3. Kapitel: Besuch

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"Es tut mir leid Schatz. Aber dein Dad und ich müssen noch zu einem wichtigen Meeting. Das können wir echt nicht ausfallen lassen." erklärte Mum.
"Ok" meinte ich einfach nur mit leichter (diesmal echter) Gekränktheit.
"Sorry. Dafür verspreche ich, dass wir nächste Woche was ganz besonderes machen" versuchte sie sich zu entschuldigen.
"Meinetwegen" gab ich einfach zurück und Mum verließ mein Zimmer.

Ich war nicht sonderlich traurig, dass der "Familienausflug" ausfiel. Was mich aber wütend machte war, dass Mum und Dad immer etwas versprachen, es aber doch nie hielten. Immer hatten sie irgendein Meeting, ein wichtiges Essen, oder wurden "ganz dringend" auf ihrer Arbeit gebraucht. Ich hatte noch nie ein besonders enges Verhältnis zu meinen Eltern. Eigentlich hatte ich noch nie überhaupt ein besonders enges Verhältnis zu irgendwem. Immerhin waren meine Freunde geplant und ausgesucht und meine Eltern.... naja, die waren eben meine Eltern.

Ich beendete meine Hausaufgaben und zog mir bequemere Sachen an. Meistens trug ich an Freitagen bunte, gemusterte Klamotten. Da ich nichts mehr zu tun hatte und nicht mehr auf die Straße oder sonst in die Öffentlichkeit musste, konnte ich beruhigt rumlaufen wie ich wollte. Meine Eltern waren zwar nie sehr erfreut darüber, aber ich denke, sie hatten es aufgegeben, sich darüber zu beschweren. Also zog ich mir meine grau-blaue Jogginghose an (normalerweise zog ich kein grau an, wenn es nicht unbedingt sein musste, aber ich liebte einfach diese Hose) und mein mintgrünes, enges T-Shirt über die weite Jogginghose. So verbrachte ich die nächsten paar Stunden mit dem Wechseln der Muster von allem Möglichem, Fernsehen, Musik hören und den Rest meiner Schokolade zu essen, die ich fast vergessen hatte.

Bis zum Abendessen blieb ich ungestört und konnte tun und lasse was ich wollte (solange es nicht zu laut war und im meinem Zimmer stattfand). Doch schließlich (leider) war es so weit, dass ich essen gehen musste. Es war genau 19:00 Uhr als mein Dad von unten rief, dass ich zum Essen kommen sollte. Ich erhob mich schwerfällig von meinem Bett und lief gesittet die Treppe hinunter. Ich setzte mich brav an den Tisch und begann mein Essen zu essen. Wie jeden Freitag Abend gab es Salat und Brot. Früher als kleines Kind hab ich mir immer einen Spaß daraus gemacht, das Muster vom Essen zu ändern. Bis mein Dad mal völlig ausgerastet ist. Er hasste mein "Talent". Seitdem habe ich das Ändern von Mustern in Gegenwart meines Dads unterlassen. Doch heute konnte ich einfach nicht widerstehen und fing an, das Muster meiner kuscheligen, dicken Socken zu ändern. Irgendwann wurde mir das zu langweilig und ich wagte es, auch das Muster meiner Hose zu ändern. Als meine blau, graue Hose gerade ein Muster aus vielen kleinen Pünktchen hatte, warf Mum mir einen warnenden Blick zu und formte mit den Lippen lautlos die Worte "Lass das". Ich schaute zu Dad der uns beide misstrauisch anschaute und widmete mich wieder meinem Essen.

Gesprochen wurde beim Essen eigentlich nie. So auch heute nicht und als alle fertig waren mit essen, stand ich auf und fing an, den Tisch abzuräumen. Dad begab sich meistens direkt nach dem Essen (was immer genau pünktlich um 19:27 Uhr zu Ende war) in sein Büro. Mum räumte mit mir den Tisch ab (wie immer). Wir waren gerade fertig (19:36 Uhr und 28 Sekunden) und Mum war schon auf dem Weg ins Badezimmer, als es an der Tür klingelte. Ich hasste unseren Klingelton (Bzw, hatten alle diesen Klingelton und ich glaube genau deswegen verabscheute ich ihn so). Da ich die war, die der Tür am nächsten stand, ging ich hinüber und öffnete sie. Für einen kurzen Moment stand ich einfach wie erstarrt da und starrte die Person vor mir an. Vor der Tür stand der Typ. Der, in den ich heute auf dem Weg hineingelaufen war.

In seinen Augen lag dieser kalte, förmliche und distanzierte Ausdruck. Dieser Ausdruck, den jeder in dieser Stadt rund um die Uhr, sieben Tage die Woche zur Schau stellte. Er starrte mich mit diesem Ausdruck eindringlich an und ich starrte einfach zurück. Ich wusste nicht, ob in meinen Augen derselbe Ausdruck lag, aber im Moment hoffte ich es. Normalerweise hasste ich diesen Ausdruck. Da ich aber nicht sicher war, ob er sich an mich erinnerte, ließ ich zu, dass meine Augen ebenfalls vor Kälte und Distanziertheit strahlten. Es war nicht einfach, diesen Ausdruck zu halten, da meine Augen einen karamellfarbenen Ton hatten und dieser eigentlich immer warm und freundlich wirkte. Außerdem richtete ich mich zu meiner vollen Größe auf. Ich wollte auf gar keinen Fall schwach wirken, vor allem nicht nach dem heutigen "fast-Sturz" wegen diesem Typ. Leider überragte er mich immer noch um mindestens einen Kopf.

Nachdem wir uns gefühlte Ewigkeiten nur angestarrt hatten, glitt sein Blick an mir hinunter zu meiner Jogginghose. Als ich seinem Blick folgte, stellte ich mit Schrecken fest, dass meine Hose immer noch mit vielen, kleinen, weißen Pünktchen besetzt war. Ohne nachzudenken entfernte ich sie und stellte das Original meiner Hose wieder her. Erst jetzt fiel mir auf, dass ich mich ja immer noch in Gegenwart von diesem Typen befand - und nun kannte er mein "Talent".
Böser Fehler.
Niemand durfte davon wissen, abgesehen von Mum, Dad und mir. Und Mum und Dad auch nur, da dies ja nicht zu vermeiden war. Als ich meinen Kopf wieder hob, starrte ich direkt in die blauen Augen von dem Typ. So standen wir noch kurz und starrten uns wieder einmal an, dann, ganz plötzlich, drehte er sich einfach um und verschwand im Treppenhaus.

Ich stand noch lange an der Tür und starrte auf die Stelle wo er verschwunden war. Schließlich (es war genau 19:46 Uhr und 58 Sekunden) rief Mum aus dem Badezimmer, wer an der Tür war und was er wollte. Da normalerweise nie irgendwo unangekündigter oder spontaner Besuch auftauchte, musste ich mir echt was einfallen lasse, was ich Mum erzählen konnte.

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