Kapitel 17

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Die Leute auf dem Gehweg starren uns nicht gerade diskret an und als wir ein Cafè betreten und dabei die kleine Glocke über der Tür zum bimmeln bringen, wirft die Kellnerin hinter der Theke uns einen geradezu entsetzten Blick zu. Aber ic hkann sie verstehen.

Ich wäre auch entsetzt, wenn mitten an einem stinknormalen Samstagvormittag auf einmal ein Mädchen, dass mit seiner Blässe, den tiefen Augenringen und der zerfetzten Kleidung so aussieht, als wäre es von einem Vampir gebissen worden und hätte danach gegen ein gesamtes Rudel Werwölfe kämpfen müssen und ein Typ, der als der jüngere durchgeknallte Cousin des verrückten Hutmachers durchgehen könnte auf meiner Matte stehen würden.

Aber Lucius scheint von unserem fragwürdigen Auftreten und der ungewollten Aufmerksamkeit, die es auf sich zieht garnichts mitzubekommen.

Er blickt sich suchend um und pfeift dabei in einer nervenzerstörend hohen Tonlage den Refrain von „It's raining men".

Da ich immernoch nicht weiß, was ich von ihm halten soll, beäuge ich ihn verstohlen aus den Augenwinkeln.

Mit der weiten Hose, dem zerknautschtenMantel, den abgetragenen Lederboots, dem goldglänzendem Ohrring im linken Ohrläppchen, der weinroten Weste und den vielen filigranen Ketten, die kreuz und quer um seinen Hals hängen sieht er aus wie eine Mischung aus Jack Sparrow, dem Butler aus „Dinner for one"und einem reisenden Wahrsager.

Außerdem lugt unter seinem Hemdkragen und den ganzen Kettchen ein Tattoo hervor. Irgendwas mit einem grinsenden Harlekin und noch etwas Geschriebenes, was ich aber aus den Augenwinkeln nicht erkennen kann. Ich recke meinen Kopf ein bisschen mehr in seine Richtung, aber das einzige, was ich erkennen kann ist der geschwungene Bogen eines Gs. Oder ist es doch ein P?

Wenn er jetzt noch den Kopf so drehen würde, dass die Sehne an seinem Hals sich spannt, dann könnte ich es vielleicht sehen... nur noch ein bisschen.

Plötzlich stoppt der Kobold in seiner wippenden Bewegung und dreht sich so schnell zu mir um, dass ich es gerade noch schaffe, desinteressiert die Kuchenauslage zu studieren, um nicht dabei erwischt zu werden, auf seine Tattoos zu linsen.

Wobei das mit dem desinteressiert sein gar nicht mal so leicht ist, da mein Magen bei dem Duft der Orangencreme und dem Anblick der mit Schokolade übergossenen Muffins Alarm schlägt und anfängt, unüberhörbar zu Knurren.

Die Kellnerin wirft mir einen weiteren mürrischen Blick zu, der nur zu deutlich macht, wo sie uns am liebsten haben will: außerhalb ihres Allerheiligsten.

Es wundert mich wirklich, dass sie uns noch nicht rausgeschmissen hat.

Aber nur zur Sicherheit und aus reiner Vorsichtsmaßnahme werfe ich ihr das klebrigste und unschuldigste Lächeln zu, das man eben zu Stande bringen kann, wenn man verdreckt, verwirrt, mit einem unglaublich leeren Magen und einer Menge unbeantworteter Fragen im Kopf mitten in einem nach Schokolade und Zimt duftenden Cafè steht und von seinen Angestellten mit Blicken getötet wird.

Aber bevor ich noch so weit gehe, einen Knicks zu machen und mich dann auf die Kuchentheke zu stürzen (habe ich schon erwähnt, dass ich verdammten Hunger habe und keine zwei Meter von mir entfernt ein vor Sirup triefender Waffelberg steht?) packt mich eine Hand am zerfetzten Ärmel und zieht mich in den hinteren Teil des Cafés.

Weg vom Kuchen, weg von den Waffeln und weg von der Blicke werfenden Kellnerin.

Lucius zieht mich an einen Tische, der klein und verloren in einer Ecke steht und an dem die Kerze schon fast heruntergebrannt ist.

„Setz dich", sagt er und weist mit einer unmissverständlichen Geste auf einen der beiden Stühle.

„Nein!", protestiere ich „warum können wir nicht den da drüben nehmen oder den da?", ich zeige auf zwei Tische, die besonders nah an der Kuchentheke stehen.

Das steht in den Sternen  ON HOLDWo Geschichten leben. Entdecke jetzt