Kapitel 21

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Kay:

Ein Glück ist es endlich Freitag. Die ersten Wochen nach den Ferien waren für mich eine sehr intensive Zeit. Noch immer steckt mir das Kennenlernen mit Tess' Vater in den Knochen. Ich freue mich unglaublich auf dieses Wochenende, wenn Tess endlich volljährig wird und ich an ihrer Party als ihre inoffizielle Freundin auftreten darf. Die Zeit vom Versteckspielen wird damit dann endlich - zumindest außerhalb der Schule - vorbei sein. Im Gegensatz zu Tess, die die Heimlichtuerei total aufregend findet, bin ich einfach nur froh. Mit meiner Vorstrafe wäre ein Prozess wegen Beziehung zu einer Minderjährigen, noch dazu Schutzbefohlenen wohl ziemlich eindeutig ausgegangen. Ab Morgen wird das endlich vorbei sein, zumindest teilweise. Die fiese Direktorin kann mich immer noch nicht leiden und versucht ständig, einen Fehler bei meiner Arbeit zu finden. Sie gibt mir absichtlich die schwierigen und lauten Klassen und beobachtet mich mit Adleraugen in meinen Pausen. Wenn sie von Tess und mir wüsste, würde sie nicht eine Sekunde zögern, mich anzuzeigen.

Inzwischen habe ich die Kids aber immer besser im Griff. Es fängt sogar an, mir Spaß zu machen. Ich nehme öfters mal meine Gitarre mit und lasse die Schüler malen und zeichnen, während ich Lieder dazu spiele. Sie sollen dann die Stimmung auffangen und aufs Papier bringen. Vor allem den jüngeren Schülern macht diese Art von Aufsicht Spaß. In den höheren Klassen zieht das kreative Malen leider nicht wirklich. Allerdings hat Tess großartige Arbeit geleistet für mich. Sie hat es geschafft, den Abschlussjahrgang so zu motivieren, dass sie meine Stunden als Nachhilfe nutzen. Nachdem ich mich in Tess' Bücher eingelesen habe, kann ich den Schülern den Stoff für das Abitur ziemlich gut erklären. Tess ist ganz begeistert von meiner Lernfähigkeit und findet ich könne unwahrscheinlich gut und einfach erklären. Irgendwie stimmt es schon, ich habe den Stoff wirklich schnell verstanden und auch für mein Abitur habe ich nicht wirklich viel lernen müssen. Trotz allem bin ich froh, wenn die Zeit in der Schule vorbei ist. Das frühe Aufstehen und immer zum selben Ort gehen und die selbe Tätigkeit ausführen machen mich auf Dauer verrückt. Ich brauche meine Freiheit. Ich will wieder Musik machen und von Ort zu Ort ziehen mit meiner Gitarre.

Es klingelt zur letzten Stunde. Tess' Klasse steht auf meinem Vertretungsplan. Ich muss grinsen. Allein sie in der Klasse zu sehen, bereitet mir Freude. Ich laufe mit meiner Gitarre auf dem Rücken ins Klassenzimmer und bleibe wie angewurzelt stehen. Die Schüler haben verschiedene Musikinstrumente in den Händen und sitzen im Kreis. Mark grinst mich an. "Bock auf ne kleine Jamsession?", fragt er und zwinkert mir zu. "Klar, da bin ich immer dabei.", lache ich und packe meine Gitarre aus. Ich blicke rüber zu Tess, die mir liebevoll zulächelt. "Wie kommt ihr denn auf so eine Idee?", frage ich, während ich mich zu den Schülern in den Kreis setze. "Wir haben alle die letzten Klausuren bestanden und das nicht einmal schlecht. Da wollten wir uns bedanken. Außerdem wissen wir ja, dass du gern Musik machst.", antwortet Mark. Ich nicke gerührt. "Okay, dann lasst uns beginnen.", rufe ich und spiele den ersten Akkord. Die Schüler steigen mit ein und es entwickelt sich eine wirklich gute Session. Ein paar von ihnen scheinen ziemlich begabt zu sein. Die Stimmung heißt sich auf und schon bald stehen auch einige der Schüler auf, springen in den Kreis, um zu improvisieren. Auf einmal steht Tess direkt vor mir im Kreis. Sie führt eine Art Bauchtanz auf, während sie ihre Klanghölzer spielt. Mir wird ganz heiß und auf einmal auch bewusst, dass diese Situation alles andere als angebracht ist. Ich spiele einen letzten lauten Akkord, stehe auf und rufe: "Okay, Leute. Das hat Spaß gemacht, die Stunde ist gleich vorbei. Räumt noch die Instrumente auf, bevor ihr geht." Irritiert sieht Tess mich an. Sie steht noch immer in der Mitte, direkt vor mir. "Ist alles okay? Die Stunde geht noch ein bisschen...", bemerkt sie leise. Ich gehe nicht auf sie ein, zu stark sind noch meine Gefühle, die sie durch ihren Tanz ausgelöst hat. Stattdessen packe ich meine Gitarre wieder weg und gehe aus dem Klassenzimmer.

Auf dem Gang höre ich plötzlich eine scharfe Stimme rufen: "Miss KAY! Sie sind noch nicht fertig mit ihrer Vertretungsstunde! Meine Uhr sagt, es sind noch 10 Minuten! Sie haben die Aufsichtspflicht über diese Schüler!" Ich bleibe stehen und verdrehe meine Augen, ehe ich mich zur Direktorin umdrehe. "Ja, Frau Schmid." - "Wieso um alles in der Welt gehen Sie dann einfach nach Hause?!", ruft sie wütend. Noch bevor ich antworten kann, höre ich eine Stimme hinter mir: "Sie kann nichts dafür. Wir haben sie überredet. Es ist doch Freitag, Frau Schmid." Ich erstarre. Mit funkelnden Augen blickt die Direktorin nun hinter mich: "Miss Koch. Das hätte ich mir ja denken können, dass Sie ihre kleine Freundin hier unterstützen." Ich drehe mich zu Tess um und werfe ihr einen warnenden Blick zu. Noch ein Tag und sie ist 18. In wenigen Stunden wäre diese Unterhaltung schon weitaus weniger schlimm. Wenn Tess jetzt nicht den Mund hält, sind die Wochen des Versteckens vollkommen umsonst gewesen. "Frau Schmid, es tut mir leid. Ich habe meine Aufsichtspflicht nicht vollständig erfüllt. Das wird nicht mehr vorkommen.", entschuldige ich mich. Mir wird schlecht von dem Einschleimen bei dieser fiesen Person, aber ich darf mir keinen Fehltritt leisten. Leider weiß das Frau Schmid genauso wie ich und nutzt es schamlos aus. "Das will ich aber hoffen. Noch eine Aktion und Sie fliegen, Kay.", warnt sie mich. Ich bezweifle zwar stark, dass sie wirklich so viel Macht hat, aber herausfordern möchte ich es trotzdem nicht. "Und noch was: Ich habe Sie beide im Auge. Irgendetwas scheint da zu laufen bei Ihnen." Sie blickt scharf von mir zu Tess und zurück, bevor sie sich umdreht und den Flur zurück zu ihrem Büro läuft. Im Weggehen höre ich sie murmeln: "Verdammte Lesben. Noch dazu von der Straße."Mir wird übel und am liebsten hätte ich ihr eine reingehauen. Stattdessen atme ich tief durch und sehe Tess mit dem 'das war ganz schön knapp' Blick an. Sie nickt und wir gehen zurück in die Klasse, wo ich die letzten Minuten bis zum Wochenende ablaufen lasse.

Hold on to me (girlxgirl)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt