20. Kapitel - Larissa

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"Ach bitte, Mum!"
"Nichts da! Du kippst mir ja schon um, wenn du nur vom Sofa aufstehst!"
"Aber ich bin sicher, dass es nicht besser wird, wenn ich nur hier drinnen abhänge!"
"Und draußen wirst du dir alle Knochen brechen!"
"Oh, Mum!"
Genervt vergrub ich das Gesicht in den Händen. Warum verstand meine Mutter nur nicht, wie sehr es mich nach draußen zog?
Ich konnte nicht hier drinnen bleiben! Es war einfach nur beengend.

"Mama", sagte ich betont langsam, "ich kann hier drinnen nicht gesund werden, okay? Und das einzige, was ich will, ist, einen klitzekleinen Spaziergang zu machen!"

"Aber-"
"Bitte! Bitte, Mum!"
Mum seufzte und zog die Stirn kraus.
"Ich sorge mich doch nur um dich!"
Ohne deine Sorgen wäre mein Leben so viel einfacher...
"Das weiß ich! Und es ist wirklich nicht nötig! Mum! Ich passe schon auf!"

Mum setzte noch mal zum Widersprechen an, doch schließlich zuckte sie ergeben mit den Schultern.
"Also... wenn du mir versprichst, dass du nur sehr langsam gehst und sofort nach Hause kommst, wenn dir wieder schwindelig wird, darfst du eine halbe Stunde raus gehen."
Ich legte den Kopf schief.
"Eine Stunde?"
"Also gut. Aber versprich mir-"
"Versprochen!", rief ich glücklich und fiel ihr um den Hals.

Nachdem ich meinen darauf folgenden Schwindelanfall überstanden hatte, trat ich aus der Tür und stützte mich sofort an der Hauswand ab.
Als ich einigermaßen sicher stand, wagte ich einen Blick nach vorne auf die Straße und rümpfte beim Anblick der schwarzen Schneepampe die Nase.
Ich ging ein paar Schritte auf den Weg zu und hielt mich dabei an einem Zaun fest. Doch ich stellte zufrieden fest, dass der Schwindel nachließ.
Schritt für Schritt näherte ich mich dem Bürgersteig. Als ich angekommen war, wagte ich es, die Hände vom Zaun wegzunehmen.
"Das kann doch nicht so schwer sein", murmelte ich, ging ein paar Schritte und fiel prompt hin. Zum tausendsten Mal verfluchte ich Maja und rappelte mich wieder auf. Jetzt klappte es wieder besser und ich schaffte ganze zehn Schritte, ehe ich mich wieder an einer Hauswand abstützen musste.

"Kann ich dir helfen?", fragte eine freundliche Mädchenstimme hinter mir.
"Nein nein, geht schon", sagte ich und drehte mich zu ihr um. Zu schnell, wie mein Hintern kurz daraufhin erfuhr.
Das Mädchen lachte und streckte die Hand aus, um mir aufzuhelfen. Ich ergriff sie und musste unwillkürlich ebenfalls grinsen, woraufhin natürlich sofort mein Kopf wieder anfing zu pochen. Ich krallte mich an der Schulter des Mädchens fest und kniff die Augen zusammen, bis der Schmerz nachließ. Als ich sie wieder öffnete, sah Miss Unbekannt mich prüfend an.

"Geht es dir gut? Du hast ja eine fette Beule am Kopf..."
"Wer bist du überhaupt?", fragte ich.
"Ich heiße Larissa und du?"
"Emma, äh, Emily."
Larissa... den Namen würde ich nie wieder akzeptieren können. Nie, nie wieder!
"Freut mich, dich kennen zu lernen", meinte Larissa, streckte mir feierlich ihre Hand entgegen und ich schüttelte sie.
Dann wurde sie wieder ernst.

"Jetzt mal ernsthaft: Wo hast du dir diese grauenhafte Beule geholt?"
"Ach... mein Kopf hat Bekanntschaft mit einem Baumstamm gemacht", antwortete ich. "Oder war es ein Stein?"

Larissa machte ein mitleidiges Gesicht.
"Ich frage jetzt mal lieber nicht weiter nach... aber was machst du hier draußen, wenn noch nicht einmal der Schwindel vorbei ist?", fragte sie. Ich verzog das Gesicht.
"Zuhause ist es so langweilig und ich komme mir dort vor wie in einer Gefängniszelle... Grauenvoll!", knurrte ich.
"Ist es nicht genauso langweilig, hier alleine rumzulatschen?", fragte Larissa.
"Von mir aus können wir gerne zusammen rumlatschen", sagte ich. Larissa strahlte und erklärte, dass es bei ihr Zuhause gerade ebenfalls nicht zum Aushalten war und sie deshalb für ein paar Stunden geflohen war.
"Meine Eltern zanken zur Zeit nur noch", erklärte sie traurig.
"Das tut mir leid...", sagte ich.
Mehr fiel mir nicht ein. Ich fand es immernoch ein kleines Bisschen ungewohnt, mich so vertraut mit einem Mädchen zu unterhalten. Noch dazu mit einem, das mir vor gerade zwei Minuten auf der Straße begegnet war. Doch es tat irgendwie gut und so beschloss ich, etwas mehr zum Gespräch beizutragen als nur vier Worte.

Liebe im SchneeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt