18- Gesteinigt
„Ich fühle mich schlecht", sagte Jonata. „Richtig schlecht." „Warum das denn?", fragte Alba erstaunt nach. Die Worte waren einfach so aus Jonata herausgeplatzt, kurz nachdem sie die Höhle hinter sich gelassen hatten. Endres konnte Jonata verstehen, auch ohne, dass sie etwas erklärte. Was sich in Nachtschattens Höhle abgespielt hatte, ließ Endres das Fell zu Berge stehen. Nachtschatten hatte sich in den höchsten Tönen loben lassen und die Weise Wölfin bestätigte ihm nur noch einmal, wie toll er sei und dass er alle seine Ziele mit Leichtigkeit erreichen würde.
Jonata hatte wie abgesprochen auf die Fragen des Wolfs geantwortet, auch wenn er ihr angemerkt hatte, wie viel Überwindung und Selbstbeherrschung sie es kostete. „Ich war zwar nicht dabei, aber ich bin mir sicher, dass du das toll gemacht hast. Nachtschatten hat uns ohne weiteres gehen lassen", erklärte Sonnensplitter. „Das ist ein deutliches Zeichen dafür, dass er dir geglaubt hat. Woraus folgt, dass die Weise Wölfin sehr überzeugend war."
„Ich war überzeugend, das sehe ich ja ein", stimmte ihm Jonata zu. „Nur kann ich selbst nicht glauben, was ich da im Brustton der Überzeugung gesagt habe. Ich habe irgendwie Angst vor mir selbst, weil ich ja indirekt vorausgesagt habe, dass Nachtschatten es schaffen könnte, uns alle umzubringen, wenn ich deutlich sein will."
„Letztendlich war es ein Mittel zum Zweck", überlegte Endres. „Es muss doch keine tiefere Bedeutung haben." „Für mich hat es das aber", widersprach Jonata niedergeschlagen. „Ich komme nicht damit klar, was ich gesagt habe. Das kommt mir alles so vor als wäre das vor langer langer Zeit von einer komplett anderen Wölfin gesagt wurden. Dabei war ich es und es liegt noch nicht einmal einen halben Tag zurück."
„Das vergeht schon noch", versprach Alba. „Versuch' einfach nicht darüber nachzudenken." „Das sagst du so leicht", seufzte Jonata. Die drei Wölfe und die Eule waren kurz nach dem Gespräch mit Nachtschatten aufgebrochen. Vorher mussten sich jedoch fast alle Bergwölfe noch von ihnen verabschieden und dementsprechend hatte es seine Zeit gedauert, bis sie endlich losgehen konnten. Sie waren in Richtung des Tals der Sprünge gelaufen. Auf einer ihrer Patrouillen hatten Endres und Alba entdeckt, dass ein weiteres Tal sich diesem anschloss. Aus der Richtung, aus der die Bergwölfe kamen, war es nicht zu sehen.
Erst wenn man ins Tal hinunter und in Richtung Sonnenaufgang lief, wurde das Tal sichtbar. Es war nicht so groß wie die anderen, ein schmaler Pfad wurde von kleineren Wiesen umgeben, einige wenige Bäume wuchsen auf ihnen, bevor die Steinwände wieder steil anstiegen. Doch die Richtung, in die es führte, war genau die richtige, wie es schien. Sonnensplitter vermutete, dass sie in etwa wieder in die Richtung zurückliefen, aus der sie gekommen waren. So mussten sie anscheinend doch keinen großen Umweg machen und es bestand auch keine Gefahr mehr, den Bergwölfen in die Pfoten zu laufen.
Sie mussten sich nur beeilen. Es dämmerte bereits, sie Sonne war hinter ihnen schon untergegangen, die letzten Lichtstrahlen des Tages wurden schwächer. Vor ihnen ergriff die Nacht immer mehr Besitz von der steinigen Welt. „Wir sollten uns einen Unterschlupf für die Nacht suchen", schlug Alba vor.
„Gar keine so schlechte Idee", stimmte Sonnensplitter zu, „obwohl wir Eulen es natürlich bevorzugen, nachts zu reisen. Da ich aber nur einen kleinen Teil der Gruppe ausmache, muss ich mich der Mehrheit fügen. Wenn wir einen Unterschlupf finden, wo wir uns ausruhen können, wäre mir das nur recht. Ein Baum tut es natürlich auch, auf den ich mich setzen kann."
„Da kannst du vielleicht Schlaf finden", erwiderte Endres. „Sollen wir dann auch auf die Bäume klettern?" Die Eule gab wieder ihre seltsamen Laute von sich, wie immer, wenn sie lachte. „Allein, wenn ich mir das vorstelle, könnte ich mich schütteln vor Lachen. Da müsst ihr wirklich mal drüber nachdenken: Wölfe, die auf schwächliche Bäume klettern und sich mit ihren vier großen Pfoten auf einen kleinen Ast quetschen, der unter ihrem Gewicht fast zusammen abbricht."
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Im Reich der Wölfe - Halbmond (Band 2)
Fantasy"Der Neumond war ein Zeichen des Neuanfangs. Aber euch steht noch etwas weitaus Schlimmeres bevor. Du musst stark sein. Du darfst nicht aufgeben. In dir muss brennen, was du in anderen entzünden willst. Nur so kommt ihr durch die schwere Zeit." Der...