Kapitel 18

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Einen Moment herrscht Stille. Ich bin wie schockgefroren. Doch dann schießt endlich Adrenalin durch meinen Körper und erlaubt mir, mich wieder zu bewegen. Mit einem lauten Quietschen schiebe ich meinen Stuhl nach hinten, sodass er krachend gegen die Nischenwand stößt.

Ich muss hier raus. Das ist das einzige, was gerade in meinen Kopf passt. Meine Schritte hallen unnatürlich laut auf dem glänzenden Parkett, als ich auf eine Tür im hinteren Bereich des Cafès zusteuere, auf der in großen Blockbuchstaben „PRIVAT" steht. Mir ist es egal. Ich stoße die Tür auf und knalle sie hinter mir zu, sodass die Wände erzittern.

Dunkelheit umfängt mich, und einen. Moment lang stehe ich einfach nur zitternd im Dunkeln und höre meinem eigenen hastigen Atmen zu.

Doch dann realisiere ich, was ich sehe– nämlich nichts.

Einfach nur Schwarz.

Erinnerungen schwemmen nach oben. Eine Nacht vor drei Jahren. Damals war Paps auf der Eröffnung einer neuen Modefiliale, die von einem Bekannten von ihm geleitet wurde. Aus unerfindlichen Gründen stellte Orla sich freiwillig bereit, den Babysitter für mich zu spielen. Was hieß, dass ich um acht Uhr ins Bett geschickt wurde und man im Wohnzimmer das Ploppen der Korken hören konnte, als Orla Paps' Weinkeller plünderte.

In dieser Nacht gab es ein unglaubliches Gewitter. Der Wind heulte in den Dachsparren, die Bäume vor den Fenstern wurden vom Regen durchgepeitscht und über allem grollte der Donner.

Ich hatte es nicht lange alleine in meinem Zimmer ausgehalten und war mit einem Teddy im Arm zu Orla gerannt, hatte sie angefleht, mich im Wohnzimmer auf der Couch vor dem Kamin schlafen zu lassen. Nach fünf Weingläsern war Orla überaus gereizt gewesen. Sie stand einfach stumm auf und führte mich zurück in mein Zimmer, wo sie wortlos alle Rollos herunterlies, die Tür beim hinausgehen hinter sich zuzog und zweimal abschloss.Ich saß die ganze Nacht unter meiner Bettdecke, zitterte, schwitzte und schluchzte bei jedem erneuten Donnerkrachen auf. Am nächsten Morgen wurde das Schloss meiner Tür klackend entsichert und Orla(mit einem ziemlich künstlichen reuevollen Gesichtsausdruck) und mein Vater (mit vor Sorge umschatteten Augen) traten ein. Sie beteuerten mir, dass Orla mich nur stillstellen hatte wollen und mich einfach vergessen hatte.

Aber ich wusste es besser.

Seit der Nacht hatte ich panische Angst vor der Dunkelheit.

Brutal werde ich wieder ins Hier und Jetzt gerissen. Mein T-Shirt klebt mir vor Schweiß am Rücken und auf meiner Brust lastet ein unsichtbares Gewicht, schwer wie eine Bowlingkugel. Mit schweißnassen Händen taste ich die Wand nach einem Lichtschalter ab. Schlagartig erhellt sich der Raum und lässt mich gleichzeitig erstarren. Ich stehe vor einem schmutzigen und anden Ecken mit Rissen durchzogenen Spiegel. Ich kann mein Spiegelbild nur als eine gesichtslose Figur ausmachen, so verschmiert und stumpf ist er. Mein Blick klebt aber an den zwei dutzend Schemen, die bewegungslos hinter mir aus dem Schatten ragen.

Scherben knirschen unter meinen Fußsohlen. Das Geräusch wirkt hundert mal lauter, verstärkt von der angespannten Stille. Ich zittere wieder. Verharre stumm und starr und warte darauf, dass jede Sekunde jemand aus dem Schatten tritt.Doch nichts passiert. Meine Augen huschen über die Wände, suchen und finden. Ich spanne alle Muskeln an und haste in drei Sätzen durch den Raum, stürze zur gegenüberliegenden Wand und lasse meine Hand so stark auf den zweiten Lichtschalter niedersausen, dass im Plastikgehäuse ein Riss entsteht. Ich wirbele herum, bereit, mich dem zu stellen, was auch immer nun passieren wird.

Ein paar Sekunden lang passiert garnichts. Dann fängt irgendwo ein altersschwacher Generator an, zu surren und mit einem vernehmlichen „Bzzzz" erwacht flackernd die Neonröhre zum Leben.

Ich starre in die Ecke, aus deren Schwärze sich nach und nach die Gestalten schälen – und sich als Pappaufsteller entpuppen!?

Tatsächlich kann ich jetzt erkennen,dass das, was ich vorhin für bewegungslos da stehende Menschen gehalten habe nur ein Dutzend lebensgroße Figuren aus zentimeterdickem Pappkarton sind, auf denen je ein breit grinsender Waschbär aufgedruckt ist, der mir eine schokoladig glänzende Cremetorte mit einem Haufen Sahne hinstreckt. Auf seinem Kopf thront eine bauschige Kochmütze, deren oberes Ende mich verdächtig an Zuckerwatte erinnert.

Plötzlich werden meine Knie weich, wie zerkochte Spaghetti und die grinsenden Gesichter der Waschbären scheinen vor meinen Augen zu verschwimmen. Da fällt es mir wieder ein. Es würden Dinge passieren, hatte Lucius gesagt.

Seltsame Dinge.

So wie Flügel, die die Farbe wechselnd auftauchten und verschwanden. So wie seltsame Halbträume und die ständigen Zusammenbrüche. Es musste alles dazugehören.

Etwas Nasses rinnt über meine Oberlippe und als ich mit der Fingerspitze darüber fahre, haftet Blut an ihr.

Ich stolpere gegen die Wand, kralle meine Fingernägel in den rauen Putz, sodass die Haut an meinen Fingerkuppen aufreißt und Kalkstaub zu Boden rieselt.

Es gehört alles dazu. Das weiß ich, jedenfalls versuche ich, es mir selber einzureden.

Ich stolpere an der Wand entlang, stoße dabei ein paar leere Flaschen um, die klirrend umkippen und geräuschvoll über den kahlen Steinboden rollen.

Meine Finger finden einen Türknauf, drehen ihn und von Husten geschüttelt wanke ich in den sich mir auftuenden Raum.

Ich wanke so weit, bis ich gegen kühle Wandfliesen stoße. Ein penetranter Geruch steigt mir in die Nase und nach einem Blick zu der Reihe von kunststoffblauen Klokabinen weiß ich, wo ich bin.

Ich stoße die Erste Kabinentür auf, klappe den Klodeckel herunter und lasse mich auf ihm nieder.

Und warte.

Darauf, dass die Sterne vor meinen Augen verschwinden, dass die Risse in meiner Jacke sich schließen und mein Leben wieder so trostlos wird, wie es noch vor geraumer Zeit war. Immerhin war es trostlos und normal.
Besser als trostlos und total aus den Fugen gerutscht.

Schritte ertönen und mit einem Quietschen, wird die Tür aufgeschoben.

„Geh weg!", sage ich und meine Stimme bricht, sodass das „weg" nur noch ein Kratzen in meinem Hals ist. Es ist mir egal. Soll Lucius doch tun was er will.

Plötzlich fängt die Lampe an der Decke an, ungesund zu flackern und untermalt von dem „Bzzz" das sie jedes mal, wenn sie flackert von sich gibt nähern die Schritte sich klackernd meiner Klotür.

Ein erneuter Schwindelanfall überfällt mich und ich kneife kurz die Augen zusammen. Als ich sie wieder öffne fällt mein Blick sofort auf den Streifen Boden, der unter der Tür zu sehen ist.

Eine Gänsehaut macht sich auf meinen Armen breit und ein Schauer läuft mein Rückrad hinab.

Auf dem Gang vor der Tür steht eine Person. Und die Person ist nicht Lucius.

Es sei denn, er hätte seit kurzem eine Vorliebe für korallenrote Stilettos entwickelt.

Etwas tropft von meiner Lippe, ich weiß nicht ob es Tränen sind oder Blut.

Ich ziehe die Nase hoch, was man unangenehm laut durch den ganzen Raum hallen hören kann.

„Bzzzz"

Die Lampe setzt für einen Moment ganz aus und Dunkelheit umfängt mich. Doch noch bevor ich auch nur Luft holen kann um zu schreien wird die Tür zu den Toiletten so stark aufgestoßen,dass sie scheppernd gegen die gekachelte Wand stößt. Plötzlich geht das Licht wieder an und Lucius' zitternde Stimme ertönt.

„Ana? ANA! Geht es dir gut?"

Ich schweige nur und starre auf den Streifen unter der Klotür.

Die korallenroten Stilettos sind weg.

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Schon wieder etwas spät, ich weiß

aber bald sind FERIEN, dann wirds hoffentlich besser!

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PEACE LEUTE

Eure Cup XXX

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