10- Zwei Welten

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10- Zwei Welten

Die Welt schien zu schwanken, aus dem Gleichgewicht geraten zu sein. Ihre Pfoten standen fest auf dem Boden, aber gleichzeitig wankte ihre Umgebung hin und her. Sie traute sich nicht weiterzulaufen. Sobald sie eine Pfote heben wollte, setzte ein stechender Schmerz in ihrem Kopf ein. Ihr Körper konnte einfach nicht mehr.

Sie wusste nicht, wie lange sie schon an dieser Stelle stand, unfähig sich zu bewegen, während die Welt um sie herum schaukelte. Erschöpft ließ sie sich auf den Boden sinken, versuchte, den Schmerz zu ignorieren. Selbst als sie den Kopf in das Gras legte, schien sich alles zu drehen. Der Himmel hatte eine seltsame Farbe angenommen. War es inzwischen Morgen? Sie wünschte sich nichts sehnlicher, als dass endlich wieder alles normal wurde.

Die schaukelnde Sicht und die Schmerzen raubten ihr die Besinnung und irgendwann lag sie nur noch da, den Grashalm vor ihrer Schnauze anstarrend. Was war nur passiert? Aber jedes Mal, wenn sie versuchte zu denken, stach der Schmerz erneut und noch erbarmungsloser als zuvor zu. Es schien als verweigerte ihr Körper sämtliche Aufgaben. Ihr blieb nichts Anderes übrig, als hier liegen zu bleiben und einzuschlafen. Vielleicht für immer.



Endres traute seinen Augen kaum, als er Alba in der Morgendämmerung erblickte. Er fiel in einen schnellen Lauf und hatte den Wolf schon bald erreicht. Alba schien erleichtert, Endres wieder zu sehen. „Wo ist Jonata?", fragte Endres atemlos. „Ich weiß es nicht", antwortete Alba. „Auf einmal war sie verschwunden. Ich war nur kurz am Fluss etwas trinken und als ich mich umdrehte, war sie weg." „Hast du sie gesucht?", fragte Endres.

„Natürlich. Was denkst du denn? Wir kennen uns hier überhaupt nicht aus, wir können den Weg nur zusammenfinden!", antwortete Alba mit hörbarer Verzweiflung in der Stimme. „Aber ich wollte mich nicht zu weit von diesem Ort entfernen. Ich habe geahnt, dass du mich bald einholen wirst. Wäre ich losgegangen, hätten wir uns verloren und jeder von uns wäre wahrscheinlich umhergeirrt. Hoffentlich war es nicht die falsche Entscheidung. Ich wusste echt nicht, was ich tun soll."

„Wir brauchen uns keine Sorgen zu machen", meinte Endres und sah in den Himmel, wo die letzten Sterne dem immer stärker werdenden Morgenrot trotzten. Endres wusste, dass das Rudel der Sterne auch am Tag über die Wölfe wachte, auch wenn sie nicht zu sehen waren. Schränkte das ihre Macht ein? Konnten sie am Tag weniger für die Wölfe tun? Er hoffte, dass sie Jonata bald finden würden. „Wir müssen sie suchen", sagte er festentschlossen. „Es bringt nichts, wenn wir warten, bis sie wieder hier auftaucht. Es könnte Tage dauern oder gar nicht geschehen."

„Wo wollen wir langgehen?", fragte Alba. „Jonata könnte in jede Richtung gelaufen sein!" „Laufen wir weiter flussaufwärts", schlug Endres vor. „Das würde auch unserem Weg entsprechen, vielleicht ist Jonata auch einfach nur vorausgelaufen." „Als ob sie ohne uns weiterziehen würde!", erwiderte Alba. „Das glaubst du doch selbst nicht. Es muss etwas geschehen sein." „Hoffen wir, dass wir sie rechtzeitig finden", meinte Endres und lief los.



Sie bewegte sich. Aus den noch halbgeschlossenen Augen konnte sie sehen, wie die Welt vorüberzog. Aber ihre Pfoten schwebten in der Luft. Sie lief nicht selbst. Oder flog sie? War sie auf dem Weg zum Rudel der Sterne? Starb sie? Niemand hatte je herausgefunden, wie die verstorbenen Wölfe in das Rudel der Sterne aufgenommen wurden. Vielleicht war das die Zeremonie? Hatte das Leiden bald ein Ende? Sie wünschte sich nichts sehnlicher als dass die Schmerzen endlich aufhörten.

Warum war es nur so weit gekommen? Ihre Erinnerungen waren sehr schwach und äußerst schemenhaft. Das einzige, an das sie sich erinnern konnte, waren zwei Gestalten von Wölfen. War sie eine der Gestalten? Oder gehörte sie zu ihnen? Was war passiert? Doch je mehr Fragen sie sich in Gedanken stellte, desto verwirrender wurde alles und die Schmerzen verschlimmerten sich. Ein sicheres Zeichen, dass sie sich nicht auf dem Weg zum Rudel der Sterne befand. Nur was geschah dann? Fragen. Zu viele Fragen.

Im Reich der Wölfe - Halbmond (Band 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt