4- Das Schwarze Dorf

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4- Das Schwarze Dorf


Die Dorfbewohner begrüßten Endres und Bruder Paulus freundlich. Sie waren dem Kloster immer noch dankbar, denn ohne die Pflege und Versorgung würden jetzt nur noch wenige von ihnen leben. Endres konnte sich noch genau daran erinnern: er war seit zwei Tagen im Kloster gewesen und Bruder Paulus hatte ihm gerade den Garten gezeigt, als die schwer verletzten Überlebenden des Raubritterüberfalls angekommen waren.

Die nächsten Tage bestanden nur daraus, sich um diese Menschen zu kümmern. Bruder Paulus hatte rund um die Uhr Medizin hergestellt und die anderen Mönche hatten Essen gekocht, um die Kranken bei Kräften zu halten. Innerhalb der nächsten Wochen verbesserte sich die Lage. Die Dorfbewohner erholten sich und es grenzte an ein Wunder, nein, für Endres war es ein Wunder, dass niemand gestorben war.

Nach dem finalen Kampf gegen die Raubritter waren sie wieder zurück in das Dorf gegangen, um es aufzubauen und noch einmal von vorne zu beginnen. Endres dachte an das Rudel. Sie hatten das Dorf „Schwarzes Dorf" genannt. Bereits vor dem Überfall, bei dem fast alles niedergebrannt war, hatte es so geheißen.

Die Wölfe verbanden etwas Schlechtes mit den Menschen und auch die Farbe schwarz bedeutete bei ihnen, laut einem alten Aberglauben, etwas Schlechtes. Nach dem Überfall war der Name nur noch passender geworden. Von den meisten Häusern war nicht viel mehr als ein Haufen Asche übriggeblieben. Ein paar Hütten waren verkohlt, schwarzes Holz lag überall herum. Davon war jetzt nichts mehr zu erkennen. Endres war zum ersten Mal wieder hier, seit er mit Bruder Vallentin das Dorf besucht hatte, in der Hoffnung, Hinweise auf seine Mutter zu finden.

Dabei hatten sie Agnes und ihre Familie getroffen, deren Dorf auch von den Raubrittern überfallen und dem Erdboden gleichgemacht worden war. Sie kamen mit ins Kloster, da Agnes' Bruder ebenfalls krank war. Jetzt waren sie geblieben und nicht wieder in ihr altes Dorf gezogen. Endres sah sich um. Die Asche war beseitigt, überall standen Holzgerüste für neue Hütten, nur ein paar waren schon fertig.

So wie es früher gewesen war, würde es nie mehr sein. Endres hatte vierzehn Jahre seines Lebens in diesem Dorf verbracht und es nie verlassen. Er kannte jeden Winkel, doch jetzt sah alles so anders aus. Die große Buche vor der winzigen Kirche war verschwunden, der neue Baum, den man an dieselbe Stelle gepflanzt hatte, war nichts weiter als ein armdicker Ast, mit wenigen Zweigen und noch weniger Blättern. Endres wurde aus seinen Gedanken gerissen, als er stürmisch umarmt wurde.

„Du bist wieder da!", rief Agnes und kuschelte sich an ihn. „Da freut sich aber jemand, dich zu sehen", meinte eine zweite Person. Agnes ließ von Endres ab. „Du bist ja nur neidisch", erwiderte sie zu dieser Person und streckte ihr die Zunge raus. „Komm Agnes, lass gut sein", sagte Endres zu ihr. „Na Schwächling, lässt du dich auch mal wieder hier blicken", die Person hielt ihm die Hand hin und Endres schlug ein.

„Ihr braucht doch sicher meine Hilfe", vermutete er mit einem Grinsen im Gesicht. Hennlinn grinste ebenfalls. „Deine doch immer", gab er zu. Endres sah Agnes und Hennlinn an. Beide hatten sich stark verändert. Agnes war dünn und zierlich gewesen, das Gesicht eingefallen und blass. Jetzt wirkte sie erholt und hatte eine gesunde Gesichtsfarbe. Auch Hennlinn sah gesünder aus. Er war noch kräftiger geworden und Endres war froh, dass sie den Streit beigelegt hatten. Hennlinn und sein Zwillingsbruder Pett hatten Endes im Kloster das Leben zur Hölle gemacht.

Sie waren der Meinung, dass sie sie Hilfe der Mönche nicht benötigten. Endres hatte oft Prügel einstecken müssen. Zwei gegen einen war von Anfang an ungerecht gewesen. Endres war zwar fast genauso groß wie die beiden, aber, wenn er neben ihnen stand, fiel er kaum auf. Er hätte so und so keine Chance gegen die beiden gehabt und so war er froh, dass der Kampf gegen die Raubritter auch das geändert hatte.

Im Reich der Wölfe - Halbmond (Band 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt