13- Kalte Steine, kalte Herzen

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13- Kalte Steine, kalte Herzen

„Ich werde noch wahnsinnig", beschwerte sich Alba. „Wir lange hocken wir nun schon hier und haben nichts getan? Gar nichts?" „Wir sind doch gerade zwei Nächte hier", erwiderte Endres verwundert. „Ich bin froh, dass wir uns hier ausruhen können." Obwohl das auch das einzige war, worüber er sich freuen konnte. Dass die anderen Wölfe ihnen Beute brachten und sie sich in der Höhle so viel ausruhen konnten, wie sie wollten, ohne dass jemand ihnen Befehle erteilte, war eine Wohltat nach den anstrengenden Tagen der Reise.

Dennoch fühlte Endres sich nicht wirklich wohl bei den Bergwölfen, wie er sie insgeheim benannt hatte. Es war schwierig zu beschreiben, warum. Lag es daran, dass die Bergwölfe ganz anders miteinander umgingen als Endres und Alba es von zu Hause kannten? Dem Zuhause, das so weit weg war? Die Wölfe pflegten einen kühlen Umgangston. Eine Rangordnung war klar festgelegt und jeder einzelne Wolf hatte seinen Platz.

Es gab Nachtschatten, den obersten Anführer, dann seinen Stellvertreter, darunter folgten zwei ranghöchste Krieger. Der eine war für das Jagen zuständig, während der anderen für das Bewachen verantwortlich war. Unter ihnen kamen die anderen, bereits zu Kriegern ernannten Wölfe. Je älter ein Wolf war, desto höher war auch seine Stellung im Rudel. Die jüngsten Krieger durften ihr Leben am untersten Ende der Rangordnung fristen, während die höheren Wölfe sie schikanierten und umherscheuchten, damit die jungen Wölfe Pflichten und Befehle erledigten, die andere nicht machen wollten.

Neben den Kriegern gab es nur noch die Wölfinnen, die gerade Welpen säugten oder kurz vor der Geburt standen. Über sie hatte Endres noch nicht viel erfahren, da sie sich nicht oft in der Haupthöhle zeigten. Wenn es Endres, Alba und Sonnensplitter in der Höhle zu eng war, dann gingen sie nach draußen, auf das kleine Plateau vor der Höhle. Von dort aus hatten sie einen guten Platz, um die anderen Wölfe zu beobachten. So hatten sie auch innerhalb der kurzen Zeit, die sie hier waren, herausfinden können, wie die Rangordnung aufgestellt war. Jeder Wolf pflegte eine gewisse Arroganz vor einem rangniederen, zollte aber dem höhergestellten Wolf sofort Respekt, wenn dieser sich zeigte.

Diesen Respekt nutzen diese jedoch aus, um die Niederen zu ärgern oder zu beleidigen. Diese Art der Rangordnung gefiel Endres gar nicht. Daher kam wohl auch der kühle Umgangston. Keiner der niederen Wölfe wollte mit einem höheren zusammenecken, so führten sie ihre Befehle aus, ließen ihren Frust jedoch an noch niedriger gestellten Wölfen aus. Endres erinnerte sich an das Rudel im Wald.

Sie hatten auch eine Rangordnung, die sie seit unzähligen Monden befolgten. Es gab ein Leitwolfpaar, dann kamen die bereits ausgebildeten, erwachsenen Wölfe und Wölfinnen und dann die Schüler. Älteste, Mütter und Welpen hatten keine besondere Stelle in der Ordnung. So gesehen waren die Ränge ziemlich grob verteilt, wenn Endres sie mit dieser hier verglich, aber komischerweise ging es in seinem Rudel viel herzlicher zu. Die erwachsenen Wölfe hatten untereinander keine bestimmte Ordnung, auch wenn es Wölfe gab, wie Geras zum Beispiel, der von Jylge oft zu Rat gezogen wurde.

Das war ein Zeichen, dass diese Wölfe ein besonderes Ansehen im Rudel genossen. Dennoch respektierten sie sich alle gegenseitig. Die Jungwölfe bekamen von den Älteren genauso viel Respekt entgegengebracht, wie sie anders herum ihnen auch zollten. Endres musste seufzen. Bald würde er auch ein Wolf sein, der mit seiner Ausbildung fertig war. Sobald sie von dieser Reise zurückkehrten, würde Jylge für ihn, Alba und Jonata die Zeremonie durchführen. Doch wann würde das sein?

Sonnensplitter zufolge war das Fieber gesunken, aber Jonata wachte immer noch nicht auf. Seit inzwischen vier Tagen hatte sie nunmehr keine Beute mehr zu sich genommen und Endres bezweifelte, dass sie weiterziehen konnten, sobald sie erwachte. Es würde noch einige Tage dauern, bis die Wölfin wieder vollständig auf den Beinen war. Sonnensplitter flog jeden Morgen und jeden Abend zu Nachtschatten, um ihn nach Kräutern zu bitten. Der Eulerich verabreichte sie Jonata selbst, der Leitwolf ließ sich dabei nicht blicken.

Im Reich der Wölfe - Halbmond (Band 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt