Kapitel 8

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Tess:


Mit dröhnendem Kopf wache ich auf. Ein Blick auf die Uhr sagt mir, dass es jetzt 12 Uhr Mittags ist. Mit einem Stöhnen lasse ich mich zurück in die Kissen fallen. Seit Wochen bin ich nicht mehr zur Schule gegangen, lasse meine Freunde hängen und trinke und rauche zu viel. Ich fühle mich so leer, einsam und schlecht. Alle meine Ideale sind auf einmal unwichtig. Ich schotte mich emotional komplett von der Außenwelt ab, lasse niemanden mehr an mich heran. Louise schicke ich weg, sobald sie mir etwas zu essen bringen möchte, mein Vater ist seit Wochen nicht mehr zu Hause gewesen, mit Mark habe ich schon ewig nicht mehr nüchtern geredet und Emily benutze ich, um körperliche Nähe zu bekommen. Ich bin so ein schlechter Mensch. Mühsam rappele ich mich aus dem Bett auf und wanke ein paar Schritte ins Badezimmer. Mir ist kotzübel und das, obwohl ich seit Tagen nicht wirklich viel gegessen habe. Notdürftig spritze ich mir etwas Wasser ins Gesicht und putze mir die Zähne. Mein Anblick im Spiegel lässt mich erschaudern. Ich bin ein Wrack abgemagert mit dunklen Augenringen, strähnigen Haaren und ohne jeglichen Glanz in den Augen. Ich will mich gerade wieder ins Bett legen, als mein Handy anfängt zu klingeln. Ich gehe ran ohne auf das Display zu schauen. "Tess Koch hier." - "Aaaah Tess! Schön, dass ich dich erreiche! Hier ist Luigi, du erinnerst dich sicher noch." Verwirrt blinzle ich und suche in meinem Gedächtnis nach einem Luigi. "Der Fotograf! Wir haben zusammengearbeitet für dieses Parfum!", ruft er, als er merkt, dass ich mich nicht erinnere und jetzt habe ich auch ein Bild im Kopf. "Hallo Luigi.", begrüße ich ihn. "Ich habe hier einen Notfall, Tess. Kannst du heute Abend einspringen? In Düsseldorf, du müsstest um 20 Uhr da sein." Ein verlockendes Angebot. Ich liebe das Modeln und entscheide daher aus dem Bauch heraus: "Du kannst auf mich zählen Luigi." Er bedankt sich überschwänglich und nachdem er aufgelegt hat, fühle ich das erste Mal seit langem etwas wie ein Glücksgefühl. Voller Elan dusche ich mich, ziehe mich um und esse eine Kleinigkeit. Als ich aus dem Haus rennen will, stoße ich beinahe mit Mark zusammen. "Hey, wohin willst du denn so stürmisch?", fragt er mich grinsend und zieht mich in eine Umarmung. "Ich habe heute um 20 Uhr einen Modeljob bekommen in Düsseldorf!", rufe ich überschwänglich. "Super, das müssen wir unbedingt feiern!", sagt er und holt seine Autoschlüssel heraus. "Nein Mark, hinterher. Ich kann da doch nicht besoffen auftauchen." Er legt seinen Kopf schief. "Kommst du dann wenigstens mit? Carlos eröffnet seinen neuen Club heute Abend. Wir könnten ihm ja ein bisschen bei den Vorbereitungen helfen." - "Carlos ist dein Kumpel, ich hab nichts mit ihm zu tun.", entgegne ich und will an Mark vorbeischlüpfen, aber der legt seinen Bettelblick auf und ich merke, dass er nicht locker lassen wird. "Na gut, eine Stunde. Aber dann bin ich weg."

Carlos begrüßt uns überschwänglich am Eingang seines Clubs. Es sind mindestens fünfzig Leute da, die helfen wollen. Viel zu tun gibt es eigentlich nicht und die meisten sitzen nur untätig herum. Sektkorken knallen, die Stimmung wird lockerer. Auch ich genehmige mir das ein oder andere Gläschen. Irgendwer kommt auf die glorreiche Idee, die Musikanlage zu testen und wenige Augenblicke später finde ich mich in einer tanzenden Menschentraube wieder. Der Bass ist enorm und wird durch die Lasereffekte noch verstärkt. Ich habe eigentlich keine Lust zu tanzen und stelle mich deshalb etwas abseits. Mein Blick wandert durch den Raum und bleibt an dem Mädchen am DJ Pult hängen. Sie sieht auf und unsere Blicke treffen sich. Ihre Augenbraue zuckt und sie hebt die Hand, um mich zu sich zu winken. Schulterzuckend laufe ich zu ihr. "Hast du keine Lust zu tanzen?", fragt sie mich, nachdem sie ihre Kopfhörer abgenommen hat. "Bin noch nicht so in Stimmung.", meine ich und blicke auf meine Füße. "Willst du dir was wünschen? Vielleicht kommst du dann ja in Stimmung.", sie grinst mich schief an und sieht mir in die Augen. Verdammt, sie erinnert mich an jemanden, den ich eigentlich vergessen wollte. Ich schüttle nur den Kopf und wende meinen Blick wieder ab. "Legst du heute Abend auch auf?", wechsle ich schnell das Thema. "Ja, der Club hier könnte mein Karrieresprungbrett werden. Carlos hat einfach den Nerv der Zeit getroffen mit diesem Schuppen." Sie sieht mich wieder an. Und ein weiteres Mal bin ich vollkommen geflasht von ihr. "Ja... ja, das hat er.", murmle ich. "Ich bin übrigens Meike.", stellt sie sich vor und streckt mir ihre Hand hin. "Tess.", erwidere ich und schüttle kurz ihre Hand. Während sie sich ihrem DJ Pult widmet, mustere ich dieses schöne Mädchen. Sie ist noch jung, vielleicht 18 Jahre alt, ihre langen schwarzen Haare sind zu einem Zopf gebunden, sodass ihr Sidecut gut zur Geltung kommt. Sie trägt eine Lederjacke, zerrissene Jeans und Booties. "Na, gefällt dir, was du siehst?" Ich zucke zusammen. "Ich... ich..", mir fällt keine Ausrede ein für dieses Anstarren. Peinlich berührt sehe ich zu Boden. "Hey, ist nicht schlimm.", sie hebt meinen Kopf an, sodass ich ihr in die Augen sehen muss. "Ich weiß ja, dass ich heiß bin.", murmelt sie, bevor sie ihre Lippen auf meine drückt. Für einen Moment bin ich wie erstarrt, zu sehr erinnert mich der Kuss an etwas. Als sie sich wieder von mir entfernt, fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Kay. Sie ist wie eine langhaarige, umtätowierte, jüngere Version von Kay. Ich stoße sie von mir und starre sie schockiert an. "Was ist? Habe ich etwas falsch gemacht? Stehst du nicht auf Frauen?", fragt Meike verunsichert. "Ich... ", setze ich zur Erklärung an, aber in dem Moment strömen plötzlich jubelnde Menschenmassen in den Club. "Oh verdammt. Ungünstigster Zeitpunkt zum Öffnen.", meint Meike genervt. Ich ziehe mein Handy aus der Tasche und muss feststellen, dass die Displayanzeige 21 Uhr zeigt. Ich habe soeben meinen Termin verpasst. "Scheiße. Es tut mir echt leid, Meike. Ich muss jetzt ganz dringend los.", entschuldigend sehe ich sie an und will mich umdrehen, da steckt sie mir eine Karte zu. "Falls du es dir anders überlegst. Ruf mich an." Ich nicke bloß und stürme aus dem Club. Mark sehe ich nicht mehr. Zehn verpasste Anrufe von Luigi und drei wütende Nachrichten sind auf meinem Handy. Während ich mir ein Taxi herbeiwinke, wähle ich Luigis Nummer. "Tess. Du bist zu spät. Wenn du zusagst, musst du pünktlich sein. Der Job hat sich erledigt.", motzt er mich an und legt auf, ohne mich zu Wort kommen zu lassen. Das habe ich ja toll hinbekommen.


Hold on to me (girlxgirl)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt