Als ich am nächsten Morgen aufwachte, lag das Tablett noch immer neben mir am Boden. Es kam also in der Nacht keiner in mein Zimmer, so wie das im früheren Raum üblich war.
Gestern hatte ich dem Mädchen nicht geholfen. Es wäre sinnlos gewesen. Selbst wenn wir gemeinsam die Wachen besiegt hätten, wäre es unmöglich gewesen, durch das Energiefeld zu laufen. Man konnte hier nicht raus, das hatte mir Dr. Lewis deutlich zu verstehen gegeben.
Ich war also mit dem Tablett zurück in mein Zimmer gelaufen und hatte genau das getan, was man von mir verlangte. Ich hatte geschlafen.Doch es fühlte sich falsch an.
Ich hätte dem Mädchen helfen sollen. Obwohl ich sie nur einmal gesehen hatte, vertraute ich ihr seltsamerweise. Trotzdem hatte ich sie einfach mit den Wachmännern allein gelassen. Ich sah ständig ihren enttäuschten Blick vor mir, während sie sich umdrehte und mit dem Mann, welcher hinter ihr aufgetaucht war, tapfer weiterkämpfte. Natürlich konnte sie es nicht geschafft haben. Deswegen fühlte ich mich schlecht, aber es gab hier nun mal keinen Ausweg.Da klopfte wieder jemand an die Tür. Bevor ich aufstehen konnte, schwang sie auch schon auf und ein breites Grinsen lächelte mir entgegen. Dr. Lewis.
"Guten Morgen, 8. Ich hoffe du hast gut geschlafen, denn heute ist viel zu tun." Sie hatte ein Tablett mit Brot, einem Apfel und einem Wasserglas darauf in der Hand, welches sie mir hinhielt. Ich aß schnell alles auf, während sie mir weitere Details über den heutigen Tag verkündete.
"Nachdem du mit dem Frühstück fertig bist, wirst du mit mir in den linken Gang gehen, wo sich der Gemeinschaftsraum befindet, in welchem du die Anderen zum ersten Mal sehen wirst."Nicht zum ersten Mal, dachte ich, eine habe ich ja bereits kennengelernt.
Ich musste heftig schlucken, doch die Blondine schien nichts zu merken. Wusste sie gar nicht davon? Ich dachte sie würde mit den Wachen zusammenarbeiten, doch es schien nicht so. Alles, was ihr auffiel, war das leere Tablett auf dem Boden, das ich gestern dorthin gestellt hatte, da ich nicht wusste, wohin damit. Sie nahm es an sich und sagte: "Tut mir leid, das ich vergessen habe, dir zu erklären, wie das mit den Tabletts läuft. Jedes Mal wenn du mit dem Essen fertig bist, stell es einfach vor die Tür. Ich oder ein Wachmann werden es mitnehmen. Das kannst du gleich mir mitgeben." Sie deutete mit ihrem Kinn auf das Frühstückstablett, welches auf meinem Schoß lag. Ich war fertig, also gab ich es ihr und Dr. Lewis stapelte es auf das andere.
"Nun bitte ich dich, mir zu folgen."
Mit diesem Satz spazierte sie hinaus. Ich sprang von meinem Bett auf und folgte ihr. Sie schloss die Türe, als ich das Zimmer ebenfalls verlassen hatte und wandte sich an eine Wache, die im Gang stand. Dr. Lewis überreichte dem Mann die zwei Tabletts, welche er nickend wegtrug. Dann ging die Blondine zum Anfang des Ganges, an Tür Nummer 1 vorbei, wo gestern das brünette Mädchen gekämpft hatte.
Wir kamen bei der Abzweigung vorbei, an der man, wenn man links einbog, in den Hauptgang mit den großen Glasscheiben gelangte. Doch wir gingen geradeaus, in den linken Gang. Der sah nicht anders aus als der rechte, es gab auch nichts anderes als weiße Türen und weiße Wände, doch die Anzahl der Eingänge war geringer. Da waren gerade mal 3 Türen und Dr. Lewis marschierte auf die erste zu, auf der Gemeinschaftsraum stand.
Sie öffnete die Tür und sofort hörte man das Gebrüll eines Mädchens."ICH WERDE SIE UMBRINGEN, DAS SCHWÖRE ICH! SIE ALLE!"
Na das fängt ja schon mal super an.
Als wir den Raum betraten war es plötzlich still.
Es gab einen langen Tisch an dem sich an der einen Seite acht Stühle befanden, jeder mit einer Nummer versehen. 6 Teenager hatten bereits platz genommen. 3 von ihnen waren gefesselt.
An der anderen Seite gab es nur 3 unbeschriftete Stühle auf denen 2 Wachen saßen.
Alle starrten Dr. Lewis an.Nein. Sie starren MICH an.
Also starrte ich einfach mal zurück. Das Mädchen, welches eben noch geschrien hatte, war klein und hatte schwarze, glatte Haare. Sie war gefesselt und man merkte an ihren glühenden roten Wangen, dass sie außer sich war vor Wut. Rechts von ihr saß ein Junge mit braunen Haaren. Er trug eine Brille und trommelte nervös mit den Fingern auf der Tischplatte herum. Mein Blick wanderte noch ein bisschen weiter und da sah ich sie.
Das brünette Mädchen.
Sie starrte mich aus zusammengekniffenen Augen an und ballte die Hände zu Fäusten. Ich hatte schon Angst, sie würde aufspringen und mich erwürgen, doch ich stellte erleichtert fest, dass auch sie gefesselt war. Dennoch funkelte sie mich wütend an und ich beschloss, schnell weg zu sehen.Der letzte Sessel am Tisch, Nummer 8, war natürlich nicht besetzt, da er höchstwahrscheinlich für mich reserviert war. Neben meinem Platz saß auf Stuhl 7 ein schwarzhaariger, großer Junge mit einer merkwürdigen Augenfarbe. Als ich näher hinsah, erkannte ich sie.
Rot. Seine Augen waren Blutrot.
Ich zuckte zusammen und der Junge senkte den Blick.Das kann doch nicht seine natürliche Augenfarbe sein, oder? Was haben sie ihm angetan?
Und wieso interessiere ich mich überhaupt für ihn?Ich wandte den Blick ab. Daneben saß ein blonder, angeketteter Junge der ebenfalls sehr aufgebracht wirkte.
Doch weiter rechts von ihm war ein Mädchen, das so gar nicht ins Bild passte. Nr.5 ähnelte Dr. Lewis, da sie wie sie blonde Haare und blaue Augen besaß. Das Mädchen war sehr zierlich und wirkte im Gegensatz zu den anderen... extrem friedlich. Sie lächelte mich jetzt sogar an. Die Ähnlichkeit war wirklich verblüffend.
Mein Blick schweifte weiter zum nächsten Stuhl. Doch der Platz von Nr. 4 war leer.Bin ich doch nicht die Letzte?
Ich sah Dr. Lewis fragend an und sie strahlte wie immer, während sie erklärte: "Nr.4 ist ausgefallen. Ihr seid nur 7, doch ihr behaltet eure Nummern."
Die Schwarzhaarige fing an bedrohlich zu knurren. Doch Dr. Lewis ignorierte sie und fuhr fort. "Nummer 8, setz dich doch bitte auf den für dich vorgesehenen Platz." Mit diesem Satz ging sie auf die andere Seite des Tisches und setzte sich zwischen die zwei Wachen. Ich ging also auf Sessel 8 zu. Wieder starrten mich alle an. Manche neugierig und andere einfach nur hasserfüllt und wütend. Wahrscheinlich weil ich eine der wenigen war, die nicht gewaltsam auf ihren Stuhl gezerrt wurde.
Ich setzte mich neben den Jungen mit den roten Augen und hörte, wie mir Nummer 1, die Brünette, leise "Verräterin" zuzischte."Also", begann Dr. Lewis, "dann wollen wir mal anfangen." Sie stand auf und verschränkte die Hände hinter dem Rücken.
"Euch plagen schon die ganze Zeit dieselben Fragen, nicht wahr? 'Wieso bin ich hier?' 'Was hat das für einen Sinn?' oder auch einfach nur 'Wer bin ich?'. Nun, heute werdet ihr das erfahren. Zunächst einmal werde ich eure Namen nennen, damit ihr und alle anderen wissen, wie ihr heißt. Ich und meine Kollegen, sowie die Wachmänner, werden euch nur bei euren Nummern nennen, doch untereinander könnt ihr eure echten Namen verwenden. Eure Nachnamen und sämtliche andere Details eurer Vergangenheit sind nicht von Bedeutung. Ich weiß, ihr wollt gerne alles erfahren, doch einige Informationen sind zu... gefährlich. Bitte akzeptiert das."Sofort war jeder aufgebracht.
"WAS SOLL DAS?", schrie die Schwarzhaarige, Nummer 3.
"Sie sagten wir werden mehr über uns erfahren! Wieso nur die Vornamen? Das ergibt doch keinen Sinn!",sagte der Junge mit der Brille empört.
"WAS IST DAS FÜR EINE SCHEISSE HIER?!?", brüllte der Blonde, Nummer 6, ungeduldig.
Sogar Nr. 5, die Friedliche, war wütend und auch ich verstand das nicht.Wieso dürfen wir nicht mehr erfahren? Was befürchten sie?
Dr. Lewis beachtete die Unruhe nicht einmal und holte ihr Klemmbrett hervor. "Nummer 1: Alexa."
Es wurde wieder leise und wir alle sahen das brünette Mädchen an, welches nur die Arme vor der Brust verschränkte und Dr. Lewis weiterhin mit einem vernichtenden Blick anstarrte.
"Nummer 2: Simon." Das war der braunhaarige Junge mit der Brille.
"Nummer 3: Clarisse."
"Ich weiß. Elena hat es mir gesagt. Sie hat es gewusst. ALLES HAT SIE GEWUSST, AUCH DAS, WAS IHR UNS HIER VERHEIMLICHT!", schrie die Schwarzhaarige.Elena? Ist das Nummer 4? Wo ist sie?
Ich hielt mich zurück und stellte die Fragen nicht laut, da Clarisse schon wütend genug aussah.
"Nummer 4 ist... hat einen Fehler gemacht. Deshalb wird sie hier nicht mehr dabei sein. Dazu kommen wir später. Lasst uns doch zuerst mit den Namen fort..." Doch Dr. Lewis konnte nicht ausreden, denn Nummer 3 unterbrach sie mit einem Keuchen und brüllte dann:
"So ein Schwachsinn! SIE HABEN ELENA GETÖTET! EISKALT ERMORDET!"
Clarisse schluchzte und brach schließlich in Tränen aus.
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Stolen Life
Science FictionIch weiß nicht wer ich bin. Warum ich hier bin. Seit wann ich hier bin. Ich weiß nichts. Das Letzte, woran ich mich erinnern kann, ist, dass ich mit einer Droge beruhigt worden war. Einer Droge, die mich alles vergessen ließ. Finja wacht in einem le...