Die Verhandlung

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Wir unterhielten uns nicht mehr lange. Ich konnte mich nicht konzentrieren, war mit meinen Gedanken beim morgigen Tag. Was würde ich sagen? Ich musste zwar die belastenden Fakten vorbringen, doch gleichzeitig musste ich es so formulieren, dass Bergmann nicht als allzu böse dastand. Nur, wie sollte ich das auf die Reihe bekommen? Ich hatte mich noch nie großartig mit Gerichtsverhandlungen beschäftigt. Aber ich musste es trotzdem schaffen, Bergmann lebend da raus zu bekommen, das hatte ich ihm versprochen. Nur sollte ich dazu vermutlich nicht allzu müde sein, heißt, ich sollte wohl langsam schlafen gehen. „Wir sehen uns morgen.", murmelte ich und stand auf.
Traurig sah er mich an und nickte. „Bis morgen"
Ich spürte seinen Blick auf mir haften als ich ging. Es war mir unangenehm. Also drehte ich mich um und sah ihn noch einmal an. Ich wollte etwas sagen, aber mir fiel nichts passendes ein. Also drehte ich mich wortlos wieder um und verließ schnell den bedrückenden Ort.
Vor der Tür schüttelte ich die Beklemmung von mir ab und atmete die frische Wüstenluft ein. Ich ließ noch einmal meinen Blick über das Gefängnis schweifen.
Das Holz war an manchen Stellen schon ein wenig vermodert, eines der Fenster war nicht richtig geschlossen und schlug gegen die Wand. Die Bretter waren gesplittert, hier hatten schon so manche Kämpfe zwischen den Bewohnern des Dorfes und feindlichen Indianerstämmen stattgefunden. Die Farbe blätterte ab und wurde vom Wind wie Schneeflocken davongetragen, rieselte zu Boden und vermischte sich mit dem heißen Sand. Eine Echse verschwand blitzschnell in einer Ritze zwischen den Planken. In der Dunkelheit wirkte das Gebäude noch bedrohlicher. Ich fröstelte und wandte mich ab. Machte mich schnell auf den Weg in mein Haus, wollte mich wieder sicher und geborgen fühlen.

Müde blinzelnd schlug ich am morgen meine Augen auf. Ich zitterte noch ein wenig, aber langsam war ich schon so sehr an die Albträume gewöhnt, dass ich sie nicht weiter beachtete. Die Gerichtsverhandlung war jetzt erst einmal wichtiger. Ich überlegte, was ich anziehen könnte. Ich wollte möglichst seriös wirken, es wäre wohl eine gute Idee Herrn Zone nach einem Anzug fragen.

Als ich bei Herr Zone klopfte, öffnete er mir sofort die Tür und sah mich verwundert an. „Herr Elpeh, was wollen sie denn hier?"
„Könnten sie mir eventuell einen Anzug für die Verhandlung leihen?"
Anstatt einer Antwort verschwand er in seinem Haus und kramte in einer Kiste. Bald darauf kam er mit einem Anzug wieder.
„Probieren sie den doch mal an. Aber kommen sie vielleicht lieber rein, es sei denn, sie wollen sich auf der Straße umziehen." Dankbar nahm ich das Kleidungsstück entgegen und betrat sein Haus. Während ich mich umzog beobachtete Herr Zone mich. Irritiert schaute ich ihn an und er musste grinsen.
„Machen sie sich keine Gedanken. Ich versuche nur zu verstehen, was Herr Bergmann an ihnen so attraktiv findet."
Er zwinkerte mir zu und ich schaute wahrscheinlich noch irritierter als zuvor.
„Wie kommen sie darauf, dass er mich attraktiv findet?"
Er lachte nur und winkte ab. „Der Anzug steht ihnen. Lassen sie das so."
Ich verkniff es mir weiter nachzufragen und ging, nachdem ich ihm gedankt hatte.
„Wir werden alle da sein. Dario, Max und ich. Wir werden zwar nicht viel helfen können, aber wir bilden die moralische Unterstützung. Sollte etwas sein, scheuen sie sich nicht, uns ein Zeichen zu geben."
Bald darauf begann die Gerichtsverhandlung. Ich wurde als erster in den Zeugenstand gerufen. Selbstsicher stellte ich mich an die mir zugewiesene Stelle. Ich scannte kurz meine Umgebung ab. Vor mir stand Takaishii, der Richter. Links von ihm war Selbstgespräch. Er würde ihm anscheinend bei der Entscheidung helfen. Bergmann war rechts von mir und ich schaute ihn aufmunternd an. Sein bis gerade eben noch sehr angespannter Blick verwandelte sich in ein Lächeln. Doch noch jemand stand neben Takaishii, ich hatte ihn noch nie gesehen, und er sah aus wie ein Indianer. Aber Takaishii hasste die Indianer doch, warum ließ er diesen bei einer Verhandlung dabei sein?
Er schien meine Verwunderung zu spüren, denn er stellte mir den Unbekannten vor.
„Das ist ein weiterer Zeuge in diesem Fall. Er heißt Saphirian und gehört zum Indianerstamm, der hier in der Nähe lebt."
Jetzt wusste ich zwar, wer er war, aber noch immer nicht, warum er ein Zeuge war.
Takaishii rief mich auf meine Version der Geschehnisse zu erzählen, was ich auch tat. Ich gab mir große Mühe, alles so zu formulieren, dass ich Bergmann möglichst wenig beschuldigte. Der Sheriff nickte hin und wieder, fragte nach, wenn er etwas nicht ganz verstanden hatte und ich warf immer wieder einen kurzen Blick zu Bergi, welcher wieder seinen ausdruckslosen Blick aufgesetzt hatte.
Dann rief Takaishii Saphirian auf und ich durfte mich setzen.
„Sie haben die Szene damals beobachtet, ist das richtig?"
„Das ist richtig.", antwortete Saphirian nickend.
Geschockt starrte ich ihn an. Er hatte was?!
„Aber ich konnte ja nicht wissen, dass es sich um eine Vergewaltigung handelte. Ich dachte mir schon, dass sie aus diesem Dorf stammen könnten. Und da ich die Einstellung des Sheriffs gegenüber Homosexuellen kenne, hatte ich geglaubt, die beiden hätten einfach Angst gehabt erwischt zu werden. Aber als ich dann von diesem Fall erfuhr, dachte ich mir gleich, dass diese beiden Ereignisse im Zusammenhang stehen könnten."
Fassungslos ließ ich meinen Blick zu Bergmann wandern. Dieser starrte Saphirian in etwa so überrascht an wie ich. Ich hätte doch gemerkt, wenn damals jemand in der Höhle gewesen wäre. Außerdem war ich plötzlich weggerannt, so schnell hätte er nicht leise verschwinden können. Er musste also lügen, nur warum?
„Stimmt die Version der Geschehnisse, die Herr Elpeh soeben berichtet hat?"
„Naja", Saphirian schaute mich an „er hat da schon einiger ausgelassen."
Ich krallte meine Hände zusammen und versuchte mich nicht aufzuregen, was hatte ich denn bitteschön weggelassen?
„Es ist zwar sehr loyal von ihnen, Ihren Freund in so einer Situation schützen zu wollen, doch vor Gericht müssen sie trotzdem die Wahrheit sagen. Ist ihnen das bewusst?"
„Ich sage die Wahrheit!", rief ich ihm zu. „Sie sind derjenige der lügt! Sie..."
„Ich bestimme wer redet! Saphirian ist dran. Also warten sie bitte, bis sie aufgerufen werden, Herr Elpeh." Takaishii bedachte mich mit einem strafenden Blick und nickte dann wieder Saphirian zu. Dieser redete sogleich weiter.
„Sie haben da einiges nicht erzählt. Ich kann verstehen, dass es ihnen unangenehm ist, aber deswegen können sie nicht die Hälfte weglassen."
Zornig wollte ich etwas erwidern, doch Kedos hielt mich mit einem energischen Kopfschütteln davon ab. Er hatte ja Recht, mich jetzt zu verteidigen würde mir nichts bringen.
„Sie haben die Wahrheit gesagt, das stimmt." Gespielt freundlich schaute er zu mir. „Aber eben nicht die Ganze. Sie sagten, es wäre ihnen gelungen zu fliehen. Das sah mir aber nicht danach aus. Und sie müssen auch nicht versuchen, das als Fast-Vergewaltigung hinzustellen. Was ich da beobachtet habe war Vergewaltigung, und ich glaube es ist vollkommen normal, dass sie den Teil nicht erzählen wollten. Da ist es natürlich einfacher eine Flucht zu erfinden."
Auf meinem Gesicht spiegelte sich das pure Entsetzen wieder. Er behauptete gerade etwas, das absolut nicht stimmte! Und ich konnte nichts dagegen tun! Bergmann erinnerte sich an nichts, und Takaishii war diesem Saphirian anscheinend wohlgesonnener als mir.
„Was haben sie zu den Anschuldigungen zu sagen, Herr Bergmann?", fragte Takaishii.
Leise murmelte Bergi etwas, und schaute dabei sichtlich unbeholfen durch die Gegend.
„Sie müssen schon so mit uns reden, dass wir die Chance haben, etwas zu verstehen."
Herr Bergmann schaute zu mir und sein Blick wich immer mehr ins Verzweifelte.
„Ich kann mich an nichts mehr erinnern. Ich weiß das alles nur, weil Manu mir vor kurzem alles erzählt hat. Und ich glaube ihm, also dass seine Version richtig ist."
„Glauben sie das,", fragte Saphirian skeptisch „oder hoffen sie das, weil es harmloser ist?"
„Sie duzen ihn?", Takaishii durchbohrte Bergi mit seinem Blick.
Bergi sah wieder hilfesuchend zu mir und entschied sich dann für ein hektisches Nicken.
„Seit wann?" Noch immer bedachte ihn Takaishii mit einem alles andere als freundlichen Blick.
Bergis Blick fiel wieder auf mich. „Erst seit kurzem. Es ist viel passiert, da haben wir angefangen uns zu duzen. Was ist daran so besonders?"
Takaishii kniff misstrauisch die Augen zusammen.
„Sie duzen hier niemanden. Also: wie nahe stehen sie sich?"
Bergi kniff die Lippen zusammen und zuckte dann mit den Schultern.
„Freunde?" Es klang eher wie eine Frage, als wie eine Antwort.
„Aha. Sie vergewaltigen ihn und dann werden sie Freunde? Also in meinem Kopf passt das nicht ganz zusammen. Haben sie ihn erst sexuell missbraucht und dann versucht sich mit ihm wieder gut zu stellen, um ihn davon abzuhalten, etwas zu erzählen? Damit er ihnen nichts böses will und sie schützt?"
Schnell schüttelte Bergi den Kopf.
„Nein, nein, so ist das nicht. Ich... ich.. nein, das stimmt so nicht!"
Verzweifelt stammelte er irgendetwas zusammen, und auch wenn ich es nicht wollte, musste ich über Takaishiis Worte nachdenken. War das etwa die Antwort auf die „warum"-Frage? War er deswegen so freundlich und hilfsbereit gewesen? Vielleicht hatte er ja Angst gehabt, er könnte mir doch mehr angetan haben, als ich zugab. Und daraufhin hatte er versucht, mich auf seine Seite zu ziehen. Es stimmte schon, davor hatten wir uns nicht besonders gut verstanden. Und jetzt hatte er es geschafft, dass ich glaubte, mich in ihn verliebt zu haben. Oder war das etwa sein Ziel gewesen? Wollte er dafür sorgen, dass ich mich in ihn verliebte, damit ich das nächste mal freiwillig...?
Bei diesem Gedanken breitete sich eine Gänsehaut auf meinem Körper aus und ich schüttelte mich. Nein, so jemand war Herr Bergmann nicht!
Obwohl, ich hätte auch nie gedacht, dass er mich fast vergewaltigen und Superzocki schwer verletzen würde... Nein! Ich durfte mich nicht von Takaishii gegen Bergi aufhetzen lassen!
„Oder wollten sie ihn so lange freundlich behandeln, bis er freiwillig mit ihnen schläft?"
Es traf mich wie ein Schlag, als Takaishii meine Gedanken aussprach. Eventuell war es ja doch nicht so abwegig... Nein! Bergi war nicht so... oder? Nein! Energisch schüttelte ich meinen Kopf, versuchte verzweifelt diese Gedanken aus meinem Kopf zu vertreiben. Doch ganz verscheuchen konnte ich sie nicht. Ich versuchte mich abzulenken, betrachtete alle Anwesenden. Dabei fiel mir auf, dass Herr Zone mich besorgt musterte. Es musste wohl ziemlich merkwürdig ausgesehen haben, wie ich kopfschüttelnd auf meinem Platz saß. Er legte seinen Kopf schief, und schaute mich fragend an. Ich nickte nur, versuchte so zu tun als wäre nichts. Misstrauisch kniff er seine Augen zusammen, ließ dann aber seinen Blick wieder auf die Verhandlung wandern.
„Herr Elpeh, wollen sie sich zu den Anschuldigungen Saphirians äußern?"
Ich trat vor und versuchte möglichst viel Überzeugung in meine Stimme zu legen.
„Was Saphirian da behauptet ist schlichtweg gelogen. Ich habe alles erzählt, was passiert ist. Mehr war es nicht. Und meine Flucht war nicht erfunden. Ich weiß nicht wie Saphirian darauf kommt, und ich glaube ihm auch nicht, dass er das Geschehen beobachtet hat. Ich bin aus der Höhle gerannt, als ich es geschafft hatte, mich zu befreien. Da hätte ich ihn doch gesehen, wäre er da gewesen."
Takaishii nickte zögerlich. „Saphirian. Können sie beweisen, dass sie dabei gewesen sind?"
Saphirian sah zu mir und antwortete:"Ich kann ihnen die Höhle zeigen wo es geschehen ist. Das wüste ich ja wohl kaum, wäre ich nicht dort gewesen."
Er wusste, welche Höhle es gewesen war? Doch wenn ich davon ausging, dass er log, was ich definitiv tat, dann müsste er es aus irgendeinem anderen Grund wissen. Nur aus welchem?
Da fiel es mir ein: Natürlich! Ich hatte nur meine Klamotten mitgenommen, Bergmanns Shirt hatte ich liegen gelassen! Wenn Saphirian es gefunden hätte, wüsste er auch, welche Höhle es gewesen war.
„Einspruch!", rief ich deswegen laut.
Takaishii warf mir einen verächtlichen Blick zu, doch er ließ mich reden.
„Ich habe damals ein Shirt von Herr Bergmann in der Höhle liegen gelassen. Saphirian könnte es gefunden haben und deswegen die Höhle kennen. Das beweist nicht, dass er da gewesen ist."
Wütend sah Saphirian mich an. Doch darauf konnte er nichts erwidern.
„Haben sie noch einen anderen Beweis?", fragte Takaishii.
Saphirian schüttelte den Kopf. „Wie kann man denn beweisen, dass man etwas beobachtet hat. Da gibt es doch gar keine Möglichkeit."
Takaishii nickte ihm zu.
„Aber das war ja nicht der einzige Anklagepunkt. Kommen wir zu der schweren Körperverletzung an Superzocki."
Dazu konnte ich nichts beitragen. Herr Bergmann schien nicht besonders gut darin zu sein, sich zu verteidigen. Aber wie sollte er auch, er erinnerte sich ja an nichts. Herr Zone warf mir immer wenn Bergi etwas falsches sagte einen verzweifelten Blick zu. Er war ja Anwalt, er hätte ihm sicher helfen können. Aber Takaishii hatte es ihm verboten. Wollte nichts von Anwälten hören. Ich und er kommunizierten über Blicke und Gesten. Und wenn ich ihn richtig verstand, sah es alles andere als gut für Bergmann aus.

Dann wurde das Urteil verkündet. Man sah Bergmann an, dass er vollkommen fertig war. Herr Zone schüttelte den Kopf als ich ihn fragend ansah. Meine Lippen hatte ich fest aufeinander gepresst, ich wollte das Urteil überhaupt nicht hören.
„Im Namen des Volkes von Desperado verkünde ich das Urteil in der Strafsache gegen Tim Bergmann, geboren am 11.Juli 1803. Aufgrund des sexuellen Missbrauchs und der schweren Körperverletzung hat das Gericht, bestehend aus dem Richter Takaishii und dem Geschworenen Selbstgespräch, den Angeklagten zur Todesstrafe verurteilt. Das Datum des Vollzugs wird noch bekannt gegeben. Damit erkläre ich diese Verhandlung für beendet."
Ich konnte es nicht wirklich begreifen, wollte nicht realisieren, was Takaishii da gerade bestimmt hatte. Ich schaute Bergmann an, der ebenfalls in diesem Moment zu mir schaute. Er durfte nicht sterben! Takaishii hatte nicht das Recht dazu, ihn umzubringen. Ich hatte Bergmann versprochen, ihn lebend da raus zu bekommen. Und ich hatte versagt. Aber das konnte und wollte ich nicht akzeptieren. Ich würde ihn da raus bekommen.
Entschlossen stand ich auf und lief Takaishii hinterher. So würde ich das nicht stehen lassen.
Niemand tut den Personen weh, die ich liebe.

Die zwei Seiten eines MenschenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt