Blubad (II)

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Mit einem zufriedenen Grinsen betrachtete ich den armen Wachmann vor mir, der sich scheinbar sehr nach Schlaf sehnte. Immer wieder gähnte er und versuchte krampfhaft, die Augen offen zu halten. Meine Zunge tippte in der Zeit bedächtig gegen die Innenseite meiner Wange. Ich musste absolut geräuschlos vorgehen! Mit meinen Fingern umschloss ich die Kette der Handschellen und führte sie dann langsam und leise zu meinem Gesicht. Der Wachmann verschränkte die Arme vor der Brust und gähnte noch einmal, bevor er endlich einschlief. Ich angelte in der Zeit meinen kleinen Schlüssel aus dem Mund, den ich mithilfe von Hannibals Kugelschreiber gebaut hatte und senkte die Hände wieder. Ich wartete einige Minuten, dann öffnete ich so leise wie möglich meine Handschellen. Mit denen hatte ich noch so einiges vor!
Mein Blick wanderte zu einer Stange neben der Tür. Ich erhob mich vorsichtig und befestigte das eine Ende der Handschellen an dieser Stange und das andere Ende an dem Handgelenk des schlafenden Wachmannes. Ich runzelte die Stirn und flüsterte: "Na, na, bei der Arbeit wird doch nicht geschlafen!" Neben ihm lag das Betäubungsgewehr. Da ich die beiden anderen Wachmänner vorne nicht erschrecken wollte, musste zuerst dies genügen. So betäubte ich den Mann vor mir um ihm anschließend die Kehle durchzubeißen. Ich hatte keinen scharfen Gegenstand zur Hand und jetzt schon die Schusswaffe zu benutzen wäre idiotisch gewesen. So benutzte ich halt meine Zähne. Ich hatte schon lange nicht mehr menschliches Fleisch geschmeckt. Aber bei Hannibal schmeckte es deutlich besser!
Ich griff mir vorsichtig seine Schusswaffe, schlich zur Wand und horchte. Die beiden Fahrer machten gerade wirklich schlechte Witze über Kannibalen. Ich schloss die Augen und versuchte, mich zu beruhigen. Durch ein kleines Fenster konnte ich sie sehen. Ich richtete die Waffe darauf, zielte und erschoss beide. Es war ein Wunder, weil ich zu dem Zeitpunkt noch nie wirklich eine Schusswaffe in der Hand gehalten hatte. Das war eigentlich auch nicht mein Stil, denn so hatte ich es nicht von Hannibal gelernt!
Der Wagen bremste stark, drehte sich mehrmals und kam schließlich quietschend zum Stehen. Ich hatte mir den Kopf an der Wand angeschlagen. Ich taumelte leicht benommen aus dem Fahrzeug und vergewisserte mich, dass die beiden Fahrer wirklich tot waren. Normalerweise hätte ich noch irgendein hübsches Zeichen hinterlassen, doch nun hatte ich dafür keine Zeit. Ich suchte bei den Männern nach einem Handy und fand auch schon bald eines. Ich musste dringend Hannibal anrufen. Er nahm nach dem zweiten Klingeln ab: "Dr. Hannibal Lecter?" Er klang misstrauisch. Ich sah zum Himmel: "Hallo, Hannibal. Hast du mich vermisst?" Es herrschte kurzes Schweigen, dann fragte er: "Wo bist du?" Ich sah mich kurz prüfend um: "Offiziell bin ich auf dem Weg nach Memphis. Inoffiziell bin ich keine zwanzig Meilen von Baltimore entfernt." "Soll ich dich holen kommen?" Ich grinste: "Nein, nein. Ich denke, ich schaffe das schon..." Mein Blick fiel auf den Wagen. Ich murmelte: "Ich würde mich freuen, wenn du ein Glas Wein für mich bereitstellen würdest. Ich werde mich jetzt auf den Weg zu euch machen..." "In Ordnung. Sei vorsichtig, Lena." Ich lachte leise: "Das bin ich doch immer, Hannibal. Bis nachher." Ich legte auf, warf das Handy weg und eilte zum Wagen. Mit Mühe zog ich die beiden Wachmänner nach hinten zu dem anderen und setzte mich selbst ans Steuer. Zum Glück befanden wir uns auf einer wenig befahrenen Landstraße, so dass niemand etwas von alldem hier mitbekommen hatte. Ich fuhr langsam los und begann, laut zu lachen. Pure Glücksgefühle durchströmten mich, während ich nur noch an eine Sache denken konnte - Gleich wäre ich endlich wieder bei meiner Familie...

Währenddessen...

Ich legte grinsend auf und sah Philip an, der mich erwartungsvoll anschaute: "Wer war das denn?", fragte er verwundert. Ich seufzte leise: "Deine Mutter ist frei. Sie ist auf dem Weg hierher." Philip sprang auf: "Sie kommt hierher? Ist das nicht gefährlich für sie?" "Ja, das ist es. Deswegen bleiben wir auch nicht hier..." Er schien verwirrt: "Wie meinen Sie das, Doktor?" Ich sah kurz aus dem Fenster: "Baltimore ist nicht mehr sicher. Weder für dich, noch für deine Mutter und mich. Wir müssen hier weg, am besten ganz aus den Vereinigten Staaten heraus..." "Und wohin?" Ich grinste: "Wie gut sprichst du italienisch? Wir gehen nach Florenz." Philip zuckte mit den Schultern: "Da mich hier eh nichts mehr hält, habe ich kein Problem damit." In den letzten Tagen hatte sich Philip wirklich verändert. Er war seiner Mutter ähnlicher denn je. Schließlich nickte ich: "Pack schon einmal deine Sachen. Wenn Lena nachher nach Hause kommt, werden wir sobald wie möglich gehen." Philip nickte und ging schnellen Schrittes die Treppe hinauf ins Gästezimmer. Ich warf einen letzten verachtenden Blick auf die Zeitung und ging ebenfalls in mein Schlafzimmer. Ich öffnete den Schrank und angelte daraus einige Hemden, Hosen und Jacketts. Ebenso durfte mein Anzug nicht fehlen. In einer Schublade meines Nachttisches lagen die drei gefälschten Ausweise für Lena, Philip und mich. Dort würde man uns nicht vermuten, da war ich mir sicher.
Nach einer Weile klopfte es zaghaft an der Eingangstür. Ich schlenderte hin und öffnete. Vor mir stand eine blutverschmierte, aber dennoch überglücklich wirkende Lena: "Hey...", murmelte sie, dann fiel sie mir auch schon um den Hals und wir taumelten ins Haus: "Lena, was hast du denn gemacht?" Sie antwortete nicht, sondern zog mich an sich und legte ihre Lippen auf meine: "Warst du etwa untreu?", fragte ich leise. Sie grinste: "Wenn es für dich schon treulos ist, dass ich jemandem die Kehle durchbeiße, dann schon. Verzeih mir bitte..." Wir lachten. Doch dann wurden wir unterbrochen: "Hallo, Lena.", murmelte Philip. Wir fuhren beide herum und sahen unseren Sohn an...

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