9. Kapitel: Vincent

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Ich zog also Mantel, Stiefel, Schal und Mütze an und trat vor die Tür. Ich lief so schnell ich konnte zum Bus, stieg ein und fuhr in den nächsten Supermarkt. Als ich ausgestiegen war ging ich in den Laden und machte mich auf die Suche nach was süßem.

Eine halbe Stunde später (ich hatte allgemein Probleme mich schnell zu entscheiden) trat ich wieder hinaus in die Kälte und wickelte mein Schal noch fester um meinen Hals. Ich ging zur Bushaltestelle, stellte mich neben einen etwas größeren Mann, der, wie ich aus dem Augenwinkel erkennen konnte auch noch ziemlich gut gebaut war. Ich starrte auf meinen eben gekauften Joghurt und mein Müsli und plötzlich verging mir der Appetit, als ich seinen brennenden Blick auf mir spürte.

Ich dreht meinen Blick und stockte, denn der Mann neben mir hatte sein Gesicht mir zugewandt und ich schaute in (ausnahmsweise mal nicht in blaue) hellgrüne Augen. Die Person hatte ein markantes Gesicht mit einem hellen Hautton und sandfarbenem Haar die perfekt zu den Augen mit den dichten Wimpern passten. Das Gesicht erschien mir wahnsinnig bekannt, ich wusste nur nicht woher.
"Hey" sagte er nach einem drei minütigen, gegenseitigem Anstarren.
"Hey" gab ich etwas zögerlich zurück.
"Du erinnerst dich nicht an mich..." sagte er gleichzeitig niedergeschlagen und neckisch.
"Ähh, nein. Sorry." gab ich zu.
"Tja naja, du warst schließlich auch 80% der Zeit bewusstlos." erklärte er.
"Ähm, sorry. Wie bitte?" fragte ich in ungläubig.
"Ja. Im Schwimmbad." gab er energisch zurück.
"Schwimmbad... warte kurz. Nein. Keine Ahnung wer du bist."
"Hey komm. Du musst dich doch erinnern. An mich muss man sich einfach erinnern!" gab er übertrieben selbstbewusst als Antwort. Natürlich konnte ich mich an das Schwimmbad und die ganze Situation erinnern, aber ich hatte es abgehackt und als vergessen erklärt. Ich wollte nicht alles nochmal durchdenken, nur weil jetzt der Typ von damals neben mir an der Haltestelle stand.
"Ich bin Vincent." sagte er und hielt mir die Hand hin.
"Schön." sagte ich einfach und ignorierte seine Hand.
Jedoch nahm er seine Hand nicht weg, wie gedacht, sondern hielt sie mir einfach weiter hin. Schließlich seufzte ich, ergriff seine Hand und sagte kurz "Julie". 
Das Händeschütteln zog sich länger hin als gedacht. So lange das ich ihm irgendwann meine Hand entzog und sie in meine Jackentasche steckte.

"Willst du mir nichts von dir erzählen?" fragte mich Vincent irgendwann.
"Was sollte ich denn bitte erzählen?"
"Naja, wie alt du bist, was dich von den anderen unterscheidet...
... ob du einen Freund hast." fügte er nach kurzem Zögern und mit einem anzüglichen Grinsen hinzu.
Ich schnaubte.
"16, nix, nein." gab ich kurzangebunden Antworten auf seine Fragen.
"Ah ja. Nix sagst du?"
"Ja nix. Wie kommst du darauf, dass mich etwas von ihnen unterscheidet?"
"Naja, sonst hätte Cem dich ja sicher nicht angeschleppt" antwortete er mit einem Zwinkern.
"Cem... komischer Name" dachte ich laut vor mich hin.
"Was? Er hat dir noch nicht seinen Namen verraten gehabt?"
"Ähhh... nein. Warum auch?" stammelte ich vor mich hin.
"Äh naja, so wie er von dir geredet hat musst du ja was besonderes sein" fügte er mit einem Grinsen im Gesicht hinzu.
"Was hat er denn erzählt?" wollte ich aus reiner Neugierde wissen.
"Ach nichts" winkte Vincent ab.
"Jetzt erzähl schon!" quengelte ich.
Ach, wenn ichs mir so überlege, erinnere ich mich gar nicht daran..." sagte er und tat nachdenklich.
"Ok, dann nicht." antwortete ich, drehte mich um und lief in eine Richtung davon. Ich war gerade zwei Schritte weit gekommen, als ich am Arm zurück gehalten wurde.
"Ihr habt alle ne Schwäche mich am Arm fest zu halten oder?" fragte ich lachend.

"Was...? Oh." sagte Vincent mit einem Grinsen und mit Blick auf seine Hand auf meinem Arm.
"Was ich eigentlich sagen wollte, vielleicht erinnere ich mich ja doch noch..." fügte er mit einem wissenden Grinsen hinzu. Ich lachte und fragte: "Ok, was muss ich machen?"
"Ach nix, ich möchte nur einen Kuss."
Ich starrte ihn geschockt an.
Er lachte und sagte nur "Oh Gott du müsstest mal dein Gesicht sehen! Das war ein Spaß."
Ich schaute wahrscheinlich ein bisschen verwirrt, weswegen er noch ein "Ich brauche keinen Kuss um mich zu erinnern" hinzufügte.
"Tja, sei froh, du hättest dich nämlich nie mehr erinnern können." gab ich zickig zurück.
"Sag niemals nie" sagte er und grinste breit. Ich konnte nicht anders, ich musste einfach lachen. Die ganze Situation war einfach zu komisch!
"Was ist so lustig?" fragte er und jetzt war ich diejenige die sich an seinem Gesichtsausdruck erfreuen konnte (was nur dazu führte, dass ich mich mehr lachte). Mitten im Lachen hielt inne und bemerkte wie einige Leute mich schon anstarrten. Lachen in der Öffentlichkeit zierte sich nicht. Also verstummte ich und wand mich wieder an Vincent.

"Also, was ist jetzt so besondres an dir?" fragte er nach.
"Warum sollte ich dir das sagen?" gab ich genervt aber trotzdem mit einem Grinsen im Gesicht von mir.
"Naja, ich erinnere mich dann vielleicht was Cem über dich gesagt hat" beantwortete er meine Frage und setzte ein neckisches Grinsen auf.
Ich seufzte und verdrehte die Augen.
"Ich kann Muster und Farben ändern" sagte ich leise, damit es niemand sonst hörte.
"Cool, ich Male auch gerne" gab Vincent von sich.
"Nein, du verstehst das nicht. Ich brauche weder Stifte noch Farben dafür"
"Ja sicher." sagte er und schnaubte.
"Ok ich zeigs dir. Komm mit" sagte ich, packte ihn am Arm und schleifte ihn in eine Telefonzelle.
"Uh, ganz schön eng hier" sagte Vincent und zog vielsagend die Augenbraue hoch.
"Halt die Klappe" sagte ich, musste aber dennoch lachen.
"Also, schau her" sagte ich und änderte das Muster von meinem Schnürsenkel. Ich schaute zu Vincent rüber, der verwirrt schaute und leicht den Kopf schüttelte.
"Nein. Nein. Das geht gar nicht" sagte er bestimmt zu sich selbst.
"Du glaubst mir nicht? Gib mir deine Hand" sagte ich. Er hielt mir seine Hand hin und ich änderte das Muster seiner Handschuhe.
"Überzeugt?" fragte ich.
"Das ist echt..."
"Wow, sprachlos. Hätte ich von dir ja nicht erwartet. Ich kenn dich zwar erst seit ner halben Stunde aber, trotzdem" sagte ich lachend. Ich hatte wirklich nicht erwartet, dass irgendwer mal sprachlos sein würde, wenn ich Ihnen mein "Talent" zeigte. Ich dachte immer alle würden schreiend wegrennen. Aber Vincent war anders.

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