4. Kapitel (Shade)

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Es hätte schlimmer kommen, wie zum Beispiel, wenn er etwas früher gekommen wäre, doch Alex so verloren da stehen zu sehen, war schon schlimm genug. Mein Vater war der einzige, den er respektierte und der ihm Angst einjagen konnte, was hieß, ich muss mir was einfallen lassen. „Kannst du mir vielleicht erklären, was Alex hier halbnackt zu suchen hat?", fragte er und rückte sich gleichzeitig die Krawatte zurecht. Schon immer war mir mein Vater in der Nähe von Alex misstrauisch begegnet. Ob er nun was ahnte oder nicht, konnte ich nicht wissen, ohne ihn zu fragen und das wäre so ziemlich das Letzte, was ich tun würde. Vaters Hand umfasste streng Alex' Oberarm, währen dieser einen eingeschüchterten Eindruck machte. Er wollte es sich nicht mit meinem Vater verscherzen, zum Teil, weil er probierte, ihn vor Lillith zu beschützen und er hier wohnen durfte und dank seiner Vergangenheit würde er nicht so schnell eine Wohnung finden. Letztendlich musste ich antworten: „Alex...kommt gerade...vom...Boxtraining. Ähm...und ich hab ihn...gebeten...auf meinen Zeichenblock aufzupassen...während ich aufs Klo gehe...Wenn nämlich niemand aufpasst, verschleppen ihn die...Eichhörnchen?" Okay, ich wusste selbst, dass es unglaubwürdig klang und mehr als nur an den Haaren herbeigezogen war, dennoch fiel mir in diesem pikanten Moment nichts anderes ein. Matthew Scales musterte Alex von oben bis unten. „Ich weiß ja, dass die Jugend heutzutage sich merkwürdig kleidet...sofern sie überhaupt etwas trägt...aber, warum ist er halbnackt?" Bald wurde mir richtig Angst und Bange, da ich mir sicher war, dass meine Lüge auffliegen würde und mein Vater Sex im Garten nicht gerade gutheißen würde, erst recht nicht, wenn es seine jüngste Tochter betraf. „Er kommt, wie gesagt, vom Training und er hatte zu heiß?" „Fragst du mich das oder ist das deine Antwort?" „Das ist meine Antwort?" Vater ließ endlich Alex los, der hilfesuchend zu mir blickte. „Na dann...heute Abend gehen wir essen. Ich hoffe ihr kleidet euch angemessen. Und du", sagte er mit Blick auf Alex, „zieh dir was an." Mit stetigem Schritt wandte er sich zum Haus und verschwand schließlich darin. Man konnte regelrecht sehen, wie die Anspannung von uns abfiel. „Ich hätte dir das nicht geglaubt", lächelte Alex erleichtert. „Ich mir auch nicht."

Am Abend gingen wir ins „Wolf and Brian", ein exklusives Restaurant speziell für Dämonen, im Penthouse eines Wolkenkratzers. Mein Kleid war schwarz mit dunkelroten Flammenzügen, die sich vom unteren Saum bis zum Ausschnitt schlängelten. Meine roten Riemchensandalen passten farblich zu den Flammen, wobei meine Handschuhe, die bis zum Ellbogen reichten, zum Schwarz des Kleides passten. Meine dunklen Haare waren zu einem lockeren Zopf zusammengebunden und einzelne Strähnen hingen mir ins Gesicht. Neben Alex jedoch schien ich zu verblassen, weil er in seinem schwarzen Anzug und weißer Krawatte einfach nur himmlisch aussah, was ein Widerspruch in sich war, so einen Dämonen zu bezeichnen. Hingegen, zu vielen anderen Gästen des Restaurants, fiel mir nur auf, dass mein Ausschnitt zu hochgeschlossen war. Meine Schwester trug, entgegen des lautstarken Protestes meines Vaters, ein schreiend pinkes und superenges Minikleid, welches gerade mal so ihren Hintern bedeckte und mehr von ihrer Haut zeigte, als es verhüllte. Nur Mutter hatte gemeint, dass sie anziehen solle, was sie wolle, immerhin sei sie schon hundertvierunddreißig Jahre alt. Mit meiner Schwester an der Seite stachen wir unter all den anderen Gäste hervor, die uns mit schiefen Blicken begafften. An Vaters Gesichtsausdruck konnte ich erkennen, dass das für Lissa ein Nachspiel geben würde. Sie schien sich jedoch nicht wohler fühlen zu können, während sie alle Blicke auf sich zog, war sie voll ihn ihrem Element. Nur Alex schaute möglichst unauffällig auf mich und verdrehte mit einem Blick auf Lissa die Augen. Der Portier, ebenfalls ein Dämon, führte uns zu unserem Tisch, welcher direkt am Fenster gelegen war und wir somit eine wunderbare Aussicht auf die Stadt hatten. Alex setzte sich so weit wie möglich von mir entfernt hin, um meinen Vater nicht noch misstrauischer zu machen. Lissa rückte ihm immer wieder auf die Pelle und bemerkte die Blicke, die zwischen uns hin und her gingen. Eigentlich sollte ihr klar sein, spätestens seit heute Nachtmittag, dass sie keine Chance bei ihm hatte. Mutter lächelte uns alle an und so begann ein weiterer langweiliger Abend, an dem ich nicht an Alex' Seite sitzen konnte.

Am nächsten Morgen musste ich leider wieder zur Schule, obwohl ich immer noch nicht wusste, wieso ich mir das überhaupt antat. Vielleicht der sozialen Kontakte wegen? Selbst bei dem Gedanken musste ich lachen. Ich hatte keine „Freunde" in der Schule, außer Alex, der mir zuliebe auch zur Schule ging, was er mir oft genug vorhielt. Zu Fuß brauchten wir gerade mal eine Viertelstunde, weswegen es immer ein recht angenehmer Marsch war. Heute waren wir wieder normal gekleidet und mir blieben die Dämonen von gestern Abend in Erinnerung, die jeden Abend so auftraten wie wir es gestern getan hatten. Es war noch dunkel, was es mir noch schwerer machte, aufzustehen und meinen Arsch zur Schule zu bewegen. Ich machte vielleicht das Jahr noch fertig, dann würde ich es lassen, es war einfach zu langweilig und unnötig. Ich meine, in diesen Jahren, die ich nun schon auf der Erde wandelte, würde ich auch ohne Schule weiterleben können. Auf dem Weg zur Schule, meine Tasche schlug immer wieder gegen mein Bein, konnte ich Alex' Hand nicht halten, obwohl er öfters versuchte, danach zu greifen, allerdings wusste man nie, wer uns gerade beobachtete. „Komm schon", flüstere Alex. „Uns wird schon niemand sehen." „Das kannst du nie wissen. Ich weiß nicht, was meine Eltern den ganzen Tag machen. Vielleicht stalken sie mich ja. Es wäre ihnen zuzutrauen, jedenfalls meiner Mutter." „Wäre es denn so schlimm, wenn sie das mit uns rausfinden würden?", murmelte er und sah mich kurz an. Eine Haarsträhne fiel ihm vor die Augen und ich hatte das dringende Bedürfnis, sie ihm zurückzustreichen, was ich jedoch nicht tat und meine Hand zur Faust ballte. „Ja, wäre es. Lillith würde dich sofort finden und umbringen lassen. Mein Vater kann dir als Einziger Schutz bieten! Und du solltest Lillith nicht auf die leichte Schulter nehmen." „Tu ich ja auch nicht...nur..." Völlig unerwartet zog er mich in die Seitengasse, die wir gerade passiert hatten und küsste mich stürmisch. „Nur kann ich das", er küsste mich erneut, „ nicht mehr tun." Ich hatte gar nicht bemerkt, dass er mich gegen die Wand gedrückt und ich heftiger zu atmen begonnen hatte. Völlig unbeeindruckt zog er mich wieder auf die Straße und schweigend gingen wir zu Schule.

Als ich auf meiner Bank saß und immer wieder zur Uhr blickte, die träge über der Tür tickte, öffnete sich plötzlich die bis gerade eben noch verschlossene Tür und ein mir fremdes Mädchen mit wehenden dunkelblonden Haaren trat ein. Der Ausdruck in ihren moosgrünen Augen wirkte gehetzt. Mein Lehrer für Geschichte, Geographie, Mathematik und Biologie, Mr. Benedict Allen, wandte sich von der Tafel ab, an der er bis vor wenigen Sekunden verzwickte Gleichungen aufschrieb und begrüßte sie mit einem spöttischen Ton: „ Ich nehme an Sie sind Caroline Black? Ich freue mich, dass Sie uns die Ehre erweisen, uns mit Ihrer Anwesenheit zu beglücken, Miss Black."

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