4. Kapitel - Die Wochen vergehen

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Als ich völlig außer Atem am Hügel ankam, erblickte ich erstaunt einen im Schnee knienden Luca, der an einer kleinen Mauer aus Schnee herum klopfte und sich währenddessen immer wieder seine eine blaue Bommelmütze aus der Stirn schob. Etwa zwanzig Meter rechts von ihm stand ein weiteres solches Mäuerchen mit einem kleinen Lager an Schneeballmunition.
"Hey!", begrüßte Luca mich. "Hilfst du mir noch ein paar Schneebälle für mich zu machen?"

Ich nickte überrascht, ging zu ihm und half beim Formen.
"Ich dachte nämlich, wir könnten eine kleine Schneeballschlacht machen", erklärte Luca. Dann drehte er sich zu mir um. "Natürlich nur, wenn du Lust hast." Ich lächelte leicht.
"Ja, gerne. Du hast ja schon total viel vorbereitet..." Er winkte ab.
"Das hat doch Spaß gemacht. Also möchtest du?"
"Sicher!"

Luca klatschte erfreut in die Hände.
"Cool, das freut mich! Ich glaube, die Schneebälle reichen jetzt auch, danke. Wollen wir anfangen?"
Eigentlich hatte ich gemessenen Schrittes zu meiner Seite stolzieren wollen, doch nach zwei Schritten wurde mich klar, wie dämlich das aussehen musste, lachte und rannte das letzte Stück.

In diesem Moment wurde mir erneut bewusst, wie schnell Luca meinen Schutzschild aus Eis hatte schmelzen lassen – bei weitem schneller als sonst jemand in den vergangenen sieben Jahren. Noch immer war ich nicht ganz sicher, ob ich das gutheißen sollte, doch als plötzlich ein Schneeball dicht an meinem Ohr vorbei sauste und ich in das keck grinsende Gesicht Lucas blickte, verwarf ich alle Nachdenklichkeit und überließ mich den kindlichen Instinkten des Schneeballbewerfens.

Den ganzen Tag verbrachten Luca und ich mit unserer Schneeballschlacht und wurden immer treffsicherer, sodass bald auch Ausweichen ein elementarer Teil der Schlacht wurde.
Einige Male mussten wir einen kurzen Waffenstillstand einlegen, um neue Schneebälle zu formen. Diese Zeit nutzte Luca immer, um mir einige Witze zu erzählen, die so flach waren, dass es eigentlich schon fast traurig war, aber ihm zuliebe lachte ich trotzdem. Er war wirklich liebenswert. Und als der Tag schließlich zu Ende ging und wir unsere Hände aus den kalten, nassen Handschuhen schälten, verabredeten wir uns fröhlich für den nächsten Tag wieder am selben Ort.

Wir trafen uns nach der Schule. Luca brachte seinen Schlitten wieder mit und wir machten einen zwanzigminütigen Spaziergang zu einem besonders hohen und steilen Berg, um dort zu fahren.
"Es ist toll dort, glaub mir!"
Und er hatte Recht. Mal wechselten wir uns mit dem Schlitten ab, mal fuhren wir zusammen - es war ein großer Spaß. Der Fahrtwind peitschte einem um die Ohren und ließ die Augen tränen, während man vornübergebeugt den Berg hinunter zischte, um dann unten angekommen durch den hohen Schnee des nächsten Hügels ausgebremst zu werden. Und kaum war das passiert, packte einer von uns den Strick des Schlittens und wir stapften den Berg wieder hinauf.

Gegen Mittag schlug Luca vor, eine Pause zu machen und unsere Lunch-Pakete zu essen, die wir von Zuhause mitgebracht hatten. Ich stimmte zwar zu, wusste aber, dass ich nichts herunterkriegen würde. Trotz des Spaßes war mir ein bisschen schlecht.
"Du isst ja gar nichts, ist dir übel?", fragte Luca. "Sollen wir lieber etwas anderes machen?"
"Nein!", sagte ich hastig. "Ich habe nur keinen Hunger." Luca biss in sein Brötchen.
"Ach so", meinte er.
Ich war mir ziemlich sicher, dass er mich durchschaute.

Nachdem er aufgegessen hatte, schnappte ich mir deshalb schnell seinen Schlitten und zog ihn den Berg hinauf, um zu beweisen, dass es mir gut ging. Dann wartete ich auf Luca und, als er oben ankam, auf irgendeinen Kommentar, doch es kam keiner. Er lachte mich nur freundlich an und ließ mich zuerst auf den Schlitten steigen.
Zu guter Letzt vergaßen wir völlig die Zeit und ich wurde ein wenig ausgeschimpft, als ich erst in der Dämmerung zuhause ankam, doch ich machte mir nichts daraus und fuhr in Gedanken noch immer mit Luca den Berg hinunter.

Am Dienstag waren wir in der Eishalle Schlittschuhfahren. Es war wieder einmal Lucas Idee gewesen, ich konnte mich nämlich auf Eis eigentlich keine fünf Sekunden auf den Beinen halten. So fuhr also letztlich nur Luca, ich klammerte mich an seinen Arm und er gab sein bestes, nicht hinzufallen. Freilich ohne Erfolg, aber das war nicht schlimm. Wenn wir auf der Nase landeten, lachten wir eben darüber.

In den Tagen danach waren wir meistens mit dem Schlitten unterwegs, aber ein paar mal fuhren wir auch in die Innenstadt, um den, wie Luca fand, besten Kakao der Welt zu trinken. Und einmal setzten wir uns in unserem Wäldchen zu einer netten, vierköpfigen Familie, die dort ein Feuer an der Grillstelle gemacht hatten. Die Eltern waren total freundlich und spendierten uns sogar ein Stockbrot mit Kräuterbutter.

Und so vergingen zwei wunderbare Wochen, in denen Luca und ich die verschiedensten Dinge unternahmen und uns so immer besser kennenlernten.
Zwei Wochen, in denen ich lernte, was es hieß, einen Freund zu haben.
Zwei Wochen, in denen ich lernte, was es hieß, überglücklich zu sein.

Liebe im SchneeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt