8 Die Flucht

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Ich fahre vor Schreck so schnell herum, dass ich mit meinem Ellenbogen die Kakaotasse erwische und sie vom Küchentresen fege. Mit einem Klirren, das bestimmt nicht gesund für mein Trommelfell ist schlägt sie auf den Steinkacheln auf und zerbricht in unzählige Scherben und Splitter, die in alle Richtungen schießen, als wollen sie diesen Moment noch dramatischer gestalten. NEIN! Mein Leben!

Geschockt starre ich zuerst die mit Porzellan durchsetzte Brühe auf dem Fußboden, meinen vor Kakao triefenden Pulliärmel und zu guter Letzt die Ursache der gesamten Schweinerei (auch, wenn die Schweine nun wirklich nichts dafür können) an: Orla.

„Sag mal, geht's noch?", quieke ich kurz vorm Kollabieren.

Orla starrt mich einfach nur stumm an. Allerdings nicht entsetzt, wie ich es tun würde, wenn ich Schuld am Mord einer Kakaotasse samt Inhalt wäre, sondern mit einem etwas psychopathischen Lächeln, das mich beunruhigend stark an Joker, den verrückten Clown\Mörder aus Batman erinnert. Auch ihre Gesamterscheinung ist ein bisschen fragil. Orla trägt nämlich einen Bademantel, der mit pinker Haarfarbe vollgekleckst ist. Ihr fratzenartig verzogener Mund ist mit einem metallisch glänzenden fuchsiafarbenen Lipgloss verschmiert und unter ihren Augen prangen dicke Mascararänder, die sie allen Anschein nach auch noch unterbewusst über ihre Wangen hinab und hoch zu ihren Augenbrauen verrieben hat. In ihren verkrampften und unkontrolliert zitternden Händen, an denen ein paar falsche Fingernägel abgebrochen sind, hält sie eine stark verknitterte Zeitung, mit der sie wohl gerade meinen Hinterkopf attackiert hat.

„Anastasia!", sie rückt noch ein paar Zentimeter näher und ich kann anhand ihres nach Wodka stinkenden Atems erkennen, dass sie sich wohl einen KLEINEN Drink gegönnt hat. Wenn nicht die ganze Wodkaflasche.

„Sag mir mal bitte,", sie ringt nach Luft „was das IST!"

Das letzte Wort spuckt sie mir geradezu ins Gesicht und kleine, nach Alkohol und Fisch stinkende Speicheltröpfchen fliegen mir um die Ohren. Keine Spur von Pfefferminzkaugummi. Dann drückt Orla aka der pinke Joker aka das Böse in Person mir die Zeitung, die, wie ich auf den zweiten Blick feststelle, von heute ist, in die zum Schutz erhobenen Hände und tritt (Gott sei Dank!) einen minimalen Schritt zurück. Stoßartig atme ich aus und sinke ein winziges bisschen in mich zusammen.

Dann werfe ich einen dritten Blick auf die Zeitung und sehe, dass sie auf der Seite für Kleinanzeigen und Vermisstenmeldungen aufgeschlagen ist.

„Lies vor!", faucht Orla.

„Eeeinzellwohnhaus im Ggrünen zzu vvermieten. Bbei Interessse bitte unter dieser Nummmer anrufen: 83750241...", stottere ich zaghaft das erstbeste, was mir ins Auge springt.

Orla wirft mir einen so wütenden Wenn-du-nicht-auf-der-Stelle-aufhörst-mich-zu-verarschen-mach-ich-Hackfleich-aus-dir-Blick zu, dass es fast aussieht, als würde sie schielen. Dann richtet sie ihn auf das Käseblatt und faucht nach qualvollen fünf Sekunden ohrenbetäubenden Schweigen: „Umdrehen!"

Ich brauche einen Moment, um zu kapieren, dass sie die Zeitung meint.

Schnell folge ich ihrem Befehl, wende das spröde Recyclingpapier und starre auf den Artikel auf der Rückseite. Es ist nicht die Schlagzeile. Zum Glück. Denn auf der Seite steht in dicken, fetten Druckbuchstaben:

ANASTASIA BLUM - ERWISCHT BEIM TREFFEN MIT GEHEIMEN LOVER!?

Und darunter:

„Gestern Nacht ertappte einer unserer angergiertesten Reporter"-von wegen!- „Anastasia Blum, Tochter von Millionär Steve Blum (verstorben) und Ex-Wunderkind der Kunstwelt dabei, wie sie sich heimlich von ihrem Grundstück und Wohnsitz stehlen wollte - um Mitternacht! Holla Prinzessin!"-ich geb dir gleich Holla!- „ Will sich da etwa jemand mit seinem Lover treffen, oder hast du dich NUR in deinem eigenen Garten verlaufen? Das nämlich sagte die Vierzehnjährige, als unser Reporter sie danach fragte, was sie denn noch zu so später Stunde draußen täte. Allerdings konnte unser Mann noch nicht erörtern, was Blum denn nun wirklich aus ihrem Haus trieb, denn die Millionenerbin flüchtete, nachdem er sie erkannt hatte."

Über allem prangt ein verwackeltes Foto von mir, wie ich paralysiert und mit schreckesgeweiteten Augen direkt ins Blitzlicht gucke.

Oh. Das ist nicht gut. Überhaupt nicht gut. Das übertrifft sogar den Skandal vor einem halben Jahr, als ich mit meinem ersten (und bis jetzt auch letzten) festen Freund in der U-Bahn geknutscht habe, und dabei von einem Passanten gefilmt wurde, der auch noch so intelligent war, das Video an die Redaktion einer Klatschzeitung zu schicken. Denn damals gab es harte Fakten.

Blum, Freund, U-Bahn, knutschen.

So war das damals. Orla hat mir danach eine Gardinenpredigt darüber gehalten, dass man der Öffentlichkeit nicht zu viel Stoff zum fantasieren geben darf, weil sonst das entstand, was jetzt entstanden ist: Gerüchte

Außerdem hab ich damals zwei Wochen Hausarrest (ja, so was gibt's bei Orla noch) bekommen und konnte einen Monat lang SELTSAMERWEISE meine Handy nicht mehr finden. Als ich es dann endlich fand (es lag im Kühlschrank), hatte Orla doch tatsächlich alle meine Kontakte gelöscht, mein Instagramprofil lahmgelegt und meinen (Ex-)festen Freund abserviert.

Per Whatsapp.

Plötzlich fährt ein unerträgliches Kreischen durch meinen Kopf, schlängelt sich um jede einzelne meiner Gehirnwindungen, und zerfetzt mit einem an Ultraschall grenzenden Piepen mein logisches Denken. So jedenfalls fühlt es sich an.

Ich reiße den Kopf hoch, wanke, wie getroffen, zwei Schritte nach hinten und kralle mich dann mit beiden Händen in den Kunststoffbelag der Theke, die, wie mein unverhoffter Retter hinter mir steht und sich keinen Mikrometer von der Stelle bewegt.

Das Kreischen kommt von Orla. Ich wiederhole: Orla kreischt.

Endlich schalten sich meine unterbewussten Reflexe wieder ein, und schnell presse ich mir beide Handflächen gegen die Ohren.

Und während sich Orla lauthals in eine Schimpftiriade über mein gottloses Verhalten und überhaupt den gesamten Rest der Welt hineinsteigert, der sie übrigens einen *#*x!§ abkann, schleiche ich mich so leise, wie möglich und immer an der Tresenkante entlang aus der Küche.

Schnell tapse ich über den Flur zur Eingangshalle (wobei ich mich irgendwie wie ein Einbrecher fühle), schnappe mir leise, wie ein Hausgeist meine Umhängetasche ,meine Jacke und einen etwas verstaubten Schal von dem Garderobenständer, der in unserem Eingangsbereich steht und schlüpfe, ohne Zeit zu verschwenden in meine offenen und mit Edding bekritzelten Sneaker. Ich nehme mir noch nicht einmal so viel Zeit, sie zuzubinden, sonder renne stolpernd zu meinem geliebten Mountainbike, welches, wie jeden Morgen von einem Angestellten hingebracht dasteht.

Hinter mir wird das Klackern von Stilettos laut und ehe ich auch nur „Choupette" denken kann steht Orla im Eingangsportal und fuchtelt lauthals zeternd mit der, mittlerweile sehr zerrupft aussehenden Zeitschrift herum.

Ohne mich durch ihren Anblick aufhalten zu lassen schwinge ich, den am Lenker baumelnden Fahrradhelm ignorierend mein Bein über die Querstange und trete so stark in die Pedale, dass Kies in alle Richtungen spritzt. Ich werfe noch schnell einen letzten Blick über die Schulter, und sehe, dass der Hausdrache es aufgegeben hat, wüste Beschimpfungen an seine Umgebung zu verteilen und sich jetzt mit vor Wut blitzenden Augen auf mich zu bewegt. Dann greifen meine Räder endlich und wie von der Tarantel gestochen flitze ich davon.

Gehetzt und etwas außer Atem erreiche ich das Tor, vor dem ich eine totale Vollbremsung hinlege, da es sich erst langsam und untermalt von einem elektrischen Surren öffnen muss. Fuck. Ich bin sowas von tot, wenn Orla mich jetzt erwischt.

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Ähhh Hi....

Jaaaa es tut mir wirklich leid, dass ich letzte woche nichts hochgeladen hab...SIND WIR TROTZDEM NOCH FREUNDE!?

*Hände schützend über Kopf halt, um ihn vor dem niederprasselnden Tomatenhagel zu schützen*

Sorry Leute ich glaub, die EinmalInDerWocheUpdateRegel ist
hiermit aufgehoben ehehehe....

ich fang grad allen ernstes ein bisschen an, mich selbst zu hassen, wie ich hier vor meinem Laptop hocke und Lebkuchen in mich reinstopf ...

Aber jetzt noch mach richtig und in Großbuchstaben : ES TUT MIR LEEEEEEIID

bis irgendwann ihr Schokopizzas da draußen... PEACE LEUTE

Eure lebkuchenfressende Cup XXXX





Das steht in den Sternen  ON HOLDWo Geschichten leben. Entdecke jetzt