Ein Problem mehr

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Immer noch standen wir da. Schauten uns in die Augen. Wagten kaum zu atmen. Lauschten, ob wir die Schritte des Fremden hören konnten. Wir mussten ihm hinterher. Wir mussten wissen, was und wie viel derjenige mitbekommen hatte. Kurz nickten wir uns in gegenseitigem Einverständnis zu. Dann teilten wir uns auf. Er ging nach links um die Häuser, ich nach rechts. Leise knirschte der Sand unter meinen Schritten, ansonsten kam es mir still vor. Es war, als würde nicht nur ich, sondern die ganze Wüste die Luft anhalten. Wenn jemand mitbekommen hatte was ich über Bergmann gesagt hatte, könnte das sein Todesurteil sein. Das hier war der Wilde Westen. Hier gab es durchaus noch die Todesstrafe. Und wenn Superzocki seinen Verletzungen erliegen würde, wäre Bergmann ein Mörder. Ich fröstelte bei dem Gedanken und meine Arme waren von Gänsehaut geziert. Ich schüttelte leicht meinen Kopf. Vertrieb diese Gedanken. Ich musste mich konzentrieren. Mein Kopf musste im Hier und Jetzt bleiben. Ich musste unseren Zuhörer finden. Ich verharrte auf der Stelle, als ich ein Knacken hörte. Dann beschleunigte ich meine Schritte, folgte dem Geräusch und sah gerade noch, wie Takaishii in seinem Haus verschwand. Oh nein. Das war dann wohl das schlimmste Szenario, das hätte eintreten können. Delay kam auch gerade um die Ecke und schaute mich fragend an. Doch mein Blick schien wohl alles zu sagen, denn er kam schnell auf mich zu gelaufen und legte seine Hand auf meine Schulter. „Können wir kurz wohin wo wir ungestört reden können." Ich nickte nur in Zeitlupe. Mir wurde schwindelig und ich musste mich konzentrieren um bei Bewusstsein zu bleiben. Immer wieder flackerte alles Schwarz auf und ich kniff meine Augen zusammen. Nein, nicht jetzt! „Manu? Manu, geht es dir nicht gut?" Alles war verzerrt, verschwommen. Genauso wie letztes mal. Nein, nein, nein! Mit aller Kraft kämpfte ich gegen das Schwindelgefühl an und spürte, wie Dario mich stützte und vorsichtig, halb ziehend, halb tragend, zu meinem Haus brachte. Dort legte er mich auf den Boden und brachte meine Füße in eine erhöhte Position. Langsam verbesserte sich mein Zustand wieder. Dario, der sich neben mich gekniet hatte, erhob sich. Kurz darauf kam er mit einem Glas Wasser wieder. „Takaishii." Meine Stimme hörte sich seltsam an, noch immer war alles verzerrt. „Was ist mit Takaishii?", fragte Delay ruhig. „Es war Takaishii." Kurz huschte eine Emotion über sein Gesicht, aber ich konnte sie nicht richtig zuordnen. Angst? Verzweiflung? Hilflosigkeit? „Müssen Bergi warnen" Mir fiel es immer schwerer zu reden. Meine Atmung wurde immer unregelmäßiger und auch Dario schien das aufzufallen. „Ganz ruhig, Manu. Beruhige dich erst einmal, dann gehen wir gleich zu Bergi. In Ordnung?" Mittlerweile war ich schon fast am hyperventilieren und meine Stimme klang ungewöhnlich. Hoch, schrill, fast schon panisch. „Wir müssen ihn hier wegbringen. Takaishii kann ihn sowieso nicht leiden. Der wird doch noch nicht einmal einen gerechten Prozess abhalten. Der wird ihn einfach erschießen, oder gar erhängen, oder.." Bestimmend nahm Dario meine Hände in seine und hielt sie fest. Ich hatte gar nicht gemerkt, wie sehr sich diese verkrampft hatten. „Ganz ruhig. Wir wissen überhaupt nicht, was Takaishii überhaupt mitbekommen hat. Und jetzt beruhig dich bitte. Wir haben nichts davon, wenn du hier so eine Panik schiebst. Es ist noch überhaupt nichts entschieden. Und selbst wenn der Sheriff jetzt Bescheid weiß, kommt Bergi erst ins Gefängnis. Er wird nicht gleich umgebracht werden, das lassen wir nicht zu." Ich nickte leicht, wahrscheinlich hatte er Recht. Ich steigerte mich da gerade wirklich zu sehr rein. Tief atmete ich durch und versuchte meinen Atemrhythmus wieder unter Kontrolle zu bekommen. Ich war einfach nicht Stressresistent genug für das alles hier. Als ich mich soweit beruhigt hatte, half Dario mir mich aufzusetzen und reichte mir etwas zu trinken. Dankbar nahm ich das Glas und ließ die kühle Flüssigkeit meine Lebensgeister wieder erwecken. „Können wir gleich zu ihm gehen?" Dario schaute mich unsicher an. Ich bot wahrscheinlich einen jämmerlichen Anblick. Wie ich so dalag, die Haare zerzaust, immer noch ein wenig zitternd, die Augen gerötet von meinen Tränen. Verwundert fasste ich mir ins Gesicht. Ich hatte überhaupt nicht mitbekommen, dass ich geweint hatte. Peinlich berührt wischte ich mir schnell die Tränen weg. „Hey, dass muss dir nicht unangenehm sein. Und wenn du das schaffst können wir gleich zu Bergmann gehen." Der Anflug eines Lächelns zeichnete sich auf meinem Gesicht ab. Vorhin war ich richtig scheiße zu ihm gewesen, trotzdem war er so nett zu mir. Er streckte mir seine Hand hin, die ich dankend annahm. Dann zog er mich hoch und ich schwankte kurz unsicher. Er legte seinen Arm um mich und gab mir somit genug Stabilität. „Geht's?" Ich nickte leicht, dann setzte er sich in Bewegung und zog mich mit.
So machten wir uns auf den Weg. Dario kicherte leise, als ich das Tempo immer weiter anzog, je näher wir Bergis Haus kamen. Verwundert schaute ich ihn an, was war daran so witzig? Doch er schüttelte nur den Kopf und so betraten wir Bergis Haus. Der saß gerade mit Max am Tisch und sie schienen sich zu unterhalten. Als er mich sah schlich sich erst ein freudiges Grinsen auf sein Gesicht, doch dann veränderte sich sein Blick. Hatte ich irgendetwas getan? Er schaute mich mit einem undefinierbaren, jedoch keineswegs freundlichen Blick, an. Jetzt schien auch Max uns zu bemerken, denn er drehte sich um und begrüßte uns. Ich gab auch ein förmliches Hallo von mir und schaute dann wieder Bergmann an. Immer noch musterte mich dieser mit diesem undeutbaren Blick. War das.. Eifersucht? Aber wenn ja, auf was? „Wir haben vielleicht ein Problem. Und darüber müssen wir mit euch reden.",erklärte Dario, warum wir gekommen waren. Dario. War Bergmann etwa eifersüchtig, weil Dario seinen Arm um mich gelegt hatte und mich so festhielt? Er konnte ja nicht wissen, dass das einen Grund hatte. Aber das ergab keinen Sinn, warum sollte ihm das etwas ausmachen? „Kann Manu sich setzen?" redete Dario weiter „Er wäre gerade fast umgekippt. Er ist noch ein bisschen wacklig auf den Beinen und ich will ihn nicht die ganze Zeit festhalten müssen." Bergi sagte noch immer nichts. Max hingegen stand auf und stellte mir einen Stuhl hin. Dankbar setzte ich mich hin und Dario stellte sich ebenfalls an den Tisch. „Manu und ich, wir haben geredet. Und wir vermuten, dass Takaishii etwas mitgehört hat. Wir wissen aber nicht, was genau er mitbekommen hat." Schüchtern hob ich meinen Blick, fürchtete mich vor Bergis Reaktion. Er starrte Dario ungläubig an. „Ihr habt euch unterhalten? Darüber? Auf der Straße?" Dario schüttelte seine Kopf. „Nicht wirklich. Es ist nur ein Satz gefallen. Aber wenn er ihn gehört hat, reicht das vermutlich schon um ihn misstrauisch zu machen. Der Sheriff traut uns ja sowieso nicht wirklich." Verzweifelt raufte Bergmann sich die Haare. Als ich das sah biss ich mir nervös auf die Unterlippe. „Es tut mir so Leid. Ich habe nicht nachgedacht. Da ist mir einfach so eine blöde Bemerkung raus gerutscht." Bergmann wandte sich nun zu mir. Ich versuchte mich möglichst klein zu machen, zog meine Schultern hoch und schaute ihn von unten an. Doch er winkte nur lächelnd ab. „Daran können wir jetzt eh nichts mehr ändern. Und wenn Takaishii mich etwas dazu fragt werde ich die Wahrheit sagen. Ich bin immer noch ein ehrlicher Mann und ich werde für meine Taten gerade stehen." Geschockt schüttelte ich meinen Kopf. Meine Stimme war viel höher als normal. „Nein! Der bringt dich um wenn er davon erfährt! Der wollte euch im Gefängnis verrecken lassen, nur weil zwei Pferde von ihm gestorben sind. Das kannst du nicht machen!" Er stand auf und legte seine Hand auf meine Schulter. „Du warst eines meiner Opfer, warum hast du etwas dagegen, dass ich eine gerechte Strafe bekomme?" Panisch redete ich auf ihn ein:"Du wirst keine gerechte Strafe bekommen! Es ist nicht gerecht wenn du sterben musst. Du bist einer von den Guten. Du versuchst immer alle fair zu behandeln, du verstehst meinen Humor, du hast mir immer neue Chancen gegeben, obwohl ich diese überhaupt nicht verdient hätte! Ich habe dich betrogen, verraten, belogen und trotzdem stehst du jetzt neben mir und behandelst mich wie alle anderen Menschen auch. Das warst nicht du selbst, der da so ausgerastet ist. Es wäre nicht gerecht, wenn du sterben müsstest! Es ist nie gerecht, wenn jemand durch die Hand eines anderen stirbt. Um zu zeigen, wie falsch es ist jemanden umzubringen bringt man doch niemanden um. Wo bleibt die Logik? Du hast es verdient zu leben! Du..." „Manu, beruhige dich." Ich atmete tief durch. Seit wann war ich überhaupt so emotional? Normalerweise brachte mich nichts so schnell aus der Fassung. „Entschuldigung.", nuschelte ich leise. Warum übertrieb ich es in letzter Zeit nur so schnell? Noch einmal holte ich tief Luft. Bergmann schaute mich liebevoll an und umarmte mich. „Ach Manu, du brauchst dich doch für nichts zu entschuldigen." Mit seinen Händen strich er mir über den Rücken und ich seufzte leise, schloss meine Augen, atmete seinen Duft ein und fing langsam an mich zu entspannen. Dann löste er sich wieder von mir und setzte sich zurück auf seinen Platz. Ich hob meinen Blick wieder. Dario und Max schauten sich gerade vielsagend grinsend an. „Ist irgendwas?", fragte ich die beiden. Doch sie schüttelten nur synchron die Köpfe und murmelten eine Verneinung. „Ich habe ja jetzt nach ihm gesehen, wer übernimmt die nächste „Schicht"?", fragte Max und schaute mich kichernd an. Fragend zog ich eine Augenbraue hoch, doch dass konnte er natürlich dank meiner Maske nicht sehen. Dario wandte sich an mich und sagte, dass er noch etwas vorhabe und ob ich ein Problem damit hätte, Bergi wieder zu „übernehmen". Dabei schwenkte sein Blick kurz zu Max und die beiden grinsten schon wieder so komisch. „Klar. Kann ich machen." Insgeheim freute ich mich. Immerhin hatte ich jetzt eine Ausrede warum ich schon wieder bei Bergmann schlafen konnte. Das hieß: Eine weitere Nacht ohne Albträume. „Dann lassen wir euch mal alleine. Bis morgen!" Wieder grinsten sie sich an und hüpften dann kichernd aus der Wohnung. Okay. Sollten sie doch. „Manu. Meintest du das eigentlich ernst? Also was du vorhin gesagt hast?" Ich überlegte kurz. Mein Kurzzeitgedächtnis konnte man einfach komplett vergessen. Doch glücklicherweise fiel es mir wieder ein. Er meinte bestimmt meinen kleinen emotionalen Ausbruch von vorhin. „Joa, ich denke schon. Warum sollte ich sonst so etwas sagen?" Glücklich strahlte er mich an. „Ich glaube das war dann wohl das erste mal, dass du mir freiwillig deine Gefühlswelt offenbart hast." Ich nickte nur schwach. Jap, er hatte Recht. Und ich fand das alles andere als gut. „Gleich ins Bett?", fragte er. Ich bejahte seine Frage und folgte ihm den mir mittlerweile schon vertrauten Weg in sein Schlafzimmer. Wie auch schon gestern Abend landete unsere Kleidung, die Boxer ausgenommen, auf dem Boden. Lachend nahm ich Anlauf und schmiss mich mit Schwung auf meine Seite des Bettes. Schnell schnappte ich mir die Decke und wickelte mich in sie ein. „Meins!", rief ich Bergmann zu, der vollkommen überfordert zu sein schien. Mein Elan war vielleicht auch eeeetwas plötzlich gekommen. Dann rannte auch er die paar Schritte bis zum Bett und schmiss sich neben mich. Er kletterte auf mich und rief, meinen Tonfall imitierend „Meins!". Lachend schubste ich ihn von mir runter. „Oh Junge, kein Wunder, dass Dario und Max meinen wir hätten was miteinander." Jetzt hielt er inne und schaute mich ungläubig an. „Wie kommst du darauf?" Ich erzählte ihm, dass obwohl Max als auch Dario mich unabhängig voneinander gefragt hatten, ob wir zusammen wären. „Und so wie die geguckt haben, als wir besprochen haben wer bei dir bleiben soll, glauben die das wirklich. Aber mir soll's egal sein, lass'e doch denken wat 'se wolln." Jetzt lachte er wieder. „So wie wir uns manchmal verhalten wird man ja auch fast gezwungen so etwas zu denken. Aber das ist ja nur Spaß." Irgendwie verletzten mich seine Worte , aber ich setzte ein gekünsteltes Lächeln auf und nickte. „Ja, klar!" Er legte seinen Kopf schief und schaute mir in die Augen. „Habe ich was falsches gesagt?" Ich versuchte mit einem Lachen die Situation zu überspielen, doch wie bereits erwähnt, ich war kein guter Schauspieler. Er musterte mich zwar kritisch, fragte aber nicht weiter nach. „Gute-Nacht-Geschichte?", fragte er wieder in gut gelauntem Ton. Ich nickte und antwortete mit meiner Kleinkindstimme:" Ja! Bitte Papi!" Er schmunzelte. „Aber diesmal ist die Bedingung, dass ich auch mal etwas von der Decke abbekomme." Unterwürfig gestand ich ihm auch einen Teil der Decke zu und er tätschelte mir bestätigend den Kopf. „Sehr gut, mein Junge." Ich konnte ein lachen nicht mehr unterdrücken. „In solchen Situationen bin ich immer sehr froh, dass uns gerade niemand sieht."Er nickte nur bestätigend. „Aber diesmal habe ich auch noch eine Bitte an dich." Verwundert schaute er mich an. „Kannst du es bitte mal lassen mich im Schlaf so zu umklammern. Ich hab ja nichts gegen dich, aber das muss echt nicht sein. In Ordnung?" Er nickte. Gut. Dann hatten wir das auch geklärt. „Soll ich dann mit erzählen anfangen? Oder willst du dich erst richtig hinlegen?" Bei seinem letzten Satz grinste er und hob seine Decke an. Vermutlich eine Aufforderung mich wieder näher zu ihm zu legen. Kopfschüttelnd seufzte ich. Dann rutschte ich wieder näher zu ihm und platzierte meinen Kopf auf seinem Körper. „Dafür muss die Geschichte jetzt aber auch besonders gut sein.", murmelte ich. Er schmunzelte. „Meine Geschichten sind immer gut!" „Ja ja" nuschelte ich leise. Dann konzentrierte ich mich nur noch auf seine Stimme. Dieser Mann konnte einfach so unglaublich gut erzählen. Dafür nahm ich ruhig in Kauf, dass die Decke nicht mehr mir allein gehörte, und er zudem noch sehr kuschel bedürftig sein konnte.

Die zwei Seiten eines MenschenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt