Kapitel 18

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Kay: 

Langsam und genüsslich ziehe ich an der Zigarette. Das Nikotin beruhigt mich. Ich erzähle nicht gerne von mir. Zu tief sitzen die Wunden und zu sehr schmerzt es, mich daran zu erinnern. Aber Tess hat es verdient, von mir zu erfahren. Ich vertraue ihr und fühle mich so sicher bei ihr. Sie ist so liebevoll und sanft. Eine Beziehung mit ihr kann nur funktionieren, wenn sie über mich Bescheid weiß. 

Als die Zigarette fertig geraucht ist, hole ich Luft und beginne: "Es war der Tag nach unserem ersten Treffen in New York. Ich wollte nach Chicago trampen..." In einem Schwall erzähle ich ihr von dem widerwärtigen Trucker, wie sein Aneurysma geplatzt ist und die Polizei mich festgenommen hat. Von dem Prozess, meiner Anwältin Maria und wie ich für schuldig erklärt wurde. "Naja und durch einen Trick von Maria bin ich nach Deutschland gekommen. Sie hat meine Geburtsurkunde aufgetrieben und jetzt muss ich, statt ins Gefängnis zu gehen, Sozialstunden machen." Ich lächle matt. 

Die Geschichte mit dem Trucker setzt mir immer noch zu. Auch wenn ich es nicht zeige, so habe ich doch oft vor dem Einschlafen sein schmieriges Gesicht vor Augen. Wie kann jemand, der eine Familie hat, so etwas grausames tun? Die Bilder werden mich wahrscheinlich noch eine ganze Weile begleiten. Ich weiß, dass ich ihn nicht getötet habe, aber ich bin verantwortlich für seinen Tod. 

Tess sieht mich schockiert und traurig zugleich an. "Es ist nicht fair. Du wolltest dich doch nur wehren. Es tut mir so leid, dass dir so etwas passieren musste." Sie nimmt vorsichtig meine Hand. "Wieso tun Menschen so grausame Dinge? Hatte dieser Mann kein Gewissen?", fragte sie wütend. "Als Straßenkind hat man es nicht leicht. Die anderen Menschen sehen einen als leichte Beute an.", versuche ich zu erklären. Aber eigentlich habe ich dieselben Fragen im Kopf wie Tess. "Ich bin froh, dass du mir davon erzählt hast. Und ich werde es niemandem weitersagen.", versprach sie und umarmte mich. Ich nickte nur und versuchte die eben heraufbeschworenen Bilder wieder loszuwerden. 

Nach einigen Momenten der Stille fragt mich Tess vorsichtig: "Ist dir... ist dir so etwas öfter passiert?" Ich sehe ihr in die Augen. Schmerz flammt auf und ich erlaube ihr, ihn zu sehen. Sie sieht mich verständnisvoll an und streicht mir beruhigend über den Rücken. "Du musst nicht davon erzählen, wenn du nicht willst.", beruhigt sie mich, aber ich will mich ihr öffnen. "Es... es gab nie eine Situation, aus der ich nicht herausgekommen wäre...", erkläre ich ihr stockend. "Also.. es ist nie wirklich was... passiert. Ich konnte mich immer wehren oder Hilfe holen. Aber... es bleiben immer Spuren. Das Vertrauen in die Menschen... schwindet. Besonders in die Männer." Sie nickt. "Ich weiß, was du meinst. Ich hatte auch schon unangenehme Situationen in Clubs oder bei Fotoshootings. Aber ich war nie alleine. Immer war Mark da oder andere Freunde, die mich retten konnten." Ich bin erstaunt, dass sie mich mit ihren 17 Jahren schon so gut verstehen kann. "Du bist sehr reif für dein Alter.", bewundere ich. Sie lächelt mich nur an. "Das sagen viele. Innerlich fühle ich mich aber trotzdem total unsicher.", gesteht sie. "Ich glaub, dass das auch nicht besser wird, wenn du älter wirst. Ich fühle mich noch kein bisschen erwachsen.", erkläre ich ihr und nehme einen Schluck Wein. 

Wir trinken ein paar Momente schweigend, ehe ich sie frage: "Wann hast du eigentlich Geburtstag?" Sie grinst: "Samstag in einer Woche. Dann bin ich endlich 18 und brauche meine blöden falschen Ausweise nicht mehr." Perplex starre ich sie an. So bald hatte ich nicht damit gerechnet. "Wann ist deiner?", fragt sie mich. "Der war vor zwei Wochen. Ich gebe aber nicht so viel drauf. Habe schon ewig nicht mehr gefeiert.", erwidere ich. "Oha. Dann habe ich ja deinen Geburtstag verpasst. Nächstes Jahr wird er groß gefeiert." - "Ohje. Dann werde ich 30. Das klingt schon so alt.", ich vergrabe den Kopf in ihrem Pulli und sie wuschelt mir durch die Haare. "Feierst du deinen Geburtstag dieses Jahr?", nuschle ich aus ihrem Pulli heraus. "Ja, ich denke schon. Es ist immerhin mein 18." - "Der Tag, ab dem wir legal zusammen sein können.", erkläre ich und richte mich auf. Sie nickt und wendet ein: "Aber nicht in der Schule. Ich kann nicht zulassen, dass Frau Schmid davon erfährt und du nach Amerika musst.Bis zu meinem Abitur sind es noch knapp sieben Monate." - "Meine Sozialstunden sind im Mai fertig. Also etwas früher. Das werden wir schon durchstehen. Du kannst ja immer zu mir kommen oder ich zu dir.", beruhige ich sie. Sie nickt und kuscht sich an mich.

Hold on to me (girlxgirl)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt