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Wofür ist eine Schule eigentlich gut? Wieso kann man sich nicht selber aussuchen, ob man dahin möchte oder nicht. Wir sind doch später sowieso alle für unser eigenes Leben verantwortlich. Und es kann mir keiner sagen, dass er gerne zu dem Haufen pubertierende Walrosse gehören möchte, die auf die Schule gehen. Abgesehen von den ganzen Schlampen. Die Nerds gehen ja noch ganz in Ordnung. Die verkriechen sich meistens auch nur still in irgendeine Ecke. Aber ich hasse es, wenn sie mit ihrem Wissen angeben müssen. Nicht jeder wünscht sich ein Physikbuch zum Geburtstag.

Ich verabscheue die Schule. Alle sehen mich immer mit diesem Blick an, als würden sie mich kennen, als würden sie wissen, weshalb ich schweige. Weshalb ich mich so verändert habe.

Aber das weiß natürlich keiner. Außer Jacqueline. Aber sind beste Freunde nicht meistens eine Ausnahme?

Wie auch immer, so einen schlimmen Schultag hatte ich schon ewig nicht mehr gehabt. Jacqueline hat überall verbreitet, dass sie One Direction getroffen hat, dank mir. Und ich weiß nicht, was die Leute erwarteten, aber anscheinend war irgendwas im Umlauf, weshalb alle möglichen Leute zu mir kamen, obwohl man schon in ihren Blicken sehen konnte, dass sie mir am liebsten Fern bleiben wollten.

Und da ich normalerweise so unscheinbar war, hörte ich ziemlich schnell was los war. Aber da die Leute ja alle zu mir kamen, und Jacki meinte mir nicht auf meine SMS antworten zu müssen, schwieg ich die Leute trotzdem weiterhin fröhlich an.

Irgendwann schaffte ich es aber ab zu tauchen und nach Hause zu gehen. Ich würde die letzten beiden Stunden einfach Schwänzen. Wer brauchte denn schon eine Neunte und Zehnte Stunde? Ich sicherlich nicht.

Als ich zuhause ankam, war ich aber nicht alleine, wie ich angenommen hatte. Ich ließ meinen Finger noch an meiner Krawatte und ging vorsichtig zu dem Arbeitszimmer meiner Tante. Als ich aber hörte, dass sie nur am telefonieren war, zog ich mit meinem Zeigefinger den Knoten auf und machte mich nach oben in mein Zimmer. Ich hatte die letzten Nächte echt wenig Schlaf bekommen. Ich wachte immer wieder auf und konnte nicht mehr einschlafen, weil meine Träume so real waren.

Schätzchen, sie sind so real, weil du ganz live dabei warst.

Sehr hilfreich.

Mein Handy meldete sich endlich und ich stürzte mich darauf, weil ich eigentlich nur zwei Personen hatte, die mir schrieben. Die eine war am telefonieren und die andere war meine beste Freundin, die sich anscheinend dazu bequemt hatte mir zu antworten.

Es tut mir soooo Leid! Mir ist da vielleicht was raus gerutscht, dass du mich zu meiner Lieblingsband gebracht hast. Und vielleicht haben die anderen dann auch gedacht, du könntest ihnen auch weiter helfen. Verzeihst du mir? :(

Seufzend schmiss ich das Handy wieder auf die Bettdecke und ließ mich gleich hinterher fallen. Mir war langweilig. So wie eigentlich immer. Aber Emma rettete mich davor mitten am Tag einzuschlafen.

,,Kommst du mal bitte Nina?", rief sie und seufzend rappelte ich mich wieder hoch. Eigentlich wollte ich mich schon umgezogen haben, aber irgendwie, habe ich nicht mehr als meine Krawatte geschafft. Was für ein Jammer.

Ich ging zu ihr ins Arbeitszimmer, wo ich mich auf den Sessel fallen ließ.

,,Kannst du dich noch an Lou erinnern? Die dich behandelt hatte, bevor du verschreckt von ihr weggelaufen bist. Sie würde es gerne zu ende bringen, was sie begonnen hat, aber natürlich nur, wenn du es willst. Ich gebe dir ihre Adresse. Sie meinte, wenn du magst, kannst du heute einfach vorbeikommen", sagte sie zu mir und ich nickte langsam.

Ich würde ganz sicher nicht dahin gehen. Ich bin tausend Tode gestorben, als sie anfing meine Pickel auszudrücken. Deswegen war ich ja auch erst verschreckt abgehauen. Meine Haut ist sowas nicht gewohnt. Sie bekommt, wenn sie Glück hat einmal am Tag ein bisschen Wasser und das war's dann.

,,Hier, wenn du hin gehst, wünsche ich dir ganz viel Spaß. Ich bin nachher noch unterwegs. Wird wahrscheinlich was länger dauern. Aber bis zum Abendessen bin ich wieder da", sie gab mir einen Zettel mit der Adresse und der Telefonnummer von dieser Lou.

Ich lächelte ihr kurz zu und verließ dann ihr Zimmer, weil der nächste Anruf kam. Der Auftrag von One Direction hatte ihre Karriere echt angehoben. Ich setzte mich in meinem Zimmer vor den Spiegel und sah mir in die Augen, während ich überlegte, ob ich das Angebot annehmen sollte oder nicht. Es könnte doch nichts schlimmes passieren.

Ich stand auf und ging zu einer Box, die ich unter meinem Bett versteckte. Sie war schwarz, mit weißen Blumen verziert und hatte ein Schloss an der Seite. Allerdings gab es dazu kein Schlüssel. Das war nur, falls meine Tante bei mir saugte und die Kiste mit nach vorne beförderte. Sie sah sich gerne Sachen von mir an. Ich nahm den Deckel ab und atmete tief durch.

In der Kiste konnte ich ganz viele Bilder von einem Mädchen sehen, was leuchtend blaue Augen hatte. Ihre Haare waren von Natur leicht eingelockt und sie trug sie bis kurz unter die Brust. Sie trug ein wenig Wimperntusche, um ihre Augen noch mehr zu betonen, die aber auch ohne diese langen, gebogenen Wimpern eine Augenweide für sich waren. Das Mädchen lächelte leicht und hatte den Kopf schief gelegt. Sie und ihre Freundinnen hatten heraus gefunden, dass ihre vollen Lippen, so noch vollkommener aussahen. Ihre Stupsnase verniedlichte diese ganze Pose aber. Ihre Hand war um einen Strauß mit Sonnenblumen geschlossen und man konnte zwei Nägel von der Hand sehen, die in einem Babyblau angemalt waren. Man könnte denken, sie wären in einem Nagelstudio gemacht wurden, aber es waren ihre eigenen. Das Babyblau auf ihren Fingernägeln stach sich aber mit dem rot ihrer Bluse. Aber das störte einen gar nicht, denn das machte das Mädchen nur noch perfekter, als sie eigentlich schon aussah. Es zeigte ein gewisses Selbstvertrauen, weswegen ihre Freundinnen sie oft beneideten. Sie saß auf einem Felsen und hatte ihre schmalen Beine, die in einer engen Jeanshose steckten übereinander geschlagen. Sie sah in die Kamera mit einem gewissen Ausdruck, der fast wie Arroganz aussah. Aber sie war nicht Arrogant. Ihre Eltern dankten immer wieder zu Gott, dass sie so eine Tochter besitzen durften. Sie engagierte ich für Kinder aus dem Kinderheim. Oder sie kümmerte sich in ihrer Freizeit um die Tiere in dem Tierheim, die ganz hinten waren, die vielleicht ein Bein weniger hatten, oder keinen Schwanz mehr besaßen. Sie half ehrenamtlich in einem Obdachlosenheim.

Ich legte das Bild auf Seite und nahm mein Handy in die Hand. Ich schrieb Lou, dass ich gerne ihr Angebot annehmen würde, nur nicht heute.

Denn irgendwas in meinem Herzen vermisste diese Person. Diese wunderschöne, junge Frau, die Spaß am Leben hatte. Und was sprach dagegen wieder sie zu werden?

Silent PastWo Geschichten leben. Entdecke jetzt