„Letzter Aufruf für Flug 5214, nach London, Großbritannien/ Heathrow", schallte es durch die Lautsprecher des Boston Logan International Airport. Während ich noch auf einen dieser unbequemen Flughafenstühle saß, beobachtete ich, die Menschen um mich herum, die zu verschiedenen Terminals eilten. Besonders ins Auge fiel mir dabei eine junge Frau mit hellbrauen Haaren, die von einer Verrückten mit blonden Haaren mit rosa Spitzen verfolgt wurde, die unentwegt: „Gwen, warte doch auf mich!", kreischte. Das schrille Geschrei schmerzte in den Ohren und genervt wandte ich mich ab. Meine kleine Schwester Rachel lehnte sich mit ihrem kleinen Kopf an meine Schulter, wobei ihre roten Haare einen Vorhang vor ihrem Gesicht bildeten. Es machte sie traurig, dass sie in wenigen Stunden alleine mit Timothy Kane, meinem Taufpaten, dem besten Freund meiner Eltern und seit deren Tod unser Vormund und dessen Sohn Russeld, nach Hause, nach Back Bay, fahren musste und dann alleine in unserem gemeinsamen Zimmer war. Es tat mir im Herzen weh, sie zurückzulassen, doch dorthin, wo ich hinwollte, konnte ich sie nicht mitnehmen. Außerdem würde das Timothy nie erlauben. Er hütete sie wie einen Augapfel, auch wenn er mich nicht so gut leiden konnte, entgegen dessen, was man sich eigentlich von seinem Taufpaten erwartete. Vermutlich war es deswegen, weil ich, anders als meine restliche, noch lebende Familie war und es meinen Eltern nachtat, die Menschen als Jägerin vor übernatürlichen Wesen zu beschützen und ihm schon so manches Mal Probleme mit der Polizei eingehandelt hatte.
„Das Check-In für den Flug 3457, nach Memphis, Tennessee/ Charles W. Baker Airport wird nun geöffnet." Vorsichtig schüttelte ich meine kleine Schwester wach, die sich verschlafen die Augen rieb. „Ich muss los", flüsterte ich ihr zu. Endlich erhob ich mich steif von diesen steinharten Stühlen und beugte mich zu Rachel, die mich mit ihren kleinen kindlichen Ärmchen umschlang. „Ich komme bald zu Besuch." Ich ging einen Schritt nach links und stand vor Russeld, der mich, entgegen meines Willens, in den Arm nahm und mir ins Ohr flüsterte: „Ich komm dich besuchen." Verwirrt, ob das nun eine Drohung sein sollte oder nicht, wandte ich mich Timothy zu, obwohl ich Russelds Blick in meinem Rücken spürte. „Na dann. Machs gut", meinte Timothy und streckte mir distanziert die Hand entgegen, die ich zögerlich ergriff. Wir hatten uns noch nie besonders gut verstanden, nicht seit dem Tod meiner Eltern. Ich nahm den Griff meines Trollis und zog ihn hinter mir her, auf dem Weg zum Check-In. Meine Flugzeughose(ja, ich hatte eine Flugzeughose) war eine lässige blaue Trainingshose, auf dessen Rückseite „Fire and Ice" stand und mein Flugzeugträgertop(ja, das hatte ich auch) war schlicht und schwarz, jedoch wurde mir in diesem Outfit weder zu heiß noch zu kalt, was Ende Sommer betraf. Ich hoffte, die Schlange vor dem Check-In sei nicht zu lang, da ich keine Lust hatte, lange zu warten und vor so vielen Menschen angegrapscht zu werden, da die Pfähle, die ich unter der Kleidung verbarg, manchmal aufgefallen waren. Die riesigen Hallen des Flughafens waren voll mit Menschen, die wie geschäftige Ameisen umherhuschten und den genervten Flughafenpersonal, das wie immer zu roten Lippenstift trug, jedenfalls die Frauen.
Letztendlich beim Check-In war ich froh, dass ich nicht auffiel und auch nicht zu lange warten musste, da ich nun bald wirklich aufs Klo musste. Im hinteren Bereich des Check-In suchte ich als erstes die Toiletten auf, wobei mich ein WC-Schild zum gewünschten Punkt brachte. Der Flughafen war wirklich groß. Die Toilette war klein und nicht sonderlich sauber. Die eine Seite war mit Spiegeln und Waschbecken bedeckt und auf der gegenüberliegenden Seite waren ein normales Klo und eine Behindertentoilette. Da ich mich noch nicht zu Letzterem zählte, stand ich vor der verschlossenen Tür der normalen Toilette. An einem Waschbecken fiel mir nur eine Frau auf, die sich mit einem Tuch den Mund abwischte und mich aus den Augenwinkeln beobachtete. Da erkannte ich, dass aus der verschlossenen Toilette noch kein Laut gedrungen war. Besorgt klopfte ich und fragte, ob alles in Ordnung sei. Da ich keine Antwort bekam, hämmerte ich erneut gegen die Tür. „Hallo? Brauchen Sie Hilfe?" Ich hörte nicht mal die Atemgeräusche, die ich eigentlich hören müsste. Plötzlich hörte ich die Frau hinter mir fragen: „Was ist denn da los? Brauchen Sie Hilfe?" Langsam hörte ich sie von hinten näher kommen. Sie hatte einen sehr leichten Schritt. „Ich weiß nicht. Irgendetwas scheint da nicht zu stimmen." Plötzlich fiel mir die blasse leblose Hand auf, die unter der Toilettentür hervorlugte. Aufgeregt trat ich einmal kräftig gegen die Tür, die sich krachend öffnete. Und dort lag sie. Eine junge Frau in einem Hosenanzug lag verkrümmt in der Kabine und starrte starr in die Luft. Sie war weiß wie die Wand und hatte am Hals zwei auffällige Bissmale, die für mich nur eins bedeuten konnten.
Von einem Moment auf den anderen zählte ich eins und eins zusammen und zog mit einer fließenden Bewegung den in Weihwasser getauchten Pfahl aus meinen Springerstiefeln und drehte mich um. Die Vampirfrau hinter mir machte bereits Anstalten mich anzugreifen und zeigte dabei ihre Reißzähne von denen Speichel tropfte. „Pass auf, du sabberst", meinte ich nur gönnerhaft und machte einen Ausfallschritt auf sie zu. Schnell wich sie aus und schmiss mich gegen die Spiegel, vor denen sie sich zuvor noch das Blut ihres Opfers vom Mund gewischt hatte. Die Spiegel splitterten unter der Wucht meines Aufpralls. Ich fiel auf den Boden in die Scherben und schnitt mir dabei die linke Handfläche auf. Eine Strähne meines Haares fiel mir in die Augen, als ich aufblickte und sah, wie sie auf mich zukam. Sie trug ein dunkelrotes Cocktailkleid und dazu passende Stöckelschuhe, was mir in diesem überaus unpassenden Moment auffiel. „Du dachtest doch nicht wirklich, dass du gegen mich eine Chance hast. Ich bin eine zweihundert Jahre alte Vampirin, die schon einiges überlebt hat." „Und anscheinend sind Vampire immer zu sehr von sich selbst überzeugt", stöhnte ich und rollte mich auf, den Pfahl immer noch in der Hand. Wütend fauchte sie mich an und stürzte sich mit einer blitzschnellen Bewegung auf mich. Nur Sekunden bevor sie ihre Zähne in meinen Hals schlagen konnte, traf ich sie mit meinem Pfahl ins Herz. Erschrocken wich sie zurück und taumelte ein paar Schritte nach hinten. Ich wusste jedoch aus Erfahrung, dass dies nicht reichen würde, um sie dauerhaft außer Gefecht zu setzten, darum zückte ich mein spezielles Feuerzeug, welches ein Hexer für mich angefertigt hatte. Diese Flammen würden nur auf das übernatürliche Wesen übergreifen und es somit töten. „Das Boarding für Flug 3457, nach Memphis, Tennessee/ Charles W. Baker Airport startet." Mit einer lässigen Geste warf ich das Feuerzeug auf den betäubten Blutsauger, der sofort Flammen fing, in denen sie zappelte. Schnell schnappte ich meine Jacke und eilte zum Terminal.
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Shadow of Light
FantasyDie zwei Jugendlichen Carry und Shade könnten unterschiedlicher nicht sein: Carry ist seit dem Tod ihrer Eltern eine erbarmungslose Jägerin aller übernatürlichen Spezies, während Shade ihr Leben als Dämon in vollen Zügen genießt. Als die beiden das...