17- Das letzte Wort

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VIERTER TEIL

SONNENLICHT

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17- Das letzte Wort

"Ihr wollt uns wirklich schon verlassen?" Nachtschatten versuchte seine Gefühle zu verbergen, doch Endres merkte ihm an, dass er versuchte, seine Enttäuschung zu unterdrücken. Vielleicht war auch etwas Wut dabei. "Mein lieber Nachtschatten, was heißt hier schon", fragte Sonnensplitter. "Wir fallen deinem Rudel nun schon seit mehreren Nächten zur Last."

"Ihr fallt uns doch nicht zur Last", erwiderte Nachtschatten entrüstet. Innerlich widerte es Endres an, wie der Wolf im Namen seines ganzen Rudels log. Ein Wolf war gestorben, ein anderer schwer verletzt, weil es nicht genug Beute für alle gab. Nun fütterten sie noch drei weitere Wölfe und eine Eule durch. Nachtschatten schien sich darüber jedoch keine Sorgen zu machen.

"Wir schätzen deine Gastfreundschaft sehr", sagte Endres zu dem Leitwolf. Er hatte vorhin mit Sonnensplitter genau besprochen, was sie zu Nachtschatten sagen wollten, damit ihr Plan funktionierte." Die Weise Wölfin hat sich wieder erholt, wir müssen weiterziehen. Sobald sie sich zu lange an einem Ort aufhält, wird ihre Macht schwächer. Dabei ist sie doch gerade erst wieder gesundgeworden."

"Willst du etwa, dass alle Tiere von hier bis zum Fernen Wasser erfahren, dass Nachtschatten, der großartige Anführer, Schuld am Tod der Weisen Wölfin trägt?", ergänzte Sonnensplitter. Endres hätte ihn am liebsten sofort gefragt, was das Ferne Wasser ist, doch er hielt sich zurück. Viel wichtiger war es, Nachtschatten davon zu überzeugen, sie gehen zu lassen. Der Anführer schien erschrocken und wusste für einen Moment nicht, was er sagen sollte.

"Von hier... bis zum Fernen Wasser?", wiederholte er. Sonnensplitter nickte. Seine klugen Augen funkelten, es schien ihm Spaß zu machen, dem Anführer Angst einzujagen. "Wenn nicht sogar noch weiter. Die weise Wölfin ist überall bekannt, wir sind schon viel herumgekommen." Nachtschatten überlegte. "Ich würde gerne sehen, dass ihr hierbleibt. Es wäre überhaupt kein Problem. Oder hat euch das Ereignis vor zwei Nächten Angst eingejagt?"

Anscheinend war dem Anführer der Mord an dem rangniedrigen Wolf doch länger in Erinnerung geblieben als Endres dachte. "Nun, ihr müsst verstehen... Das sind unsere Regeln, die Gesetze befolgten schon unsere Urahnen und an diese müssen wir uns auch halten. Sie mögen vielleicht in euren Augen grausam sein, vielleicht könnt ihr das auch nicht nachvollziehen, aber wir sind es nicht anders gewohnt. Wir können nicht ohne diese Gesetze leben", rechtfertigte sich Nachtschatten.

"Ich verstehe es voll und ganz", stimmte ihm Sonnensplitter zu, auch wenn er bei diesen Worten bestimmt anders dachte. "Wegen uns sollt ihr nicht daran gehindert werden, euer Leben so fortzuführen wie bisher. Das war nicht unsere Absicht." "Da draußen gibt es noch so viele andere Orte, an die wir reisen müssen, damit die Weise Wölfin ihr Wissen weitergeben kann", erklärte Endres. Er wusste, dass Nachtschatten sie hier auch festhalten konnte, indem er sie Tag und Nacht bewachen ließ. Doch Nachtschatten schien mit sich zu ringen, denn er zögerte mit seiner Antwort.

"Ich möchte mir nicht nachsagen lassen, der Wolf zu sein, der die Weise Wölfin nicht hat gehen lassen. Auch wenn es mir schwerfällt, aber euer Wunsch muss mir in diesem Fall ein Befehl sein", sagte er. "Es ehrt dich, diese Worte zu sprechen", sagte Sonnensplitter andächtig und Endres bewunderte ihn dafür, wie er sich verstellen konnte. Innerlich musste ihn doch das, was er selbst sagte, anwidern. Nachtschatten zögerte, bevor er noch etwas sagte. "Ich hätte nur noch eine Bitte."

"Die wäre?", wollte Endres wissen. Jetzt, wo Nachtschatten die Erlaubnis erteilt hatte, dass sie gehen konnten, ohne fürchten zu müssen, dass sie aufgehalten werden, wollte er sofort los. Seine Pfoten brannten regelrecht darauf, in Richtung Wald zu laufen. "Ich möchte noch einmal mit der Weisen Wölfin sprechen. Allein", äußerte Nachtschatten seine Bitte. Endres und Sonnensplitter sahen sich an. Sie hatten damit gerechnet, dass der Anführer sie nicht ohne weiteres gehen lassen würde. Darauf eingestellt, dass er noch einmal alleine mit Jonata sprechen wollte, waren sie aber nicht.

Im Reich der Wölfe - Halbmond (Band 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt