9- Zukunft der Vergangenheit

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9- Zukunft der Vergangenheit

Lautes Geheul erfüllte die Höhle, deren Wände die Laute wiedergaben und verstärkten. Die Wölfe konnten sich nicht mehr beruhigen und es dauerte eine Weile, bis Nachtschatten die Lautstärke als angenehm genug empfand, weiterzusprechen. „Wir haben viel zu lang gewartet", sprach er im Brustton der Überzeugung. „Jetzt werden wir uns endlich das wiederholen, was uns schon so lange gebührt!"

Sofort schwoll das Geheul wieder an. Nachschatten sah auf die Wölfe herab. Siegessicher ließ er den Blick über die Menge streifen, er war sich sicher, schon gewonnen zu haben. Die Wölfe verehrten ihn. Für sie war er der geborene Anführer, der sie durch jede noch so schwere Zeit brachte. Nicht nur das, er wollte die alten Zustände wiederherstellen. Vor vielen Monden waren ihre Vorfahren vertrieben worden, hatten im Hinterland der Berge, in trister und öder Umgebung, ihr Leben unter schwierigsten Umständen fristen müssen. Währenddessen hatte sich die Lage in ihrer alten Heimat extrem verändert.

Verweichlicht war in Nachtschattens Augen wohl das bessere Wort. Nur durch einige Eulen, die beide Gebiete querten, hatte er von den Wölfen der Großen Ebene gehört. Doch das Geschwätz der Eulen war immer dasselbe gewesen. Nachtschattens Nackenfell hatte sich jedes Mal empört aufgerichtet, dass er am liebsten irgendwen zerfleischt hätte. Was war nur aus den schönen Traditionen geworden? Aus den Regeln? Aus der Rangordnung, die unzählige Monde lang das Leben der Wölfe bestimmt hatte?

Nichts war mehr von dem übriggeblieben. Die Wölfe, die jetzt dort lebten, traten ihre Vergangenheit mit den Pfoten, eine regelrechte Verachtung. Nachtschatten fletschte die Zähne. „Wir werden die alte Rangordnung wiederherstellen und die alten Regeln wiedereinführen. Diese Wölfe sollen lernen, was es bedeutet, die Vergangenheit so zu missachten. Wir werden sie nicht bestrafen, nein. Wir werden sie vernichten und uns das wiederholen, was seit Monden verloren gegangen. Das, was in den Pfoten der Verräter liegt, gehört uns. Nur uns! Und keinem anderen."

Die Wölfe heulten ihre Zustimmung zum Stein hinauf. Die Höhle war bis auf den letzten Platz mit Wölfen ausgefüllt. Graue, braune, rote und schwarze Pelze drängten sich dicht an dicht, um den Reden des großen Anführers zu hören. Für diese Wölfe gab es keinen anderen als Nachtschatten. Er würde sie alle rächen. Deswegen stimmten sie ihm zu, vertrauten ihm blind und ließen alles mit sich machen. Dem Anführer selbst gefiel das. Er spielte seine Macht in jeder Situation aus, natürlich immer unter dem Vorwand, es für die Rache zu nutzen. Denn nicht nur die Verräter musste er vernichten, nein.

Es gab auch noch andere Lebewesen, denen er zeigen musste, dass man mit Nachtschatten nicht so einfach fertig wird. Die Verantwortung seiner Vorfahren, viele Generationen, lastete auf ihm und genau das machte ihm zu einem gefährlichen Kämpfer. Einen Plan hatte er schon lange. Schon als Welpe war sein Ziel, die Schmähe und Verluste, die seine Vorfahren erfahren mussten, zu rächen. Noch bevor er zum Anführer der Wölfe geworden war, hatte der Plan in seinem Kopf existiert.

Doch wusste er wirklich, dass sein Plan funktionierte? Alles, was er wusste, basierte auf den Erzählungen anderer. Er wusste demnach nicht, ob es falsch oder richtig war, er ging einfach davon aus. Selbst wenn ihn etwas Anderes erwarten würde als in seinen Vorstellungen, er würde damit fertig werden. Nachtschatten hatte sie besten Wölfe unter sich, die er sich vorstellen konnte. Jeder würde bis zum Tod für seine Sache kämpfen. Sie alle verfolgten ein gemeinsames Ziel.

Die Zukunft der Vergangenheit zu ändern.


Im Reich der Wölfe - Halbmond (Band 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt