Verbindungen

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"Philip, es ist mir wie immer eine große Freude, dich zu sehen. Wie geht es dir?"
Ich saß vor Lenas Zelle. Nach drei Tagen musste ich ihr endlich einmal meine Entscheidung mitteilen. Außerdem waren meine Eltern heute nicht da - das vereinfachte die Sache etwas.
Ich lächelte: "Hallo, Lena. Mir geht es gut, danke. Und wie geht es dir?" Sie saß mir gegenüber: "Nun, ich erfreue mich bester Gesundheit. Was macht die Schule?" Ich antwortete: "Naja, wir haben einen neuen Deutschlehrer bekommen..." Lena wurde hellhörig: "Und weiter? Wie stellt er sich so an?" Ich zuckte mit den Schultern: "Er macht halt seinen Unterricht." "Das meinte ich nicht. Ich wollte wissen, was du von ihm hältst." Ich überlegte: "Es klingt jetzt bestimmt komisch, aber ich höre seine Stimme sehr gerne. Sie hat irgendwie etwas, naja, einzigartiges an sich. Er greift zwar durch, zeigt aber auch viel von seinem Humor. Dennoch habe ich das Gefühl, er hat mich auf dem Kieker." Sie neigte leicht den Kopf: "Verrätst du mir seinen Namen? Und wie meinst du das, er hätte dich auf dem Kieker?" "Er heißt Dr. Hannibal Lecter. Und - wie soll ich es sagen? - Wenn er etwas erklärt, sieht er fast ausschließlich nur mich an, so als wären nur wir zwei im Raum. Und dann fragt er auch oft zuerst mich nach Lösungsvorschlägen, selbst, wenn ich mich nicht melde." Sie grinste plötzlich: "Ich kenne ihn. Er hat dich nicht auf dem Kieker, er zeigt lediglich Interesse für dich..." Ich war leicht verwirrt: "Woher kennst du ihn denn jetzt plötzlich?" Lena stand auf: "Wie hast du dich eigentlich entschieden? Bezüglich meines Angebots vom letzten Mal." Ich zuckte mit den Schultern: "Im Großen und Ganzen sehe ich darin kein Problem." Sie grinste: "Sehr gut. Hör zu, Philip - Wichtig bei der Bestrafung unhöflicher ist, es so aussehen zu lassen, als wärst du es nicht gewesen. Daher Regel Nummer eins: Lass dich niemals erwischen!" Ich kratzte mich im Nacken: "Das habe ich bereits..." Lena runzelte die Stirn und ich erklärte: "Vor drei Tagen habe ich Dennis geschlagen, weil er mal wieder meinte, meine Familie beleidigen zu müssen." "Verstehe. Und wer hat dich erwischt?" "Dr. Lecter." Sie grinste: "Nun, ich denke, bei ihm brauchst du dir da keine Sorgen zu machen. Auch er hasst Unhöflichkeit mehr als alles andere." Ich fragte erneut: "Woher kennst du ihn eigentlich?" Lena ging einige Schritte hin und her: "Nun ja... Das war noch vor deiner Zeit. Lange vor meiner Inhaftierung. Wir lernten uns... eher durch einen dummen Zufall kennen. Es ist nichts von Bedeutung." Bei ihrem letzten Satz funkelte kurz etwas in ihren Augen. Dieses Funkeln konnte nur eines bedeuten: "Du lügst!", stellte ich fest. Lena hielt kurz inne und starrte mich an, als wäre ich von einem anderen Planeten. Sie trat dichter an die Glasscheibe: "Was hast du gerade gesagt?" "Ich habe festgestellt, dass du gelogen hast. Wäre es nicht von Bedeutung für dich gewesen, hätten deine Augen nicht gefunkelt. Sie haben dich verraten." Lena grinste: "Sehr gut. Faszinierend, dein Scharfblick..." "Erzählst du mir nun von eurer Bekanntschaft?" "Frag' du ihn doch." Ich schüttelte den Kopf: "Das kann ich nicht machen! Er ist mein Lehrer!" Sie lachte leise: "Er war auch mal mein Lehrer..." Nun war ich komplett verwirrt: "Wie muss ich das jetzt verstehen?" Sie grinste einfach nur: "Das, mein lieber Philip, erfährst du noch früh genug, glaube mir!" Ich wollte erneut fragen, doch sie hob nur die Hand und sagte: "Nun, um zum eigentlichen Thema zurückzukehren: ich denke, als erstes musst du deine Grenzen festlegen. Du musst klar wissen, wie weit du gehen möchtest." Das fiel mir nicht schwer: "Ich will niemanden umbringen!" Lena grinste: "Das habe ich damals auch gesagt." Ich sprang auf: "Nein! Ich werde keinen umbringen, Lena! Niemals!" "Wie du willst. Bedenke dennoch immer Regel Nummer eins: Lass dich niemals erwischen! Egal, was du machst!" Ich seufzte: "In Ordnung... Aber jetzt muss ich los, bevor meine Eltern nach Hause kommen..." "Hmm... Ich hoffe, du kommst mich schon bald wieder besuchen, Philip. Und grüße Dr. Lecter von mir, ja?" Ich raufte mir die Haare: "Ja, vielleicht... Bis bald, Lena." Sie trat noch einmal ganz dicht zur Glasscheibe und legte ihre Hand darauf: "Bis bald, mein Junge. Pass auf dich auf." Damit ging ich.
Ich verstand nicht, in welcher Beziehung Lena und Dr. Lecter standen. Sie sagte, er war ihr Lehrer - Aber weder sie, noch er waren alt. Gut, er wirkte um einiges älter als sie. Aber ihr Lehrer? Das konnte ich mir einfach nicht vorstellen. Ich musste mich wohl erkundigen. Als hätte mich irgendjemand gehört, lief mir in genau diesem Moment Dr. Lecter über den Weg: "Philip! Was für eine Überraschung..." Ich blieb stehen und sah ihn fragend an: "Guten Tag, Dr. Lecter." Er kam zu mir und lächelte: "Ich würde mich gerne ein wenig mit dir unterhalten, wenn du gestattest. Gehen wir doch ein Stück zusammen." ...

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