Die sanften Seite

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Herr Bergmann musterte mich sanft und ein warmes Gefühl breitete sich in mir aus. Er setzte sich neben mich, erzählte mir etwas. Die Szene wechselte. Nun lag ich in seinen Armen, meinen Kopf hatte ich auf seine Brust gelegt und er strich mit einer Hand sanft durch meine Haare. Noch mehr Bilder flogen an mir vorbei. Es waren immer unterschiedliche Szenarien aber eins hatten sie alle gemeinsam: Herr Bergmann war mir nahe. Und seine Nähe machte mich glücklich. Das warme, wohlige Gefühl breitete sich weiter in mir aus, ich fühlte mich geborgen.
Ich blinzelte. Schlug meine Augen auf. Schaute direkt in Herr Bergmanns wunderschöne Augen, die mir schon bei unserem Kennenlernen aufgefallen waren. "Manu, du bist ohnmächtig geworden", erklärte er mir ruhig. Langsam realisierte mein noch etwas vernebelter Kopf was das bedeutete. Ich hatte mein Bewusstsein verloren und im bewusstlosen Zustand von Herr Bergmann fantasiert. Holy Moly. Da war bei den Vorkommnissen in der Höhle wohl doch mehr kaputt gegangen als ich zuerst gedacht hatte. Ich schloss meine Augen und atmete tief durch. Jetzt bloß nicht den Verstand verlieren, Manuel. Seit wann hast du so schwule Gedanken? "Ist dir wieder schwindelig? Sag mir bitte sofort wenn es dir wieder schlechter geht" Ich öffnete meine Augen und sah seinen besorgten Blick. „Nee mir geht's schon besser. Bin nur ein bisschen durcheinander." Auf meine Aussage hin atmete er erleichtert aus. „Man Manu, du hast mir einen richtigen Schrecken eingejagt! Erst redest du nicht mehr mit mir, dann schreist du auf einmal panisch und kippst einfach um. Aber jetzt bist du ja zum Glück wieder bei Bewusstsein. Ich hol dir was zu trinken, du kannst liegen bleiben. Und wunder dich nicht. Ich wusste nicht wo dein Bett ist, deshalb habe ich dich zu mir ins Haus getragen. Du bist übrigens schwerer als du aussiehst." Bei seinen letzten Worten grinste er breit und auch meine Mundwinkel wanderten ein Stück nach oben. Seine gute Laune war einfach zu ansteckend. „Du kannst ja wieder lächeln, dann kann es dir ja gar nicht so schlecht gehen.", er lachte leise woraufhin ich mein Gesicht verzog und in meiner behinderten Stimme antwortete:"Doooch mir geht es ganz schlecht." Ich schaute ihn übertrieben traurig an und schob meine Unterlippe ein wenig vor. „Oooh nein", versuchte er die Stimme nachzuahmen. Aber das klang einfach so erbärmlich, dass ich mich nicht zusammenreißen konnte und laut loslachte. „Alter, wie scheiße das bei dir klingt." Erst versuchte er beleidigt zu schauen, musste dann aber auch lachen. „Dann bring mir das eben bei!", sagte er als wir uns beide etwas beruhigt hatten. Ich musterte ihn ungläubig. Wie sollte ich ihm das bitte beibringen. Entweder man konnte das oder man konnte es halt nicht. „Du hast dafür auch einen Wunsch frei. Du kannst dir wünschen was du willst." Das klang doch schon wesentlich interessanter. Was ich wollte also. „Bist du ein Dschinn oder was?", sagte ich und musste kichern. Die Vorstellung wie Herr Bergmann mit Turban und in der Luft schwebend aussehen würde war einfach zu gut. „Aber wenn das so ist, überredet." Er sprang wie ein kleines Kind im Zimmer herum und ich musste schon wieder lachen. So viel wie in den letzten Minuten hatte ich seit Wochen nicht mehr gelacht. Aber wenn er gerade auch so überdreht war. Das war einfach zu amüsant. „Und was willst du als Gegenleistung?", fragte er. Ich versuchte möglichst unschuldig zu gucken und sagte dann in meiner behinderten Stimme:"Einen Kuss von dir" Um ihm zu zeigen, dass ich das nicht ernst meinte lachte ich und setzte schnell ein:"Nein Spaß. Ich überlege mir noch was" dahinter. „Och schade. Ich habe mich ja schon sooo gefreut" Oh mann. Er konnte wirklich überhaupt nicht in dieser Stimme reden. „Ja ja, bestimmt hast du das. Wolltest du mir nicht eigentlich was zu trinken bringen?" Ich wechselte das Thema. Sonst würde er noch merken, dass ich ihm nicht so abgeneigt war wie ich immer tat. „Oh ja, sorry. Kommt sofort." Dann huschte er schnell aus dem Zimmer und ließ mich alleine. Seufzend schloss ich die Augen. Atmete einmal tief durch. Konzentriere dich, Manuel. Du musst diese merkwürdigen Gedanken unbedingt aus deinem Kopf bekommen. Ich dachte über das soeben geführte Gespräch nach. Dafür, dass Herr Bergmann vor kurzem noch ziemlich sauer auf mich gewesen zu sein schien war er jetzt erstaunlich gut gelaunt. Und er hatte mich in sein Haus getragen? Dann waren wir jetzt wohl quitt. Zumindest in dieser Hinsicht. Und ich hatte ja noch einen Wunsch frei. Da musste ich mir aber noch was ordentliches überlegen. Vielleicht ein paar Diamanten oder so? Naja, ich würde ja wohl noch etwas Zeit haben darüber nachzudenken. Wie war ich eigentlich auf die Idee gekommen ihn, auch wenn ich es natürlich in Witzform verpackt hatte, nach einem Kuss zu fragen. Oh mann. Aber er schien ja nicht abgeneigt gewesen zu sein... Oh nein, Manuel. Nein. Hör sofort auf so etwas zu denken. Ich verstand immer noch nicht woher plötzlich diese merkwürdigen Gedanken kamen. Ich muss natürlich zugeben, dass Herr Bergmann ein ziemlich attraktiver Kerl ist aber bis jetzt hatte mich das nie sonderlich interessiert. Immerhin stand ich auf Frauen! Und tat es immer noch, davon war ich fest überzeugt! Das war bestimmt nur so eine Phase. Wahrscheinlich war folgendes passiert: Als er mich damals in der Höhle geküsst hat, hat mein Gehirn sich gedacht: der küsst uns, den lieben wir. Denn normalerweise küsst man Leute auf den Mund wenn man sie liebt. Und das ist noch in meinem Kopf drin. Deswegen fühle ich auf einmal diese falschen Dinge. Das ist nur eine Phase. Wenn ich mich wieder daran gewöhne nur mit ihm befreundet zu sein hört das wieder auf. Ganz bestimmt. So wird es sein. Nur eine falsch gespeicherte Information, nicht mehr und nicht weniger. Gleich kommt er mit einem Glas Wasser oder so zu trinken, dann sprechen wir uns aus. Dann werden wir Freunde. Ich wusste zwar nicht ob wir jemals Freunde gewesen waren, aber ich wollte definitiv mit ihm befreundet sein. Er war ein korrekter Kerl und er brachte mich zum Lachen. Solche Freunde konnte man nie genug haben. Dann würde alles wieder gut und normal sein, meine komischen Gedanken würden aufhören, die Geschehnisse in der Höhle würde ich verdrängen und alles wäre wie vorher. Nein besser. Besser als vorher, denn ich würde mich mit Herr Bergmann anfreunden und ihm die behinderte Stimme beibringen. Dann wäre alles wieder gut und normal. Ja, das klang nach einem guten Plan. „Hej Manuel L. Jackson. Hier hast du dein Trinken!" Mit diesem Satz kam Bergi ins Zimmer gestürmt und ich hatte echt Angst es würde gar keine Flüssigkeit mehr in dem Glas sein bis er bei mir ankam. Ok wow, so aufgedreht kannte ich ihn überhaupt nicht. Da hatte wohl jemand ein bisschen zu viel gute Laune gefrühstückt. „Ijaaaa! Ich dachte schon du hättest mich vergessen" Den letzten Teil sprach ich wieder in der behinderten Stimme. Er versuchte es mir gleichzutun und auch die Kunst der behinderten Stimme einzusetzen: „Aber Manu, wie könnte ich dich vergessen." Aus Höflichkeit versuchte ich nicht zu lachen, aber als er dazu noch ein Doppelkinn machte war es um meine Beherrschung geschehen und ich brach in schallendes Gelächter aus. Jetzt versuchte ein beleidigter Bergmann mich böse anzugucken, aber das brachte mich nur noch mehr zum Lachen. Wenn das so weiterging würde ich morgen einen richtig heftigen Bauchmuskelkater haben. „Lachst du mich aus? Na warte, dir wird dein Lachen schon noch vergehen Freundchen" Mit diesen Worten stürzte sich Herr Bergmann auf mich und fing an mich zu kitzeln. Das war zu viel des Guten. Ich schrie auf und sprang von ihm weg, landete mit einem dumpfen Knall auf dem Boden. Herr Bergmann erschrak und erstarrte zur Salzsäule. Ohne sich zu rühren stand er da und starrte mich an, ich lag auf dem Boden und starrte ihn ebenfalls an. Keiner wagte es auch nur einen Muskel zu bewegen. Keiner von uns beiden gab auch nur einen Laut von sich. Ich sah wie Herr Bergmann nachdachte. Dann weiteten sich erschrocken seine Augen. „Manu.", auffordernd sah er mir in die Augen, „Ich stelle dir jetzt eine Frage und ich will, dass du sie mir ehrlich beantwortest." Ich nickte zögerlich und richtet mich ein wenig auf, der Boden war nämlich verdammt unbequem. Herr Bergmann setzte sich aufrecht in sein Bett und klopfte auf den Platz neben sich. „Setz dich" Ich überlegte kurz, dann stand ich allerdings auf und setzte mich neben ihn. „Du hast einen Panikanfall bekommen als ich dich an die Wand gedrückt habe und du schreist wenn ich dir näher komme." Ich ahnte worauf er hinauswollte und war bereits fieberhaft am überlegen was ich ihm antworten sollte, während er weitersprach.„Manu, sei bitte ehrlich zu mir. Hab ich dich damals in der Höhle irgendwie... nun ja... angefasst?", fragte er stammelnd. Oh Shit. Wenn ich ihm jetzt alles erzählte würde ich das mit "normaler Freundschaft" bestimmt vergessen können. Außerdem hatte ich ihn schon öfters belogen. Diese kleine Notlüge würde es auch nicht schlimmer machen, oder? "Nein, hast du nicht.", antwortete ich mit versucht fester Stimme. "Ich bin einfach jemand der lieber auf Distanz bleibt. Dat hat aber nichts mit dir zu tun. Ich war die letzten Wochen wenig unter Menschen und dadurch hat sich das wohl verschlimmert. Also musst du dir keine Vorwürfe machen." Das klang doch halbwegs plausibel. Gut gemacht, Manuel. Bergmann nickte und atmete hörbar erleichtert aus. "Dann müssen wir dich wohl wieder ein bisschen sozialisieren", meinte er lächelnd. Ich nickte kurz und wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als er mich plötzlich in eine Umarmung zog. Sofort spannte ich mich an, schaffte es aber zum Glück nicht panisch zu werden. "So mein Lieber. Lektion 1. Umarmungen ertragen. Ich lasse dich erst wieder los wenn du dich entspannst." Mit diesen Worten begann er mir sanft über den Rücken zu streichen. Ich spannte mich noch mehr an und versuchte mich vorsichtig aus seiner Umarmung zu winden. "Nein Manuel. Ich lasse dich erst wieder los wenn du dich entspannst." Ich zog hörbar Luft ein, fand mich dann aber mit meinem Schicksal ab. Gut, ich sollte mich also entspannen. Das würde ich doch bestimmt hinbekommen. Ich hatte nämlich das Gefühl, dass er genauso stur war wie ich und das durchziehen würde. Er würde mich wahrscheinlich erst loslassen wenn er einschlief, aber so lange
wollte ich eigentlich nicht hierbleiben. "Maaanu, entspann dich", flüsterte er leise und strich weiter über meinen Rücken. Das versuche ich doch gerade, dachte ich mir, sagte aber nichts. Ich ließ meinen Kopf auf seine Schulter sinken, atmete seinen Geruch ein und merkte wie langsam die Anspannung von mir abfiel. Warum war mir noch nie aufgefallen wie gut er riecht? Ich inhalierte den angenehmen Duft und merkte wie ich mich allmählich entspannte. "Siehst du? Dir passiert nichts" Er wollte die Umarmung lösen aber ich hielt ihn fest. Ich hatte gerade Gefallen daran gefunden von ihm umarmt zu werden, da würde ich ihn doch nicht gleich wieder loslassen. Als er meinen Widerstand bemerkte lachte er kurz und drückte mich dann wieder näher an sich. "Du benimmst dich meistens wie ein arrogantes Arschloch, kannst du nicht öfters so süß sein wie jetzt?", murmelte er und ich konnte sein Schmunzeln förmlich hören. Süß? Jetzt beendete ich die Umarmung doch. „Och Manu. Ich wollte damit doch nur sagen, dass jeder Mensch Nähe zu anderen Menschen braucht um nicht unglücklich zu werden. Und weil du sonst immer so kühl und distanziert bist fand ich das gerade halt süß, dass du auch mal etwas Nähe zugelassen hast. So kenne ich dich nun einmal nicht. Ich meine, wir haben uns dadurch kennen gelernt, dass du einfach unerlaubt in mein Auto geklettert bist. Und bei unserer ersten Begegnung hast du mich bedroht und mich öfters mit Pfeil und Bogen durch die Stadt gejagt. Und jetzt gerade hast du so anders gewirkt. Du hast gelacht und sogar eine Umarmung zugelassen. Also vielleicht nicht ganz freiwillig aber immerhin", zögernd lachte er. Ich entspannte meine Gesichtszüge wieder. Herr Bergmann war definitiv ein sehr lieber Mensch. Aber ich hatte nun einmal die Erfahrung gemacht, dass er auch ganz anders sein konnte. Jetzt gerade genoss ich dennoch seine Nähe. Er hatte Recht. Ich war des öfteren sehr distanziert. Dann durfte ich doch heute mal ein bisschen Distanz aufgeben und mich Bergmann gegenüber freundlich verhalten. Er tat mir gerade gut. Was war das für eine Ironie des Schicksals: Der Mann, der dafür gesorgt hat, dass ich mich wochenlang verkrochen habe sorgt nun dafür, dass ich mich unter Menschen wieder wohlfühle. Wenn mir das gestern Abend jemand gesagt hätte, hätte ich ihn ausgelacht. Da war ich mir sicher.

Die zwei Seiten eines MenschenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt