Kapitel 5

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Kay:

Seit einer gefühlten Ewigkeit sitze ich nun in dieser kleinen Zelle. Meine Kleidung wurde mir weggenommen und ich musste einen dieser orangenen Sträflingsanzüge anziehen, nachdem sie meine Personalien und Fingerabdrücke gespeichert haben. Jetzt weiß ich nicht, was ich tun soll. In diesem Raum gibt es nur eine Pritsche mit einer alten, fleckigen Decke darauf und eine flackernde Neonlampe, die notdürftig Licht spendet. Ich kauere in der Ecke und denke sehnsüchtig an meine Gitarre. Es ist nicht das erste Mal, dass ich im Gefängnis bin, aber es ist das erste Mal, dass es so ernst ist. Bisher konnte ich mich immer herausreden, aber diesmal ist ein Mensch gestorben. Ich werde einen guten Anwalt brauchen. Auf einmal geht die Türe auf und ein Polizist kommt herein. Er legt mir Handschellen an, führt mich in einen Verhörraum und geht wieder hinaus. Eine Weile bin ich alleine in dem Raum und starre ausdruckslos in den venezianischen Spiegel. Ich weiß, dass sie mich dahinter beobachten. Endlich geht die Tür erneut auf und ein anderer Polizist in Zivil betritt den Raum, knallt eine Akte auf den Tisch, setzt sich und schweigt. Ich lege meinen Kopf schief und beobachte ihn. Er ist ein mittelgroßer Mann mit unauffälligem Gesicht und kurzen braunen Haaren. Alles an ihm ist durchschnittlich. Sein Blick wandert an meinen Tattoos entlang. Vermutlich versucht er mich gerade in eine Schublade zu stecken. Als die Stille anfängt, unangenehm zu werden, klappt er die Akte auf und legt mir Bilder von dem toten Fahrer auf einem Autopsietisch vor die Nase. "Jason Green war ein Schlosser aus Chicago mit drei kleinen Kindern und einer Frau. Sie müssen jetzt ohne ihren geliebten Vater und Ehemann auskommen! Du hast ihnen diesen Menschen genommen!", seine Stimme wird immer lauter und ich muss schlucken. Ich wollte ihn doch nicht töten, das war Notwehr. Woher hätte ich wissen sollen, dass er eine Familie hat, wenn er sich so verhält? "Ich - ich will einen Anwalt.", sage ich mit brüchiger Stimme. Der Polizist nickt. "Wir setzen das Verhör dann fort, wenn ein Anwalt eingetroffen ist.", sagt er und verlässt den Raum. Ich lasse meinen Kopf auf den Tisch sinken. Verdammt! Meine Hände sind noch immer gefesselt und beginnen langsam zu schmerzen. Ich spüre wie Tränen sich in meinen Augen sammeln, aber ich kämpfe sie zurück. Bloß keine Schwäche zeigen, die Polizisten machen dich sonst fertig!, denke ich mir immer wieder wie ein Mantra. Irgendwann geht die Tür wieder auf und eine kleine, hübsche, dunkelhäutige Frau so um die vierzig kommt herein. "Hallo Kay. Ich heiße Maria Costa und bin jetzt deine Anwältin.", sagt sie mit ihrer weichen Stimme. "Lass uns in ein anderes Zimmer gehen, damit wir uns frei unterhalten können." Sie läuft in ein Zimmer neben dem Verhörraum. Hier hat es keine Mikrofone und Kameras nur einen Tisch und zwei Stühle. Sie setzt sich auf den einen Stuhl und bedeutet mit Platz zu nehmen. "Bevor wir über Jason Green reden, möchte ich gerne mehr über dich erfahren, erzählst du mir ein bisschen von dir?", fragt sie und holt einen Notizblock heraus. Ihre warmen braunen Augen blicken mich verständnisvoll an und ich fasse sofort Vertrauen zu ihr. Anfangs stockend und dann immer flüssiger erzähle ich ihr von meinem Vater, wie ich abgehauen bin und dem Leben auf der Straße. Sie hört gespannt zu und macht sich hin und wieder Notizen. Als ich fertig bin sieht sie mich bewundernd an. "Du hattest kein einfaches Leben und ich bin mir sicher, dass du niemanden vorsätzlich umbringen würdest." - "Womit wir beim Thema wären.", meine ich deprimiert. "Genau, erzähl mir von den Ereignissen gestern Abend.", sagt sie und legt eine Hand auf meine gefesselten Hände. Ich sehe sie an und hole einmal tief Luft, bevor ich den Abend in Gedanken noch einmal durchlebe: "Ich wollte von New York nach Chicago, also hab ich den Daumen rausgehalten. Ein SUV hielt an. Der Fahrer kam mir von Anfang an suspekt vor. Er lehnt sich zu weit rüber und grinste schleimig. Aber er war bereit mich mitzunehmen und deshalb bin ich eingestiegen. Irgendwann ist er aber vom Highway abgefahren und ich habe gemerkt, dass etwas nicht stimmt. Ich habe versucht, ihn aufzuhalten und es gab einen Kampf, dabei ist das Fenster gesplittert." Ich zeige ihr meine Wunden, die ich vorhin in der Zelle selbst notdürftig versorgt habe und fahre fort: "Schließlich bin ich aus dem Wagen entkommen, aber er hat mich eingeholt und wollte mich vergewaltigen. Ich habe mich gewehrt. Ein Schlag ging an seine Schläfe und er ist einfach tot umgefallen. Erst dachte ich, er wäre nur bewusstlos, habe ihn in den Wagen gezerrt und wollte an der nächsten Tanke Hilfe holen, aber die Polizei hat uns angehalten und dann entdeckt, dass der Mann tot ist." Sie sieht mich nachdenklich an und steht dann abrupt auf. "Ich muss etwas nachforschen gehen." Ich sehe sie irritiert an. Wieso dieser schnelle Wandel? Plötzlich fällt mir meine Gitarre wieder ein. Maria wäre die einzige Person, die sie mir wiederbringen könnte. "Warte! Ich habe meine Gitarre im SUV zurücklassen müssen. Kann ich die wiederhaben?", frage ich schnell, bevor sie verschwindet. Sie nickt nur. "Ich werde sehen, was sich machen lässt."  Und schon ist sie verschwunden. 



Hold on to me (girlxgirl)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt