V I E R Z E H N

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Ich nehme alles zurück, was ich gesagt habe.

Diese Reitstunde war eine Katastrophe! Ständig haben Henry und Sam an mir rumgemeckert und meine Haltung infrage gestellt. Ich dachte ehrlich nicht, dass sie so hart an jedem arbeiten, aber sie sind ja richtige Perfektionisten, wenns ums Reiten geht. Am Ende bin ich richtig erschöpft und Midnight neben mir sieht ebenfalls sehr müde aus.

"Ich dachte schon, die Stunde geht nie zu Ende.", stöhne ich, als Nora mit Ravenna um die Ecke kommt. "Sind die immer so?"

"Wer? Henry und Sam?", erwidert sie. "Oh ja, und das war noch harmlos. Glaub mir, sie haben dich gerade mal mit Samthandschuhen gepackt. Aber es macht so irgendwie auch mehr Spaß."

Ungläubig schaue ich sie an. Ist das ihr Ernst?

Da bemerke ich den verträumten Ausdruck in ihrem Gesicht und muss grinsen. Aha, so ist das also. "Es macht dir Spaß? Ich wusste gar nicht, dass du mitmachst, so oft, wie du Sam angestarrst hast."

Wie erwartet wird sie tomatenrot und knetet nervös an ihren Fingern herum. "Da kann ich doch nichts für! Warum muss er auch so verdammt gut aussehen?" Sie seufzt. "Ach, ich kann einfach nicht den Blick von ihm wenden... Er ist einfach toll, in jeder Hinsicht. Und wenn er mal zu mir schaut und lächelt, ist es, als fliegen hunderte Schmetterlinge in meinem Bauch herum. Aber irgendwie beachtet er mich mehr überhaupt nicht. Es ist wie verhext!"

Ich hacke mich bei ihr unter und sage ermutigend "Kopf hoch, das wird schon. Wir müssen uns einfach was einfallen lassen und im Nu wird er merken, dass du viel mehr drauf hast, als nur eine Freundin von ihm, zu sein."

Daraufhin lächelt sie wieder und wir striegeln gemeinsam unsere Pferde weiter, bis wir eine halbe Stunde später fertig sind und ins Wohnzimmer der Parkers gehen, wo schon Henry und Rose auf dem Sofa sitzen.

"Was macht ihr da?", fragt Nora neugierig und wir setzen uns dazu.

"Wir spielen Mensch-ärger-dich-nicht. Und die kleine Maus hier ist am verlieren.", sagt Henry und grinst Rose neckisch an. "Gar nicht wahr, Henry lügt.", widerspricht sie und würfelt konzentriert den Würfel. Dabei steckt sie die Zunge zwischen ihre Zähne und das sieht so süß aus, dass ich sie am liebsten knuddeln würde. Doch ich weiß nicht, ob das nicht zu früh ist, denn als sie mich das letzte Mal gesehen hat, war sie fast noch ein Baby.

"Henry schummelt.", holt sie mich mit ihrer hohen Stimme aus meinen Gedanken und ich schaue Henry mit hochgezogenen Augenbrauen an.

"Das stimmt gar nicht.", brummt er und schaut Rose böse an, doch seine Mundwinkel zucken.

"Ist nicht wahr!", ruft Nora heraus und schlägt Henry böse auf dem Arm. "Sowas macht man nicht, du böser Hund."

Ein Stich fährt mir durch die Magengegend, denn ich würde auch gerne so vertraut wie Nora mit ihm umgehen, aber ich weiß, ich bin noch nicht bereit dafür. So viel Zeit ist vergangen und wir haben uns alle verändert, ich habe mich verändert. Kaum etwas ist von der offenen, lustigen Luna von früher übrig geblieben, stattdessen vertraue ich nicht, hasse Körperkontakt und denke über jeden Schritt nach. Jeder hier kennt mich nicht mehr und ich kenne sie nicht mehr.

Deshalb ignoriere ich auch diesen Stich und während die drei weiter diskutieren, entferne ich mich langsam und gehe in den Flur.

Mein Handy hat währenddessen zweimal vibriert und ich hole es aus meiner Tasche. Mein Herz macht einen Hüpfer. Alice hat mir geschrieben! Statt ihr jedoch zurückzuschreiben, rufe ich sie spontan an.

"Lunaaaa!", schreit sie direkt und ich muss lachen. War ja klar, dass sie direkt loslegt.

"Hey meine Lieblingsfreundin!", sage ich und lächle bei jedem Wort. Wie sehr ich ihre Stimme doch vermisst habe. "Wie ist es in Italien?"

MondblumeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt