Z W E I

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Ich erschrecke. Vor mir steht wahrhaftig strahlend und mit einem Lächeln auf den Lippen Claire Parker, Moms beste Freundin. Sie scheint sich kein bisschen verändert zu haben. Sie hat immer noch die gleichen roten Haare (na ja, vielleicht ein bisschen länger), die gleichen strahlenden blauen Augen, die einen gelben Kranz um ihre Pupillen bilden und dieselbe hochgewachsene Figur. Nur ihre Hüfte scheint in den letzten Jahren ein wenig breiter geworden zu sein. Es beeinträchtigt ihre Statur aber überhaupt nicht, im Gegenteil; es macht sie noch kurviger. Es scheint ihr prächtig zu gehen; sie blüht in ihrem Reiterhof ja richtig auf!

"Daniel, was für eine Freude dich zu sehen!", lächelt sie und umarmt ihn herzlich. Still stehe ich daneben und frage mich ob sie mich auch umarmen wird, nach allem was ich ihnen angetan habe. Sie halten ein bisschen Smalltalk und ich störe sie nicht. So habe ich Zeit, meine Gefühle unter Kontrolle zu bringen. Denn, obwohl ich es nicht zugeben will, habe ich ihre Art vermisst und irgendetwas an diesem so vertrautem Ort, lässt mich einfach glücklich fühlen, so glücklich, wie seit drei Jahren nicht mehr, auch wenn der Schatten der Vergangenheit schwer auf mir liegt.

Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie Claire sich mir zuwendet und ich hebe den Kopf. Unsicher schaue ich ihr entgegen, doch ihre Augen strahlen pure Freude aus, keinen Schmerz oder Gehässigkeit, wie ich erwartet habe.

"Luna!" Mich überkommt eine Gänsehaut. Sie legt so viel Gefühl, so viel Liebe in dieses eine Wort, dass in diesem Moment so viel bedeutet. Jetzt kommt die Frage, vor der ich mich gedrückt habe. Kalt oder Warm? Alt oder Neu? Ja oder Nein?

Doch Zeit für eine Entscheidung bleibt mir nicht; Claire nimmt sie mir ab, indem sie mich einfach umarmt. Es ist ein tröstliches Gefühl, dass sie nicht darüber nachdenkt, wer ich bin, sondern einfach handelt. Aber ich versteife mich, es ist schon lange her, seit mich jemand so an sich presst, als wäre ich etwas Besonderes.

Schließlich jedoch schlinge ich auch meine Arme um ihre Schultern und drücke sie so gut es geht an mich. Mehrere Minuten verweilen wir so und es ist ein tröstliches Gefühl, dass Claire nicht nachdenkt, wer ich bin und einfach handelt, während es auf der anderen Seite schmerzt, da es mich so an eine bestimmte Person erinnert.

Wir lösen uns voneinander und ich lächle zögernd, auf jeden weiteren Schritt bedacht. "Hallo Claire."

"Oh Luna, wie ich mich freue dich zu sehen! Lass dich mal ansehen!" Claire mustert mich immer noch strahlend und ich werde unruhig. So gerne ich sie mag, ich hasse es, wenn Leute mich ansehen, als wäre ich irgendein Spielzeug, dass sie erst mal auschecken müssen.

"Mein Gott, bist du gewachsen! Und wie hübsch du geworden bist!" Liebevoll lächelt Claire und zeigt dabei ihr rechtes Grübchen.

Oh Gott, es ist absurd! Ich kann diesen Menschen vor mir nicht hassen, selbst wenn ich es wollte. Diese Familie ist mir einfach zu vertraut, um mit ihnen jetzt nach drei Jahren anders umzugehen. Ich weiß, dass es mir nicht gelingen wird, sie so zu behandeln, als wären sie mir egal, denn das stimmt nicht. Auch wenn ich es mir nicht eingestehen möchte, so habe ich alle doch die letzten drei Jahre über vermisst.

"Du siehst aus wie deine Mutter.", flüstert sie und ich schlucke. Ich wusste, dass das irgendwann kommen muss. Aber es ist okay, sie darf es. Sie ist Moms beste Freundin. "Nur die Augen die hast du von deinem Vater." Schlagartig wird mir kalt. Warum musste sie das sagen? Ich weiß, das ich dieselbe Augenfarbe habe, wenn ich mich im Spiegelbild sehe. Und ich hasse es!

Claire scheint zu merken, dass mir dieses Thema nicht liegt, denn sie seufzt auf. "Ach Luna, du weißt gar nicht, wie sehr ich mich freue, dass du hier bist! Du hast uns allen so gefehlt!"

Schlagartig vergesse ich meinen Vater und schaue sie ungläubig an. Was? Ich habe ihnen gefehlt? Aber, nach alldem, was ich getan habe? Ich starre in ihre blaue Augen, suche nach einem Anzeichen für ein Scherz, doch alles was ich erkenne ist Freude und Verständnis - und ein glückliches Strahlen, dass es schon fast unheimlich ist.

MondblumeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt