D R E I Z E H N

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Am nächsten Morgen wache ich erst spät auf, denn ich habe lange Zeit nicht einschlafen können. Es war früh, als ich endlich in die Traumwelt schlüpfte, doch auch dort ließen meine Gedanken mich nicht in Ruhe.

Gähnend strecke ich mich und mache mich dann auf dem Weg nach unten in die Küche, wo mich schon die herrliche Kaffeemaschine erwartet.

Ich stelle eine Tasse unter die Maschine, drücke auf den Knopf für Cappucino und warte ungeduldig darauf, dass die Tasse voll wird. Als endlich der warme Duft nach Kaffee den Raum füllt, schließe ich meine Hände um die warme Tasse und genieße den ersten Schluck des Getränks.

"Morgen.", vernehme ich hinter mir eine tiefe Stimme und eine Gänsehaut breitet sich in mir aus, doch ich ignoriere die Wärme und erwidere nur "Guten Morgen."

Ich drehe mich um und lächle ihn an, gezwungen zieht er eine Grimasse und stellt ebenfalls eine Tasse unter die Maschine. Er nimmt Kaffee, schwarz. "Wie kannst du jetzt schon gut gelaunt sein?"

Ich zucke mit den Schultern.  "Weiß nicht, bin einfach gut drauf."

Er schaut mich kritisch an und öffnet den Mund um etwas zu sagen, doch bevor er dazu kommt, kommt Sam in die Küche und runzelt die Stirn. "Was wird das? Reitversammlung? Warum bin ich nicht dabei?" Sam nimmt Espresso und schaut uns erwartungsvoll an.

Reitversammlung? Was ist das denn?

"Reitversammlung?", frage ich nach.

Henry nickt. "Ja, jeden Dienstag geben Sam und ich die Reitstunden und davor sprechen wir uns immer ab, was wir machen."

Reitstunden geben? Sie? In meinem Kopf bahnt sich eine Idee an, doch ich habe keine Ahnung, wie sie darauf reagieren werden. Verlegen beiße ich mir auf die Unterlippe und überlege, wie ich das Thema ansprechen soll.

Sam seufzt. "Spucks aus, Luna."

Verwirrt schaue ich ihn an und seine hellbraunen Augen fangen belustigt an zu funkeln. "Immer wenn du verlegen bist, beißt du dir auf die Unterlippe. Also, sag, was du loswerden willst."

"Nebenbei bemerkt, machst du dir dabei die Lippen kaputt.", murmelt Henry, doch ich höre ihm nicht zu.

Ich beiße mir immer auf die Lippe, wenn ich verlegen bin? Erstaunlicherweise haben sie Recht, doch ich hätte nicht erwartet, dass ihnen das auffällt, so kurz ich erst hier bin.

"Ähm, na ja, ich habe mich gefragt, ob... ob ich mit Midnight vielleicht auch mal an einer Reitstunde teilnehmen kann..."

Beide ziehen synchron die Augenbrauen hoch und ich sehe ihnen an, dass sie etwas dagegen sagen wollen, doch ich hebe meinen Finger und sage "Bevor ihr jetzt etwas dagegen sagt, ich könnte es wenigstens mal ausprobieren, dann können wir es immer noch lassen. Außerdem hast du gesehen, wie wir zusammen reiten!" Ich nicke Henry zu und mache ein bittendes Gesicht. "Bitte."

Die beiden werfen sich einen Blick zu, den ich nicht entschlüsseln kann, doch schließlich seufzen sie und Sam sagt "Na schön, du kannst heute eine Stunde mit Midnight dabei sein, aber ich stecke dich mit Nora zusammen, Ravenna beruhigt ihn ein wenig und so ist das Risiko geringer, dass er ausflippt."

Ich verdrehe die Augen (was haben die nur alle gegen ihn?), doch ich lächle den beiden zu und drücke ihnen einen kleinen Kuss auf die Wange. "Danke, ihr werdet es nicht bereuen."

Damit nehme ich meine Tasse und spaziere aus der Küche in mein Zimmer und ziehe mich um. Gut gelaunt schnappe ich mir meinen Koffer und wühle ihn durch, doch meine gute Laune sinkt mit jedem Kleidungsstück, das weniger wird. Wo ist denn nur die verdammte Hose?!

Weiter und weiter grabe ich, doch als der Koffer leer vor mir steht, gebe ich die Hoffnung auf. Tja, das heißt dann, auf in die Stadt.

Ich stehe auf und schaue mich durch das ganze Chaos nach vernünftigen Klamotten um, und dann fällt mein Blick auf mein Handy. Natürlich! Nora! Sie könnte meine Rettung sein!

Keine Minute später habe ich sie angerufen und über die Situation aufgeklärt. Und keine weitere Minute später bin ich angezogen und stürme die Treppen runter, ziehe meine Schuhe an und rufe durchs Haus "Ich bin bei Nora.", dann bin ich aus der Türe raus und die frische Luft empfängt mich.

*

"Okay, in der Stadt findest du keine Reithosen mehr, da der Shop dafür umgezogen ist.", sagt Nora und schaut mich abschätzend an.

Ich seufze. "Na toll! Und jetzt? Ich kann doch nicht ohne Reithose in einer Reitstunde reiten."

"Hmmm...", macht Nora und sagt gleich darauf "Stell dich mal hin."

Verwirrt stehe ich von ihrem Bett auf und stelle mich hin, wie sie gesagt hat. Ihre Augen scannen mich ab und leichtes Unwohlsein steigt in mir auf. Was macht sie da?

Plötzlich dreht sie sich mit Schwung um und reißt ihren Kleiderschrank auf. "Wie gut, dass ich noch alte Hosen von mir habe, die dir eigentlich passen müssten."

Erstaunt hebe ich meine Augenbrauen. "Echt? Und du würdest sie mir leihen?"

Nora zuckt mit den Schultern und holt drei Reithosen aus dem Schrank, die sie mir mit einem Lächeln präsentiert. "Ich würde sie dir sogar schenken, weil sie mir eh nicht mehr passen und das doch eine viel bessere Lösung wäre, als sie wegzuschmeißen."

Ich lächle und dann drücke ich sie kurz an mir. "Danke! Du rettest mir wirklich meinen Tag."

Sie winkt ab. "Ach, wofür sind Freunde denn da? Aber freu dich nicht zu früh, ich bin mir nicht ganz sicher, ob sie dir passen werden. Also, los zieh sie an!"

Keine fünf Minuten später habe ich bereits die erste Reithose an, die braun und schwarz ist. "Hmm", überlegt Nora. "Die könnte dir doch ein bisschen zu klein sein, oder?"

Ich sehe an mir herunter. "Nein, eigentlich sitzt sie ganz gut."

"Okay, aber zieh die anderen auch mal an."

Die schwarze Hose ist okay, aber ein wenig eng und die karierte ist mir noch zu groß. Die letzte sitzt gut, nicht zu eng und auch nicht zu klein und Nora schaut mich lächelnd an. "Perfekt. Dreh dich mal um."

Gesagt, getan. Ich drehe mich um und warte auf Noras Urteil, doch sie sagt lediglich "Gut, in der Hose kommt auch dein Hintern gut zur Geltung, die kannst du nehmen."

"Was?" Das hat sie doch jetzt gerade echt nicht gesagt, oder? Ich drehe mich um und sehe eine grinsende Nora vor mir, die die Daumen hoch hält. Ich kann nicht anders als zu grinsen und keine zwei Sekunden später brechen wir in Gelächter aus.

"Okay, lass uns zu dir gehen, sonst kommen wir gleich noch zu spät.", sagt Nora, als wir uns beruhigt haben und nachdem sie sich auch noch schnell umgezogen und ihre Sachen für Ravenna geholt hat, machen wir uns auf dem Weg zum Hof.

Lasst die erste Reitstunde nach drei Jahren ein voller Erfolg werden!

MondblumeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt