Z W Ö L F

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Wir haben Nora und Niko zu ihnen nach Hause gefahren und ich habe noch kurz Noras Familie kennengelernt, bevor auch Henry, Sam und ich aufbrechen und nach Hause fahren.

Die Fahrt dauert nicht lange, höchstens zwanzig Minuten, doch ich erwische mich immer wieder dabei, wie ich eindöse. Dieser Abend hat mich ein wenig erschöpft und obwohl ich verloren habe, stimmt mich die Niederlage Henrys ein wenig frohsinnig.

Es ist still und im Auto herrscht eine angenehme Spannung, bis ich meine Augen nicht mehr aufhalten kann und ich mich an Sams Schulter anlehne, der neben mir sitzt.

"Hat er dich eigentlich nach deiner Nummer gefragt?", vernehme ich plötzlich seine Stimme an meinem Ohr und ich öffne schläfrig meine Augen. "Wer?"

"Na, der Typ aus dem Bowlingcenter, Gus heißt der, glaube ich."

Irritiert runzle ich die Stirn, doch davon bekomme ich Kopfschmerzen, also lasse ich es sein und lasse meinen Kopf wieder auf Sams Schulter fallen. "Warum sollte er mich nach meiner Nummer gefragt haben?"

"Hast du seine Blicke nicht gesehen?", fragt Sam verwundert nach.

"Nein, welche Blicke denn?"

"Der Typ hat dich angestarrt, als wolle er sich im nächsten Moment auf dich stürzen."

Ich kichere kurz bei dem Vergleich und seufze dann leise auf. Irgendwie ist Sams Schulter ganz gemütlich...

Aber nicht so schön wie Henrys Schultern.

Ich schlage abrupt meine Augen auf. Wo kam denn der Gedanke her? Warum denke ich sowas? Henry gehört absolut nicht mir und schon gar kann ich beurteilen, ob seine Schultern bequem sind oder, wenn ich erst einmal darauf geschlafen habe!

Ich beschließe meine Gedanken ruhen zu lassen und schließe wieder meine Augen.

Das letzte, was ich noch höre, ist, wie Henry sagt "Diesen Typen konnte ich irgendwie nicht leiden.", dann bin ich eingeschlafen.



Ich rannte. Ich rannte und rannte und rannte. Wohin wusste ich nicht, hauptsache nur weg. Nur weg von diesen Stimmen, die immer wieder schrien, doch wie sollte ich vor meinem eigenem Kopf davon laufen?


Was hast du getan?, schrien sie, Du hast gerade alles kapputt gemacht! Alles deine Schuld! Du bist es nicht wert, von diesen Menschen geliebt zu werden! Renn doch, soviel du kannst, vor deinen Fehlern kannst du nicht davonlaufen!

Ich schluchzte auf und versuchte meine Gedanken zu ignorieren, doch es gelang mir nicht. Erinnerungsfetzen des Streites schossen mir durch den Kopf und irgendwann platzten meine Lungen. Keuchend blieb ich an einer Ecke stehen und holte Luft, doch es war nie genug.

Erinnerungen, Stimmen, Sätze, Wörter wiederholten sich immer wieder in meinen Gedanken, bis ich es nicht mehr aushielt und zusamenbrach.
Ich landete auf der Straße, rollte mich zu einer Kugel zusammen und dann schrie ich. Ich schrie meine Wut, meinen Frust, meine Verzweiflung, meinen Schmerz hinaus in die Welt. Ich schrie, bis meine Stimme heiser war und doch war es nicht genug, denn die Welt brach zusammen. Ich schien zu zergehen an den Flammen des Schmerzes, den meinen Körper zerfraß und erstickte an meinen eigenen Worten.

Dann hielt mich nichts mehr. Ich vergoss Träne für Träne und mit jeder wurde der Schmerz größer, bis mir nur noch der letzte Satz, der alles für immer änder sollte, durch den Kopf schoss, wie ein nachhallender Schrei.

"Ihr allein seid Schuld an dem Tod meiner Mutter! Und das werde ich euch nie verzeihen!"

Dann wurde alles schwarz.

MondblumeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt