisch blickend durch die Haare zu fahren.
"Geheult, wie es aussieht", sagte ich ohne meine Miene zu verziehen. Die strafenden Blicke der Anderen entgingen mir nicht. Sie sollten mal nicht so blöd gucken, schließlich wäre sie ohne mich wahrscheinlich schon längst vom Klo verschluckt.
Inzwischen war Bethany dabei, sich die verschmierte Schminke abzuwischen und ich erinnerte mich daran, wie sie mir ihren Concealer geliehen hatte. Vielleicht wäre es in diesem Moment angemessen gewesen, mich dafür zu revanchieren, aber ich war einfach zu faul, um jetzt Abschminktücher rauszukramen. "Tut mir wirklich schrecklich leid, dass ich euch so lange aufgehalten hab. Ich hab nicht auf die Uhr geschaut."
Bevor ich sie fragen konnte, was sie denn überhaupt Produktives in dieser Kabine gemacht hatte (Geredet und auf die Uhr geschaut ja schon mal nicht), kam mir Amanda zuvor:"Ist doch nicht schlimm, sowas machen Freunde nun mal."
Oh ja, sowas taten Freunde. Aber Freunde ließen sich auch gegenseitig nicht stundenlang in der Schule suchen und verschanzten sich letztendlich zu Fünft auf dem Mädchenklo, um sich dann anzuschweigen, So formuliert, hörte sich das Ganze noch skurriler an als es war.
"Denkt ihr, ich werde gleich auf den Fluren seltsam angestarrt?" Am liebsten würde ich meinen Kopf gegen einer dieser Wände schlagen. Wenn Blut auf weißen Fliesen nicht so hässlich wäre, hätte ich das vielleicht sogar gemacht. Dieses Mädchen war vor der kompletten Schule in einen Heulkrampf verfallen, hatte behauptet, das wäre, weil ihr Hund überfahren wurde und sich anschließend eine Stunde auf dem Klo eingesperrt. Wenn sie jetzt undercover bleiben wollte, müsste sie schon James Bond sein.
Nach einem kurzen Moment der Stille, in der anscheinend niemand vor hatte, ihr die extrem traurige Wahrheit beizubringen, sagte ich monoton "Ja", während Am die wohl offensichtlichste Tatsache mit einem beschwichtigten "Nein" abstritt. Nicht mal die dümmste Cheerleaderin hätte ihr diese Lüge abgekauft.
Jerik, Shawn und Chase hatten diesen gespielt unbeteiligten Blick aufgesetzt, der verriet, dass sie meiner Meinung waren. Natürlich würde sie auffallen.
"Machen wirs so: Shawn holt seine Sachen aus dem Schließfach und Am und Jerik können dich ja mit zu deinem Kurs begleiten, damit du den Blicken der anderen nicht so ausgeliefert bist." Diesen Vorschlag hätte ich sicher nicht ohne jegliche Hintergedanken gemacht. Wenn ich überhaupt noch etwas ohne Hintergedanken machte.
Ich wollte die Gelegenheit nutzen und Chase ausquetschen. Sonst wäre ich nie auf die Idee gekommen, Jerik und Am Beth auszuliefern.
Während Chase so aussah, als würde er mich am liebsten erdolchen, nickten die anderen und verschwanden murmelnd aus dem engen Raum.
Jetzt war ich allein mit einem Typen, den ich nicht leiden konnte und einer Menge Unklarheiten. Und ich hatte keine Ahnung, wohin dieses Gespräch eigentlich führen sollte, ich wusste nur, dass es geführt werden musste.

Amor? There's just me, but it's actually the sameWo Geschichten leben. Entdecke jetzt