Kapitel 16

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Kay:

Ich wache auf und sehe in das schlafende Gesicht von Tess. Es gibt keinen schöneren Anblick am Morgen. Ihre Arme sind um meinen Körper geschlungen und ihr Kopf liegt auf meiner Brust, das Gesicht zu mir gewandt, lächelnd. Sie sieht so friedlich aus, wenn sie schläft, so perfekt. Eine Welle der Liebe durchflutet mich. Ich fühle mich zu Hause angekommen. Am liebsten möchte ich für immer hier bleiben. Auf der Couch mit Tess auf meiner Brust. 

Aber die Realität trifft mich wie ein Schlag ins Gesicht: Sie ist vergeben. Ich sollte nicht hier sein mit ihr, in dieser Position. Bisher haben wir nur gekuschelt, aber auch das ist nicht fair gegenüber ihrer Freundin. Mal abgesehen davon bin auch ich vergeben, mehr oder weniger. Und das mit meiner Chefin, die mir wahrscheinlich kündigt, wenn ich Schluss mache. Ich muss hier weg. Vorsichtig will ich mich aus ihrer Umarmung befreien, aber Tess kuschelt sich noch enger an mich und seufzt. Sie streicht ihr Gesicht wie eine kleine Katze an meiner Brust und mein Herz schmilzt. Ich küsse sie sanft auf die Stirn und erlaube mir den Moment zu genießen. Freundinnen hin oder her, mein Herz sagt mir klar und deutlich, was es will. 

Ich beobachte Tess noch eine Weile beim Schlafen und lausche ihrem ruhigen, gleichmäßigen Atem. Ich war noch nie so entspannt wie in diesem Moment, seit ich wieder in Deutschland bin. Lächelnd sehe ich auf das schöne Mädchen herab und merke, dass sie wach ist. 

"Guten Morgen.", schnurrt sie. "Guten Morgen.", antworte ich liebevoll. "Ich liebe es, so aufzuwachen.", gesteht sie und richtet sich langsam auf. "Das war mit Abstand mein schönstes Weihnachtsfest bisher.", sage ich und streiche ihr eine Strähne aus dem Gesicht. "Aber du hast mir immer noch nicht deine Moselfotos gezeigt.", erinnere ich sie. Sie grinst. "Das mache ich auch noch, aber lass uns erstmal frühstücken.", sagt sie und geht in die Küche. Ich folge ihr. Alles an diesem Haus ist riesig. Ein riesiger Fernseher, riesige Türen und Fenster, riesige Zimmer und eine riesige Küche. Aber wenn niemand da ist, um den ganzen Platz mit Wärme zu füllen, ist es bestimmt sehr einsam. Auch bei so viel Platz kann man sich eingesperrt fühlen. Tess dreht sich zu mir um und fragt: "Was willst du frühstücken? Wir haben Eier, Toast, Aufstrich, Käse.... Ach schau einfach selbst und bedien dich. Ich mach uns Kaffee." Sie reißt den riesigen Kühlschrank auf und ich stehe vor einer unglaublichen Auswahl. So viel Essen auf einmal hatte ich bisher nur im Supermarkt gesehen. Ich greife hinein und nehme einen Joghurt raus. "Was frühstückst du?", frage ich Tess. "Ich nehme nur Kaffee und eine Zigarette. Ich frühstücke nur sehr selten mehr.", erwidert sie und gießt zwei Tassen Kaffee ein. Dankend nehme ich meine entgegen und setze mich auf einen der Barhocker am Küchentresen. Sie öffnet das Fenster, holt einen Aschenbecher vom Fensterbrett und setzt sich mir gegenüber. "Auch ne Kippe?", fragt sie und ich nicke. 

Schweigend rauchen wir einige Züge bis ich herausplatze: "Was ist mit dir und Emily? Hast du kein schlechtes Gewissen?" Tess schüttelt den Kopf und stellt fest: "Ich glaube, da gab es einige Missverständnisse." Ich lege den Kopf schief und mache ein fragendes Gesicht. Tess holt tief Luft und beginnt: "Als ich aus New York zurückgekommen bin, war ich total durcheinander wegen dir. Ich war so durch den Wind und konnte irgendwie mit niemandem drüber reden. Mark hat dann Partys für mich geschmissen und versucht, mich abzulenken. Auf einer Party war Emily da und ich war sehr betrunken... naja und dann..." Sie druckst herum, schaut weg und ich sehe, wie sie rot wird. Ich weiß, was sie mir erzählen will. Ich habe es ja bereits von mehreren Seiten gehört. "Sie hat dich entjungfert.", stelle ich nüchtern fest. "Ich bin da echt nicht stolz drauf. Aber mehr ist nicht passiert. Seitdem denkt sie aber, dass sie einen Anspruch auf mich hätte. Aber ich will sie nicht.", sie ist den Tränen nahe. "Wie konnte das alles nur so schief gehen? Ich hatte doch alles. Ich war glücklich. Jetzt ist es nur noch ein großes Chaos. Und den einzigen Job, den ich seit New York hatte, habe ich auch versaut." Ihre Zigarette fällt ihr aus der Hand und sie schluchzt laut auf. Ich komme um den Tresen herum und umarme sie fest. Sanft wiege ich sie hin und her. "Solche Dinge passieren. Jetzt sind wir hier. Zusammen. Und wir können es ab jetzt besser machen." Ich blicke mich nach einer Packung Tempos oder ähnlichem um, sehe aber nur Küchenrolle. Ohne Tess loszulassen, fische ich die Küchenrolle von der Anrichte und reiche sie ihr. "Danke.", murmelt sie und putzt sich geräuschvoll die Nase. "Du hast mich echt aus der Bahn geworfen.", stellt sie trocken fest und grinst durch die Tränen hindurch. "Du mich auch.", antworte ich und auf einmal sieht sie mich überrascht an. "Wirklich? Du wirkst immer so tough. Ich kann dich überhaupt nicht einschätzen." Ich lache. "Ich bin alles andere als tough. Auch bei mir steht mein Leben Kopf seit ich dich getroffen habe. Du hast so eine wahnsinnige Ausstrahlung." Seit ich weiß, dass mit Emily nichts läuft, werde ich mutiger. Tess sieht mich an, ihr Gesicht ist vom Weinen ganz verquollen und rot, aber trotzdem ist sie für mich die schönste Frau auf der Welt. "Sogar jetzt kann ich dir kaum widerstehen.", sage ich sanft und streichle ihre Wange. Sie schmiegt sich an meine Hand und sieht mir in die Augen. "Ich habe mich in dich verliebt, Tess.", gestehe ich ihr mit pochendem Herzen. Jetzt ist es raus. Kurz habe ich Angst, sie könne diese Gefühle nicht erwidern. Aber sie beugt sich noch näher zu mir und erwidert: "Und ich habe mich in dich verliebt, Kay." Dann treffen sich unsere Lippen und in mir gibt es eine Gefühlsexplosion, wie ich sie noch nie erlebt habe. 


Hold on to me (girlxgirl)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt