7- Frieden

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7- Frieden


„Toll, du hast einen Zapfen gefunden", rief Jonata. Sie hatte aufgehört, sich mit ihrem Bruder zu raufen. „Und das ganz ohne unsere Hilfe." „Ihr wart ja beschäftigt", erwiderte Endres und legte den Zapfen vor Jonatas Pfoten ab. „Er hat tatsächlich Pfoten", sagte sie erstaunt. „Wie hast du ihn entdeckt?", wollte sie wissen. „Ich habe eigentlich gar nicht gesucht", gab Endres zu. „Er ist mir vor die Pfoten gerollt."

"Umso besser", bellte Alba und sprang wieder auf die Pfoten. "Desto schneller sind wir wieder aus diesem Wald heraus." Endres gab den Tannenzapfen in den Beutel. Dann liefen die drei Wölfe den Kessel wieder hinauf. Als sie oben waren, liefen Alba und Jonata bereits voraus. Endres blieb stehen und blickte wieder zurück auf den Kessel und die Steine und Tannen, die darin lagen. Für einen Herzschlag war es hell und Endres sah Wölfe durch das Lager laufen. Wölfe, die sich ausruhten, Wölfe, die auf Jagd gingen, Welpen und Älteste.

Als Endres noch einmal hinsah, war der Kessel wieder dunkel und die Steine ragten als bedrohliche Schatten hinauf, die nach Endres zu greifen schienen. Schnell lief der Wolf hinter seinen Gefährten hinterher. Bald waren sie wieder am Polterpfad angekommen. "Wenn wir den Menschenort hinter uns gelassen haben, suchen wir uns ein Lager." Mit dem Menschenort meinte Jonata das Kloster, dachte sich Endres. Ob sein Verschwinden wohl schon bemerkt worden war? Sicherlich nicht.

Noch schliefen die Mönche und Endres war schon mehrmals auch tagsüber bei den Wölfen geblieben und nie hatte jemand danach gefragt. Jetzt war es aber nicht nur ein einzelner Tag, an dem er am Abend wiederkommen würde. Wer weiß, wie lange die Große Reise dauerte? Laut Jylge waren es mehrere Tagesreisen, es kam aber auch immer darauf an, wie schnell die Wölfe die geforderten Gegenstände fanden. Wenn das Wetter plötzlich umschlug und die Wölfe nicht weiterziehen konnten, dann würde die Reise sogar noch länger dauern. Wie dem auch war, Endres fühlte sich nicht wohl bei der Sache, das Kloster für so lange Zeit zu verlassen. Hätte er nicht doch Bruder Paulus etwas davon sagen sollen?

Agnes war die einzige, die von seinem Geheimnis wusste und auch die einzige, der er von der Großen Reise erzählt hatte. Sie würde es bestimmt nicht weitererzählen, aber wenn die Mönche nun dachten, ihm sei etwas zugestoßen? Endres hätte ihnen, wenigstens Bruder Paulus, noch die Nachricht überbracht, dass es ihm gut ginge und er sich keine Sorgen machen brauchte. Aber dafür war es jetzt zu spät.

Endres war sich sicher, dass Jonata und Alba nicht in der Nähe des Klosters ihr Nachtlager aufschlagen wollten. Er hätte also keine Möglichkeit, sich unbemerkt davon zu schleichen, um noch einmal mit Bruder Paulus zu reden. Der Mönch würde ihn sicherlich verstehen, aber die anderen Mönche würden doch auch Fragen stellen. So oder so- Endres konnte es nicht ändern. Wenn er wieder da war, würde wieder alles seinen gewohnten Gang gehen. Falls er zurückkehrte. Warum sollte es nicht an dem sein?

So viele Wölfe hatten die Große Reise schon beschritten und bis auf wenige Ausnahmen waren sie alle zurückgekehrt. Außerdem war er nicht alleine, Jonata und Alba mussten denselben Weg nehmen und so war keiner der Wölfe alleine, im Gegensatz zu anderen vor ihnen.

Es dämmerte, das Kloster hatten die Wölfe schon lange hinter sich gelassen und sie wurden müde. Nachdem sie den Menschenort passiert hatten, kamen sie nicht mehr so schnell voran. Den Laubwald, den sie jetzt durchqueren mussten, hatte keiner der drei Jungwölfe je betreten. Bis jetzt waren sie auf ihnen bekanntem Territorium unterwegs gewesen, nun begann die Große Reise richtig. In den nächsten Tagen und Nächten mussten sich die Wölfe ihren Weg selbst suchen. Wenn sie einen Fehler machten und sich verliefen, mussten sie von selbst wieder auf den richtigen Pfad zurückfinden.

Der Wald, in dem sie sich jetzt befanden, war sehr licht. Das komplette Gegenteil vom Düsterwald. In diesem Wald musste das Rudel des Lichts gelebt haben, wenn Endres sich recht erinnerte. Dessen Lager lag aber noch etwas entfernt, sie würden morgen danach suchen. Endres staunte, dass die Lager nach so langer Zeit noch existierten. „Ich denke, hier ist ein geeigneter Platz", meinte Alba. Zwischen den Wurzeln eines Baumes lagen mehrere Kuhlen, in denen die Wölfe einigermaßen geschützt lagen.

Jonata legte den Beutel, den sie bis jetzt in der Schnauze getragen hatte, ab und legte sich darauf. Alba trat erst ein paar Mal auf den Pfoten und drehte sich im Kreis, bevor auch er sich hinlegte. Schon kurz darauf waren die Geschwister tief und fest eingeschlafen. Endres legte sich in eine andere Kuhle. Den Kopf auf die Vorderpfoten gelegt, konnte er zwischen dem lichten Blätterdach erkennen, wie der Himmel langsam orange wurde. Ein einzelner heller Stern funkelte ihn an. Bitte, Rudel der Sterne, sorg dafür, dass wir wieder unbeschadet nach Hause kommen.


Jonata wälzte sich unruhig hin und her. Sie fand einfach keine Ruhe, sie war zu angespannt. „Es geht los!", rief Jylge und sofort war die Wölfin auf den Beinen und sprintete nach draußen. Das Lager wurde von anderen Wölfen gestürmt, die sich angriffslustig auf ihre Gegner warfen. Jonata wurde schlagartig bewusst, dass sie einer dieser Gegner war. Waren die Ältesten sicher? Wer bewachte die Höhle, in der Duretta und ihre Welpen lagen? Noch ehe Jonata sich umsehen konnte, warf sich eine graue Wölfin auf sie.

Sie knurrte und fletschte die Zähne. Jonata fiel zu Boden und versuchte, sich von dem Gewicht ihrer Gegnerin zu befreien, die nach ihren Ohren schnappte. Sie versuchte, sich nicht auf den Bauch zu drehen, sonst könnte ihr die Wölfin den tödlichen Biss verpassen. Stattdessen erhob sie sich, sodass auch die Wölfin das Gleichgewicht verlor und zu Boden fiel. Sofort sprang Jonata sie an, schnappe nach ihrer Flanke, doch die Wölfin wich aus.

Sie setzte zum Sprung an, doch Jonata wich aus. Verwirrt, dass sie Jonata nicht erwischt hatte, brauchte die Wölfin einen Moment, um sich zu sammeln. Diesen Moment nutze Jonata und griff erneut an. Sie warf die Wölfin zu Boden und versetzte ihr mit der Pfote einen Schlag ins Gesicht. Aus einem Auge quoll Blut und der Schmerz machte die Wölfin nur noch wütender, doch sie konnte Jonata nicht abwehren.

Darauf konzentriert, die Wölfin nur nicht bekommen zu lassen, bearbeitete sie deren Schultern, sodass die Wölfin vor Schmerz aufschrie. Aber dass sie ihre Vorderpfoten nicht mehr ohne Schmerzen bewegen konnte, machte sie nur noch rasender. „Ihr erbärmlichen Heuchler", knurrte sie. „Versuchst du jetzt schon, mich mit Worten niederringen zu wollen? Du bist eine schlechte Kämpferin", erwiderte Jonata. D

ie beiden Wölfinnen rollten in einem wilden Knäuel über den Boden, bis Jonata ein Knacken vernahm. War es einer ihrer Knochen gewesen? Da sah sie die schmerzverzerrte Miene ihrer Gegnerin und wusste, dass sie ihr einen Knochen gebrochen hatte. „Bitte, lass mich", keuchte die Wölfin. „Lass mich gehen."

„Warum sollte ich dich gehen lassen?", fragte Jonata. „Du hast mich angegriffen. Und jetzt bittest du mich um Gnade?" „Ich bin verletzt. Bitte, bitte, ich flehe dich an", flehte die Wölfin. Jonata ließ von ihr ab, nicht ohne einen plötzlichen Angriff der Wölfin abzuwarten. Wenn sie nur geschauspielert hatte, dann sollte sie Jonata richtig kennenlernen, doch die Wölfin blieb am Boden liegen, bevor sie sich mühsam aufrappelte und davon humpelte, eine Vorderpfote in der Luft.

„Wer ist jetzt hier ein erbärmlicher Heuchler?", rief ihr Jonata hinterher. Sie sah sich schnell um. Auf dem Boden lagen bereits einige graue Pelze und Jonata hoffte, dass sie nicht zu ihrem Rudel gehörten. Sie drehte sich zu Durettas Höhle. Endres kämpfte mit einem dunkelgrauen Wolf. Beide bluteten bereits und der Dunkelgraue zog Endres die Pfoten weg und der Wolf landete auf dem Boden.

Sofort kauerte der Dunkelgraue über ihm. Endres' Kehle lag frei und sofort biss der Wolf ohne Gnade hinein. Das Blut spritzte und Endres' mühsames Röcheln übertönte den Kampflärm, der das gesamte Lager erfüllte. „NEIN!"

Im Reich der Wölfe - Halbmond (Band 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt