Prolog

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Ich hetze die Stufen des Krankenhauses hoch und renne keuchend durch die Eingangstür. Das darf nicht wahr sein! Bitte lieber Gott, lass das alles nicht wahr sein!

"Entschuldigung, wo ist Amelie Blair?", frage ich außer Atem die Dame am Schalter. Sie schaut auf und beäugt mich kritisch durch ihre Brille, was ich ihr nicht verüblen kann. Mit meiner ausgeleierten Jogginghose und dem labberigen T-shirt sehe ich ja nicht gerade gepflegt aus, zudem mir meine Haare in wirren Strähnen hinunterhängen. Doch darauf konnte ich keine Rücksicht nehmen, als ich vorhin die Nachricht bekommen habe.

"Name, bitte.", fragt mich die Verwaltungsfrau und ich antworte schnell "Luna Blair." Die Dame nickt. "Zimmer 169", lässt sie nun endlich vernehmen und ich sprinte mit einem schnellen "Dankeschön" die letzten Meter zum Fahrstuhl. Gerade noch rechtzeitig schlüpfe ich durch die Türen und drücke auf den zweiten Stock, Intensivstation. Dann atme ich erstmal tief durch, um meinen Herzschlag wieder zu normalisieren und das Adrenalin zu stoppen.

Erst jetzt wird mir der volle Ausmaß meines Besuches bewusst und mein Hals schnürt sich wie von selbst zu. Ich habe Angst. Angst davor, dass einzige zu verlieren, was mir wirklich wichtig ist.

Mit einem Pling ist der Fahrstuhl angekommen und sobald sich die Türen öffnen, renne ich raus auf den Gang und sprinte zu besagtem Zimmer. Ich bleibe kurz stehen, schließe meine Augen und atme nochmal tief durch. Okay, Luna, beruhige dich erstmal! Du gehst da jetzt rein und tust das, was du tun musst, okay?

Ich versuche mir Mut zu machen, doch es missglückt kläglich. Ich öffne meine Augen, nehme noch einen letzten tiefen Atemzug und klopfe leise an. Als keine Antwort kommt, mache ich vorsichtig die Türe auf und schlüpfe schnell in den Raum. Ich höre ein Piepen und mehrere Geräusche, die unverkennbar zu Ärzten gehören. Mir wird schlecht und ich bekomme keine Luft mehr, als ich sehe wie sie da liegt. Die Augen halb geschlossen, schnappend nach Luft mit einem Beatmungsschlauch und die Ärzte, die um sie herum wirbeln. Ich weiß, was das bedeutet und doch will ich es nicht wahrhaben. Das kann nicht sein... Das darf einfach nicht sein! Nicht sie. Nicht jetzt!

Mit langsamen Schritten nähere ich mich dem Bett und ignoriere die Ärzte geflissentlich, die sich an mir vorbei drängen. Ich trete an sie heran und nehme ihre kalte Hand in meine. Eine Träne bahnt sich einen Weg über meine Wange und ich wische sie nicht weg. Bitte öffne deine Augen, bete ich, bitte öffne sie. Und tatsächlich. Kaum hat sie meine Hand berührt, öffnet sie ihre Augen ganz und ich sehe in das schönste Blau, das ich jemals gesehen habe.

"Hallo Mom...", bringe stockend hervor und breche stumm in Tränen aus. Sie lächelt mich an und nimmt den Beatmungsschlauch ab. Die Ärzte wollen sie daran hindern, doch sie flüstert nur sanft "Lassen Sie es. Sie wissen genauso gut wie ich, dass es sowieso nicht mehr lange funktioniert."

Die Ärzte erwidern nichts und schauen sich wortlos an. Dann nicken sie und seufzen.

Ihr wunderschönes Gesicht wendet sich mir zu. "Luna!" Mein Name hat so viel Gewicht mit Moms wunderschön samtige Stimme. Voller Liebe streicht sie mir über die Wange. "Du bist so wunderschön, mein Kind."

"Das habe ich alles nur von der schönsten Frau der Welt geerbt." Meine Stimme bricht und noch mehr Tränen quillen aus meinen Augen.

Mom lächelt. "Schatz, du musst nicht weinen. Ich bin hier." Sie zeigt auf mein Herz, das gerade am Zerfallen ist.

"Ich weiß, Mom. Aber ich weiß nicht, wie lange du noch hier bist..." Sie legt ihren Finger auf meinen Mund. Ich kann spüren, dass er zittert und denke, wie schwach sie schon ist. Dabei ist sie gerade mal eine halbe Stunde hier.

"Sag sowas nicht, Schatz. Ich werde immer bei dir bleiben! Egal, wo du gerade bist, hörst du? Das darfst du nicht vergessen, okay?" Liebevoll nimmt sie mein Gesicht in ihre zarten Hände und schaut mir intensiv in meine Augen, die ich als einziges nicht von ihr habe. "Schatz, ich war immer für dich da, das weißt du. Und ich werde auch jetzt nicht damit aufhören. Du weißt, wo du mich finden kannst."

MondblumeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt