1

710 26 8
                                    

Zu spät. Das war das erste, was ich dachte, als ich aufwachte. Die Sonne war schon zu hell, um 7 Uhr zu haben. Ich sah auf mein Handy und checkte die Uhrzeit. Shit. Das war mein zweiter Gedanke an diesem Tag. Die Schule hatte vor 30 Minuten angefangen. Das heißt, der Lehrer wird mich wieder zwingen eine Entschuldigung abzuliefern. Unnötige Aufmerksamkeit. Irgendwie schon lustig. Vor einem Jahr bin ich noch extra zu spät gekommen, damit jeder auf mich aufmerksam wird. Mich jeder anguckt.

Ich rollte mich aus dem Bett und lief ins Badezimmer. Vielleicht sollte ich Tante Em einfach sagen, dass es mir schlecht geht. Ist sowieso der letzte Schultag. Dann kann ich mich erst mal 2 Wochen vor der Schule drücken. Im Badezimmer machte ich mich fertig und in meinem Zimmer, zog ich die Schuluniform schnell an. Ich zog den Rock extra tief, damit man nicht zu viel sehen kann. Um meine Haare kümmerte ich mich nicht. Schon lange nicht mehr. Mein hipper Schnitt war schon seit Monaten heraus gewachsen. Ich sah aus wie ein zotteliger Affe. Wie ein Hippie, würden meine Mitschüler mich jetzt wieder beleidigen. Ich mied die Spiegel so gut es ging. Wenn ich vielleicht mal gute Laune hatte, Band ich mir die Haare zu einem Zopf zusammen. Oder wenn ich mal wieder in einem Loch steckte und nicht mal duschen ging, band ich sie mir zusammen, da sie einfach zu fettig waren. Meine Tasche hatte ich noch gepackt. Besser gesagt, ich hab sie nicht mal ausgepackt. Hausaufgaben interessieren mich nicht. Ich stieg in meine Lackschuhe und lief dann die Treppe herunter, in die Küche. So wie fast jeden morgen, fand ich am Kühlschrank eine Nachricht von Tante Em, dass sie mir doch einen wundervollen Tag wünscht. Ich soll mich nicht von den negativen Personen herunter ziehen lassen. Danke, aber wenn hier einer negativ ist, dann bin ich das. Ich machte mir nichts zu essen, sondern lief direkt zur Schule. Würde heute ein langer Tag werden. Die Kantine mied ich. Ich setzte mich lieber in die Bücherei und holte den Stoff auf, damit ich nicht sitzen bleiben würde.

Da um diese Uhrzeit kein Bus mehr fuhr, musste ich die 3 Kilometer laufen. Die Menschen sahen mich alle komisch an. Aber das ist okay. Das bin ich gewohnt.
Die ersten zwei Stunden hatte ich schon verpasst. Wenn ich mich beeile dann komme ich vielleicht zu Geschichte pünktlich. Geschichte unterrichtete meine Lehrerin und die hatte meistens Mitleid mit mir. Herzlich willkommen im Klub. Ich bin so armselig und habe mit mir selber Mitleid. Und das schon seit 2 Jahren.

Schwer atmend stieß ich die Tür auf. Die ganze Klasse sah zu mir und ich spürte diese bekannte wärme. Jetzt war mein Gesicht so rot, wie meine Pickel es sind.
,,Miss Gold, sie sind zu spät.", sagte meine Lehrerin.
Nein, was sie nicht sagen. Ich habe verschlafen. Ist doch klar das ich mich nicht in die Schule beamen kann.
Der Sarkasmus ist geblieben. Alles ist gegangen außer mein sarkasmus.
Ich nickte und sah dann auf den Boden. Mein Selbstvertrauen hat sich auch vor zwei Jahren verabschiedet.
,,Na gut, setzen Sie sich bitte.", gab sie auf. Glücklich, dass ich gleich ganz hinten saß und es damit meinen Mitschülern schwer machte mich an zuglotzen, setzte ich mich in Bewegung.

So wie immer passte ich nicht auf, aber schrieb mir auf, was wir gemacht hatten. Würde ich dann heute in der Bücherei nachholen. Schneller als ich dachte, war schon die Mittagszeit. Ich ging unsichtbar wie immer durch die Flure, gegen den Strom, da alle sich jetzt in der Kantine mit ihren Freunden treffen würden. Ich hab aber keine Freunde, außer...
,,Naaa ich hab gehört du bist zu spät gekommen. Du böses Mädchen.", schrie mir meine beste und einzige Freundin in mein Ohr. Wenn ich vorstellen darf, Jacqueline oder auch nur Jacki, meine redende hälfte.
Ich lächelte schwach und ging die Treppen weiter hoch.
,,Willst du echt nicht mit mir essen gehen? Komm schon, so schlimm wird das nicht.", schmollte sie. Natürlich. Das letzte mal hatte ich ein Ei auf meinen Haaren, mit der Begründung, dass meine Haare nach dem Duschen dann schön geschmeidig sind. Aber hey, schließlich hat jemand sein Ei geopfert. Das muss ja schon einiges bedeuten.
Ich schüttelte den Kopf und mit hängenden Schultern drehte Jacki sich um. ,,Man sieht sich dann.", rief sie mir noch zu. Dann war sie wieder verschwunden.
Mit hängenden Schultern lief ich weiter und setzte mich in der Bücherei auf meinem Stammplatz nach ganz hinten. Wenigstens hat mir den noch keiner streitig gemacht. Ich packte meine Schulsachen auf den Tisch und lernte solange, bis die Pause vorbei war. In der Bücherei war man in seiner eigenen Blase gefangen. Jeder ist hier unter sich. Außerdem sind die meisten sowieso beim Essen.

Mit schnellem Schritt versuchte ich so schnell wie möglich diese Hölle zu verlassen.
,,He Gold!", rief jemand. Ich hasse meinen Namen. Tagtäglich erinnert er mich an mein früheres Leben. An meine Vergangenheit. Ich blieb aber gar nicht stehen sondern ging weiter.
,,Jetzt warte mal!" Ich blieb auf der Stelle stehen und wartete auf meine dehmütigung. ,,Wow, wo ist denn das hübsche Mädchen von früher hin.", lachte der Typ. ,,Du warst das heißeste Mädchen auf der Schule. Junge, junge.", sagte er. Danke für die Erinnerung.
,,Sag mal erkennst du mich nicht?", fragte der Typ jetzt. Ich drehte mich um und sah ihm in die strahlend blauen Augen. Irgendwoher kam er mir bekannt vor. ,,Ich bins Maik.", stellte er sich vor. Ich zuckte mit den Schultern. Dann ließ ich ihn stehen, bevor die Pointe von seiner verarsche kam. Maik ging aber weiter neben mir her.

,,Ey. Was ist mit Nina passiert? Mit der Nina, mit der ich Gespensterfallen gebaut habe? Und als wir Angeln waren und du ins Wasser gefallen bist? Komm schon. Nur weil ich zwei Jahre in Deutschland war, kannst du mich doch nicht gleich vergessen.", erklärte er. Geschockt blieb ich stehen.
,,Ach sieh mal einer an. Da erinnert sich wer.", lachte er. Ich zog mein Handy heraus und tippte was ein.

Maik? Wieso hast du nicht gesagt, dass du wieder kommst?

Ich reichte ihm mein Handy und grinste so sehr wie schon lange nicht mehr.
,,Bist du krank, oder wieso kannst du nicht sprechen?", fragte er verwirrt, als er mir das Handy wieder gab.

Lange Geschichte. Willst du mit zu mir kommen?

,,Klar gerne."

Zusammen liefen wir zu dem Haus meiner Tante. Heute morgen kam mir der Weg länger vor.
,,Seid ihr umgezogen?", fragte Maik. Ich nickte. Das alte Haus wäre zu groß gewesen. Als ich aufschloss, kam mir direkt meine Tante entgegen.
,,Nina, wie geht's dir? Oh, du hast einen Freund mitgebracht.", sagte sie überrascht. In ihren Augen konnte man sehen dass sie überrascht war. Und sie war unglaublich froh, da sie dachte, ich hätte neue Freunde gefunden.
,,Oh Hallo. Ich bin Maik.", freundlich wie Maik war, streckte er meiner Tante die Hand hin.
,,Oh Nenn mich doch bitte Emma und fühle dich wie zuhause."
Maik sah mich verwundert an. War ja klar, er ist an meinem 15. Geburtstag gegangen. Seit dem hatten wir kaum Kontakt. Ich zog mir die ungemütlichen Schuhe aus und nahm Maiks Hand und zog ihn mit in mein Zimmer.

Da ich auf die Einrichtung scheiße, war mein Zimmer leer, bis auf ein Bett ein Kleiderschrank und einem Schreibtisch. Das einzige Accessoires was ich besaß war meine Gitarre, die mein Vater mir geschenkt hatte. Zu meinem 15. Geburtstag.
,,Ich glaube, ich habe so einiges verpasst.", flüsterte Maik und setzte sich auf mein Bett. Ich setzte mich auf mein Schreibtischstuhl und zog die Schultern hoch. Ich rede nicht gerne über meine Vergangenheit. Ich drehte mich zu meinem Schreibtisch um und schrieb auf ein Blatt, in der Wohnung sind überall Blätter für mich am liegen. Als ich fertig war, gab ich es ihm.

Das ist mein neues Leben. Entweder du akzeptierst es oder du gehst. Ich werde dir nichts erzählen.

Silent PastWo Geschichten leben. Entdecke jetzt