Both sides of the story

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Geschockt wich ich ein paar Schritte zurück und zog damit auch das Schwert aus dem Magen meines dunkelhaarigen Klons. Das Mädchen stand mit weit aufgerissenen Augen vor mir  und hatte die Arme um die Wunde geschlungen. Ich realisierte diesen Moment nicht wirklich, im Gegenteil, das Ganze kam mir vor wie eine Art Film, nur dass ihr Röcheln viel zu real klang. Ich spürte, wie ich am ganzen Körper zu zittern begann. Das erschrockene Gesicht meiner Gegenüber wurde langsam zu einem Ausdruck tiefsten Hasses. Sie kicherte.

"Soso, das ist also deine Art zu spielen. Du kleines, mieses Mist..." Ein Hustanfall unterbrach sie. Kleine ausgespuckte Bluttröpfchen sickerten in das Moos. Ich wollte etwas sagen, doch die Worte blieben mir im Hals stecken. Schließlich sank das Mädchen auf die Knie. "Verdammt. Er lässt sich ja Zeit mit dem Regenerieren."

"Wer?" Jaden hatte meinen Gedanken ausgesprochen. Seine Stimme sollte wohl selbstbewusst wirken, allerdings klang sie eher brüchig. Das Mädchen lachte erneut, diesmal deutlich schwacher und zurückhaltener.

"Oh, das solltest du wissen, Jaden. Gerade du." Wankend und mit viel Selbstbeherrschung gelang es ihr schließlich, aufzustehen. "Ich glaube, ich weiß, was ich falsch mache!", seufzte sie übertrieben melancholisch und warf dramatisch ihren Kopf nach hinten, nur um mit sachlichen Ton fortzufahren: "Ich soll dich nicht umbringen."

Verdutzt blickte ich in ihre seelenlosen violetten Augen. Ein langer Moment verging, dann hob das Mädchen die Arme und sah auf sich herab. "Ja, das war's. Es ist weg."

Ich folgte ihrem Blick und stutzte. Ihre Wunde, all das Blut, welches an ihrem schwarzen Kleid gehangen hatte, war verschwunden. Aus Angst, sie könnte mich erneut angreifen, hob ich mein Schwert und hielt es schützend vor mich. Doch sie schüttelte nur leicht lächelnd den Kopf. "Keine Angst, Kleine. Wie gesagt, ich darf dich nicht angreifen, geschweige denn töten."

"Wer versichert mir das? Und wer bist du überhaupt?" Endlich hatte ich meine Stimme zurück. Auch wenn ich wahrscheinlich nun noch verunsicherter wirkte, als ich ohnehin schon war.

"Frag doch deinen Bruder." Mein Klon lächelte böse. Ich konnte nicht anders, ich musste zu Jaden schauen, doch er schenke mir keine Beachtung. Er wartete mit konzentriertem Gesicht auf eine verdächtige Regung des Mädchens. Allerdings konnte ich in seinen Augen auch so etwas wie Entsetzen ausmachen. Aber warum?

"Er hat mich schließlich erschaffen.", fuhr das Mädchen unbeirrt fort und warf mich damit völlig aus dem Konzept. Und nicht nur mich. Auch Jack und Jaden konnte man ansehen, dass sie irritiert waren. Siegessicher stolzierte mein Klon nun auf mich zu und betrachtete mich interressiert. "Mein Name ist Joy."

Aus dem Augenwinkel erkannte ich, dass Jaden zusammenzuckte. Schließlich fand auch er seine Sprache wieder. "Du bist... wer?!"

Joy schnalzte und wandte sich meinem Bruder zu. "Jaden, Jaden, Jaden... ich bin wirklich enttäuscht von dir. Man muss schon sagen, es war damals dumm, mich einfach ohne Beaufsichtigung im Wald zurück zu lassen." Sie lachte gekünstelt. Jaden sah verzweifelt aus. Diese Seite von ihm kannte ich noch nicht. Und ich muss sagen, auch in mir tat sich ein neues Gefühl breit.

Eifersucht.

Seit ich mich erinnern kann, war ich noch nie eifersüchtig gewesen. Einfach, weil ich nie einen Grund dazu hatte. In dieser anderen Welt, in der Jaden mich versteckt hatte, gab es niemanden, der mir wirklich wichtig gewesen war. Deswegen hatte ich auch nie Angst davor gehabt, dass mir jemand etwas für mich emotional Wichtiges wegnimmt. Doch jetzt, wo ich Jaden kannte, der mir wirklich etwas bedeutete, hatte ich Angst, dass dieses Mädchen, Joy, ihn mir wegnehmen könnte. Ich wusste nicht genau, was ich mit dieser neuen Emotion anfangen sollte, also versuchte ich, sie instinktiv verblassen zu lassen. Was mir nicht sonderlich gut gelang.

Nightwatchers - Secret enemyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt