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Der Pinsel schwebt über das Papier und ich male die Konturen des nächsten Bildes. Die letzten Tage bin ich total vertieft in das Malen, weil es das einzige ist, was mich ablenken kann. Aus der Wohnung zu verschwinden, wäre zu riskant, da Seb komischerweise immer dort ist, wo man ihn am wenigsten erwartet.

Ich tunke den Pinsel in die Farbe und merke, dass nicht mehr viel Farbe aus dem Eimer kommt.

Mist, denke ich und stelle ihn zu den restlichen fünf Farbeimern. Mein Vorrat ist aufgebraucht.

Gibt es sonst etwas, was ich machen könnte?

Ein Instrument kann ich nicht spielen, lesen ist nicht meins... Das Male ist das einzige, was mir geblieben ist.

"Man, jetzt muss ich Farbe kaufen gehen.", sage ich leise zu mir selbst und schnappe meine Sachen, um es hinter mich zu bringen.

"Bis dann, Leo.", sage ich in die leere Wohnung.

Es gibt mir Trost, dass er das vielleicht hören kann.
Die Hoffnung will ich behalten.

Bevor ich die Tür öffne, mache ich mich unsichtbar und verschwinde aus der Wohnung.
Ich schlendere durch die Straßen. Trotz, dass ich unsichtbar bin, habe ich immer Angst, dass mich jemand beobachten könnte.
Doch schon bald erkenne ich den Laden, in dem ich die Farbe bekommen kann. Es ist ein Glück so nah an der Innenstadt zu leben.

Ich betrete den Laden und suche Farbe. Als ich passende gefunden habe, gucke ich umher, ob mich jemand sieht. Aber da der Laden noch menschenleer ist, stelle ich mich hinter ein Regal und mache mich sichtbar. Ein weiterer Blick sagt mir, dass es niemand gesehen haben kann.

Ruhig atme ich aus und gehe mit der Farbpalette zur Kasse.
Nachdem die Kassiererin alles gescannt hat, bezahle ich und schnappe mir meinen Einkauf. Als ich aus dem Laden draußen bin, gehe ich um die Ecke und verstecke mich hinter der Wand, um mich unsichtbar zu machen. Als ich merke, dass es wieder erfolgreich geklappt hat, gehe ich zufrieden nach Hause zurück, ohne jemandem zu begegnen.

Ich hätte sichtbar bleiben können, aber das wäre zu riskant gewesen- immerhin hätte ich jemanden treffen können.

~

Bild für Bild stapelt sich an der Wand.
Ich lehne mich an die Stuhllehne und betrachte mein nächstes fertiges Bild. Da vibriert mein Handy wieder. Seb versucht schon den ganzen Tag mich zu erreichen.

Ich entsperre mein Handy und sehe nochmal die Nachrichten, die er mir geschickt hat, seit ich von ihm abgehauen bin.

Katha, bitte. Komm zurück. Lass mir dir helfen.

Antwortest du mir?

Ignorierst du mich, oder siehst du es nur nicht?

Komm schon, ich höre dann auf zu fragen, aber wenigstens gebe eine Antwort. Ich mache mir Sorgen um dich.

Nein, einfach nein. Seb soll aufhören. Ich werde ihm nicht mehr begegnen. Und sobald mein Studium abgeschlossen ist, haue ich ab und sehe ihn eh nie wieder. Punkt. Aus.

Er versucht es jeden Tag mindestens drei bis vier Mal mich zu erreichen, telefonisch.

Tja, ich werde nicht dran gehen.

Ich setze mich auf mein Bett und öffne mein Fenster, da es in der ganzen Wohnung nach Farbe riecht. Einerseits mag ich den Geruch, aber nicht in den Maßen und nicht, wenn ich nicht mal herausgehen kann. So muss ich mir anders zu helfen wissen.

Ich lege mich hin und sehe die Decke an. Gleichzeitig fühle ich mich beobachtet von dem Bild, das über meinem Kopf hängt. Ich setze mich wieder auf, um das Portrait von Leo anzusehen.

Zauber Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt