nächtliche Gedankengänge

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Ein Zombie lief auf mich zu. Schnell wich ich zurück. Doch hinter mir wartete schon der nächste. Ich rannte zwar, aber es waren so viele... ich hatte keine Chance. Zähne rammten sich in mein Bein. Schmerzerfüllt schrie ich auf. Immer schlechter bekam ich Luft. Von dem fauligen Geruch wurde mir übel. Ich hustete, Blut floss mir aus dem Mund. Vielleicht verwandelte ich mich gerade schon. Panisch schrie ich auf. „Ich bin keiner von euch!Ich bin keiner..."
Nass geschwitzt schreckte ich hoch. Schaute mich hektisch um. Dann bemerkte ich, dass es nur ein Traum gewesen war. Unruhig drehte ich mich auf die andere Seite. Kurz zuckte ich zusammen. Ich schaute direkt in Bergmanns grüne Augen, die mich mitleidig musterten. Warum hatte ich Albträume, obwohl ich bei ihm war? Noch immer musterte er mich besorgt. Dann hob er, langsam, als hätte er Angst mich zu erschrecken, seine Hand. Strich mir eine verschwitzte Haarsträhne aus dem Gesicht. „Weißt du überhaupt, wie weh es mir tut dich so leiden zu sehen und nichts für dich tun zu können?" Es war mitten in der Nacht, seine Stimme klang rauer und tiefer als sonst, und eine Gänsehaut zog sich bei ihrem Klang über meinen Körper. „Du wolltest ja, dass ich mehr Abstand zu dir halte. Da habe ich mich natürlich dran gehalten, so schwer es mir auch gefallen ist. Weißt du überhaupt, wie laut du schreien kannst?" Herr Bergmann hatte mich heute nicht im Schlaf in den Arm genommen. Daran konnte es doch wohl nicht ernsthaft gelegen haben, oder? Immer noch schaute er mir genau in die Augen. Ich tat es ihm gleich. Keiner von uns sagte etwas, wir lagen einfach da und schauten uns an. Unter normalen Umständen wäre das eine sehr unangenehme Situation gewesen, aber was war in den letzten Wochen schon noch normal? Seine Haare, die sonst immer halbwegs gleichmäßig auf eine Seite gekämmt waren, hingen ihm ungeordnet ins Gesicht. Ich musste der Versuchung widerstehen, sie ihm aus dem Gesicht zu streichen. „Geht's wieder? Ich sage es dir noch einmal: du musst nicht versuchen alles alleine zu bewältigen. Ich bin für dich da. Nur, damit du Bescheid weißt." Ich ließ seine Worte auf mich wirken. Ich nahm nicht gerne Hilfe an. Ich bewältigte meine Probleme lieber alleine, schließlich wollte ich niemandem eine Last sein. Aber so, wie er mich gerade anschaute. konnte ich mir nicht vorstellen, dass er mir nur aus Höflichkeit helfen wollte. Aber wie wollte er mir denn helfen? Soweit ich wusste, war das einzige Mittel gegen Albträume Zeit. Man musste das Ereignis verarbeiten, dann ließen einen auch die Träume los. Doch wenn ich ehrlich war, hatte ich mir darüber noch nie wirklich Gedanken gemacht. Ich hoffte einfach, dass es so sein würde. Noch immer hielt Bergmann mich mit seinem Blick gefangen. Ich wendete mich nicht ab und er tat es mir gleich. So blieben wir liegen. Eine Ewigkeit, ich verlor das Gefühl für Zeit. Ich versuchte all die Emotionen zu verstehen, die sich in diesem Grün spiegelten. Ob er wohl gerade dasselbe tat? Versuchte zu verstehen, was gerade in mir vorging? „Soll ich dich wieder „umklammern", wie du es so schön beschrieben hast, oder möchtest du noch einmal probieren, ob du auch ohne mich ruhig schlafen kannst?" Anstatt verbal zu antworten drehte ich mich um und rückte ein Stück auf ihn zu. Ich konnte es zwar nicht sehen, aber ich wusste, dass er gerade lächelte. „Das sehe ich dann mal als ein ja" Er kam näher zu mir und legte einen Arm um mich. Ich kuschelte mich noch ein Stück näher an ihn und seufzte wohlig. Warum hatte ich ihm das nur verboten? „Und jetzt schlaf, mein Kleiner" flüsterte er mir leise zu. Obwohl seine Worte mir erneut eine Gänsehaut über die Arme jagten antwortete ich nur mit einem trotzigen:"Ich bin nicht klein. Gewöhn' dir das gleich wieder ab." Anstatt einer Antwort kicherte er leise und drückte mich noch ein Stück näher an sich. Wie merkwürdig, dass ich das nicht merkwürdig fand. Es machte mir überhaupt nichts aus, hier so mit ihm zu liegen. Er handelte immer mit so einer Selbstverständlichkeit, dass ich nichts hinterfragte. Ich war nicht mehr alleine. Das wurde mir langsam klar. Er hielt zu mir. Ich hatte ihn schon so oft in Gefahr gebracht und doch lag er gerade neben mir und hielt mich fest, um mich vor meinen Träumen zu schützen. War das eigentlich egoistisch von mir? Wenn man genauer darüber nachdachte, nutzte ich ihn nur aus. Ich kam immer nur auf ihn zu, wenn ich etwas brauchte. Jetzt gerade war das mein Bedürfnis nach ruhigem Schlaf. Ich wusste, dass ich bei ihm ohne Albträume schlafen konnte, also freute ich mich bei ihm zu sein. Wäre ich auch hier, wenn dem nicht so wäre? Wenn ich keinen Nutzen davon hätte?
Andererseits, was hatte er für einen Nutzen davon? Es brachte ihm rein gar nichts, dass ich gerade bei ihm war. Warum tat er das also? Kein Mensch tut etwas „einfach so". Wenn man nur lange genug die „warum?"-Frage stellt, kommt man früher oder später immer auf ein Motiv, etwas, was man eigentlich damit erreichen will. Sei es in manchen Fällen noch so unbewusst. Aber was war sein Motiv? Wofür brauchte er mich? Oder brauchte er vielleicht mein Vertrauen? Hatte er irgendetwas geplant, wobei er meine Unterstützung benötigte? Oder war er einfach ein Mensch, der nicht allein sein konnte? Hatte er sich vielleicht einfach nur den erstbesten Menschen genommen, der ihn nachts nicht alleine ließ?
So sehr ich mir auch den Kopf zerbrach, ich kam auf keine sinnvolle Antwort. Aber irgendeinen Antrieb, irgendeine Motivation musste er doch haben. „Manu? Was ist los?" Erschrocken stoppte ich meinen Gedankengang. „Nix", lautete meine knappe Antwort. Woher wusste er, dass ich noch nicht schlief, sondern mir verzweifelt Gedanken machte? „Du bist so unruhig." Ich antwortete ihm nicht. Was sollte ich ihm denn auch sagen. Hey, ich frage mich gerade, ob ich ein schlechter Mensch bin und dich einfach nur ausnutze! Ganz sicher war das keine gute Idee. „Wenn dir das so unangenehm ist musst du das schon sagen." Mit diesen Worten rückte er von mir weg. „Nein, das ist es nicht." Ich drehte mich zu ihm um. „Ich habe nur nachgedacht. Ist aber nicht so wichtig." Er nickte leicht. „Wenn du meinst. Mach dir aber nicht zu viele Gedanken. Das macht es nur noch schlimmer. Ich weiß zwar nicht, worüber du nachdenkst, aber das ist zumindest meine persönliche Erfahrung." Ich schenkte ihm ein dankbares Lächeln und drehte mich wieder auf die andere Seite. Ich wartete darauf, dass er sich wieder an mich schmiegen würde, aber nichts geschah. Verwundert drehte ich meinen Kopf. Er murmelte einen leisen, fragenden Laut, als er meinen Blick auf sich spürte. Nur wusste ich nicht, was ich sagen sollte. „Was ist denn?" Schwer schluckte ich. Warum stellte ich mich denn auf einmal so schüchtern und unbeholfen an? Mehrmals setzte ich zum Sprechen an, doch die Worte fühlten sich nicht richtig an. Schließlich wendete ich meinen hochroten Kopf wieder von ihm ab und nuschelte ein leises:„Nich' so wichtig" Er brummelte irgendetwas unverständliches und ich verkrampfte mich immer weiter. Warum war mir das so unangenehm? Er hatte ja bereits mehrmalig bewiesen, dass er absolut kein Problem damit hatte, also warum konnte ich nicht einfach fragen?" „Manu, was ist denn los?" Ich war mir nicht sicher, was ich auf diese Frage antworten sollte. „Ich will auch irgendwann mal schlafen. Aber das kann ich nicht wenn du neben mir so angespannt und nervös bist. Das überträgt sich auf mich und dann werde ich auch so hibbelig wie du." Ich drehte meinen Kopf wieder in seine Richtung. „Ich bin nicht angespannt und nervös." Verächtlich schnaubte er. Dann legte er eine Hand auf meine Brust. „Ach ja, das ist also deine natürliche Herzfrequenz?" In dem Moment, als er mich berührte, beschleunigte sich mein Herzschlag noch viel mehr. „Jetzt übertreibst du es aber endgültig." Leise lachte er auf und nahm seine Hand wieder weg. Eine angenehme Wärme breitete sich von der Stelle aus, an der seine Hand gelegen hatte. „Also, was ist los? Sprich es aus, Manu." Stotternd begann ich zu sprechen:"K-Kannst du.. a-also dich... vielleicht... ähm..." Was war nur los mit mir? Warum brachte ich auf einmal keinen vernünftigen Laut mehr hervor? „A-also, f-falls es dir nichts..äh..a-ausmacht. Ach, vergiss es." Hektisch drehte ich mich von ihm weg. Mein Kopf hatte seine natürliche Gesichtsfarbe schon lange verloren und mein Puls raste. Warum? Warum tat mein Körper mir das an? Herr Bergmann murmelte leise etwas unverständliches, dann legte er einen Arm um mich und schmiegte sich wieder an mich. Als ich mich gerade anfing zu entspannen, ließ er mich wieder los. „Das ist es doch, was du fragen wolltest, oder? Dann frag jetzt noch einmal. Das ist sozusagen der zweite Teil von meinem Sozialisierungstraining. Du musst lernen deine Wünsche zu äußern. Egal wie unangenehm sie dir in dem Moment auch sein mögen. Nicht jeder kann deine Gedanken lesen. Stell einfach deine Frage und entspann dich." Verwundert drehte ich meinen Kopf zu ihm. War das sein verdammter Ernst? Ich zögerte. Warum fiel mir etwas normalerweise so einfaches nur auf einmal so schwer? Vielleicht lag es daran, dass ich mich damit verletzlich machte. Ich würde ihm damit zeigen, dass ich ihm vertraute und seine Nähe schätzte. War es das, was mir Sorgen bereitete? Bis jetzt war unsere Freundschaft einseitig gewesen und hauptsächlich von ihm ausgegangen. Er hatte mich zu sich ins Haus gebracht. Ich hatte es akzeptiert. Er hatte sich zu mir gelegt. Ich hatte es akzeptiert. Er hatte sich im Schlaf an mich gekuschelt. Ich hatte es akzeptiert. Aber wenn ich ihn jetzt fragen würde, ob er mich in den Arm nehmen könnte, wäre das eine von mir ausgehende Zuneigungsbekundung. Und wollte ich das? Nur, warum sollte ich es eigentlich nicht wollen? Ich mochte und respektierte ihn. Also sollte ich jetzt endlich damit aufhören mich so anzustellen! Ich räusperte mich kurz, dann fragte ich ihn:"Kannst du mich wieder in den Arm nehmen?" Na, geht doch! Doch während ich die Worte aussprach, wurde mir erst richtig bewusst, was hier eigentlich passierte. Ich hatte gerade Herr Bergmann gefragt, ob er mich zum Schlafen in den Arm nehmen könne. Und das, obwohl ich unnötigen Körperkontakt ansonsten strikt vermieden hatte. Was war nur in den letzten Wochen aus mir geworden? Ich war ein selbstständiger, egoistischer Junge gewesen, der versucht hatte aus jeder Situation den größtmöglichen Gewinn heraus zu holen. Und jetzt? Ich machte mir Vorwürfe, weil ich mich fragte ob ich ihn nur ausnutzte und fragte einen Mann, den ich vor kurzem noch schonungslos ausgeliefert hatte, ob er sich nicht im Schlaf an mich schmiegen könnte. Mir missfiel diese Wandlung, doch auf irgendeinen Weise hatte ich das Gefühl, dass sie mich glücklicher machte als mein vorheriges Verhalten. Aber ich verstand sowieso nicht mehr, was in meinem Kopf vorging. „Du bist immer noch so unruhig. Willst du mir wirklich nicht sagen was los ist?" Mit seinen Worten kam auch wieder meine Gänsehaut zurück. Aber mir war wahrscheinlich einfach nur kalt. Das war bestimmt nur ein dummer Zufall. Er seufzte leise, dann wünschte er mir eine gute Nacht. Ich tat es ihm gleich und schloss die Augen. Mit geschlossenen Augen konnte man andere Dinge viel besser wahrnehmen. Da einem in dem Moment der Sehsinn fehlt, verschärfen sich die anderen Sinne. Und so konnte ich ihn jetzt noch bewusster wahrnehmen. Seinen Arm, den er um mich geschlungen hatte, seinen Kopf an meiner Schulter und seine Brust, die meinen Rücken berührte. Ich spürte seine gleichmäßigen Atemzüge. War er so schnell eingeschlafen? Ich konzentrierte mich nur noch auf ihn und die Ruhe, die er ausstrahlte. Ich spürte, wie meine Atemzüge sich den seinen anpassten und ich bald darauf auch einschlief. Mit dem Gedanken im Kopf, was ich für ein Glück hatte. Jeder andere Kerl hätte mich wohl schon für schwul erklärt und Abstand gehalten, aber er verstand, dass ich einfach jemanden an meiner Seite brauchte um ruhig zu schlafen. So war es doch schließlich, oder?

Die zwei Seiten eines MenschenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt